Erlauben Sie mir zuerst einen kleinen Exkurs, um in die Gefilde einzuführen, in denen Sie zur Ikone geworden sind. Denn diese Gefilde sind in ihrer Komplexität fast schon kafkaesk anmutende Prozesse, sie dauern oft jahrelang, fallen häufig in sich zusammen, müssen immer wieder von neuem aufgebaut werden. Es sind Prozesse, die bestimmt werden von den politischen Agenden sowie den Machtverhältnissen der involvierten Parteien, Prozesse, die enttäuschen, frustrieren, die Geduld und Fingerspitzengefühl erfordern, ebenso wie Menschenkenntnis und Menschlichkeit, knallhartes Verhandlungsgeschick und Humor.
Ich rede von Friedensverhandlungen.
Friedensverhandlungen widerspiegeln die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern, wie sie in Chefetagen oder Verwaltungsräten weltweit noch immer Status quo sind, will sagen: Auch Friedensverhandlungen sind weitgehend Männerbastionen. Noch immer versammeln sich zum Friedenspoker von Genf bis zur kasachischen Hauptstadt Astana fast ausschliesslich männliche Vertreter von Regierungs- und Oppositionsgruppen. Obwohl Frauen die Hälfte der Bevölkerung stellen, in Kriegen und Konflikten meist die Hauptleidtragenden sind und unter widrigsten Umständen den Alltag aufrechterhalten, sind sie in den Zirkeln der Macht nicht mehr als eine Randgruppe.
In diesem Umfeld haben Sie es geschafft, eine Spitzenposition einzunehmen: Sie waren vor gut drei Jahren als Chefunterhändlerin der philippinischen Regierung die erste Frau weltweit, die einen Friedensvertrag mit einer Rebellengruppe unterzeichnet hat. Und diesen Podestplatz hat Ihnen meines Wissens bis jetzt noch niemand streitig gemacht. Bei jener Rebellengruppe handelte es sich um die Moro Islamic Liberation Front (MILF) von Mindanao, der zweitgrössten Insel der Philippinen, die während Jahrzehnten mit philippinischen Regierungstruppen Krieg geführt hatte. Monatelang sassen Sie von Angesicht zu Angesicht mit dem Führer der Rebellen in einem getäferten Raum auf neutralem Grund in Malaysia. Sie sollen, sagte er später, der härteste Verhandlungspartner gewesen sein, den er je hatte. Damit gab er Ihnen zu verstehen, wie sehr er Sie respektierte.
Sie mögen sich fragen, warum ich Sie grad jetzt mit diesen Zeilen ins Scheinwerferlicht rücke. Denn drei Jahre sind eine lange Zeit. Aber ich mag Beharrlichkeit, Leidenschaft, unbeirrbares Engagement jenseits jeglichen Rampenlichts. Denn es sind schliesslich diese Eigenschaften, die Veränderungen bewirken – und es sind die Eigenschaften, die Sie auszeichnen.
Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, mit Ihnen zusammenzusitzen. Wir trafen uns im Büro der NGO FriedensFrauen Weltweit in Bern. Sie waren für einige Tage in der Schweiz, um an Vorträgen und Workshops das Bewusstsein dafür zu stärken, dass Frauen gleichermassen wie Männer an Friedensprozessen beteiligt sein müssen. Denn nicht nur machen sich Frauen eher für frauenspezifische Anliegen stark, sondern bringen generell ergänzende Sichtweisen und Kenntnisse mit ein, dank derer sich die Chancen erhöhen, dass ein Friedensvertrag überhaupt geschlossen wird. Wir tranken Tee, es war, als kannten wir uns schon lang. In Ihrer Stimme schwang stets ein leises Lächeln mit.
Sie haben sich Ihre Wahl zur Chefunterhändlerin hart erarbeitet. Hatten nebst Ihrer Tätigkeit als Politologieprofessorin unter anderem die Co-Leitung des Teams inne, das für den Entwurf des Nationalen Aktionsplans der Uno-Resolution zu Frauen, Frieden und Sicherheit beauftragt war, der später von der philippinischen Regierung übernommen wurde. Als man dann jemanden suchte, der im Namen der Regierung die Verhandlungen mit den Rebellen leiten könnte, entschied man sich für Sie. Der damalige Präsident Aquino ging mit dieser Wahl ein Risiko ein, da man nicht wusste, ob die Rebellen überhaupt mit einer Frau verhandeln würden. Die Rebellen hatten denn auch ihre Zweifel darüber geäussert, weil sie fürchteten, ihnen würden durch die Anwesenheit einer Frau in den Diskussionen die Hände gebunden, allem voran aber deshalb, weil es sich für sie nicht ziemte, einer Frau die Hand zu reichen. Doch der Präsident war überzeugt, dass Sie die richtige Person für dieses Unterfangen waren. Er gab Ihnen grünes Licht.
Anfänglich waren die Verhandlungen auch für Sie unangenehm, denn der Rebellenführer schaute Sie während der Gespräche nicht an, sondern schielte demonstrativ an Ihnen vorbei auf den Boden. Das war sehr irritierend, sagen Sie beim Tee in Bern. Sie versuchten aber gelassen zu bleiben, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Mit der Zeit gelang es Ihnen, Vertrauen aufzubauen und diese Barrieren zu überwinden – was auch bedeutete, dass der Rebellenführer nicht darum herum kam, Ihnen die Hand zu geben. Denn werden Dokumente getauscht und unterschrieben, gehört der Handschlag dazu. Einmal erlaubten Sie sich nach dem Händeschütteln gar einen kleinen Scherz: Als Ihnen ein malaischer Kollege, der aus der königlichen Familie des Landes stammte und den Verhandlungen als Vermittler beiwohnte, spontan gestand: «Oh, das war nun auch für mich das erste Mal, dass ich einer Frau die Hand gab!», entgegneten Sie schmunzelnd: «Und es war das erste Mal, dass ich einem Prinzen die Hand reichte!» Damit war das Eis wohl endgültig gebrochen.
Die Leichtigkeit, mit der Sie von Ihrer Arbeit erzählen, täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass die Tage am Verhandlungstisch oft Knochenarbeit sind. Arbeit, bei der nicht selten um Formulierungen oder gar einzelne Worte gerungen wird. So setzten Sie sich zum Beispiel hartnäckig dafür ein, dass der Friedensvertrag Frauen auf beiden Seiten die «sinnvolle Teilnahme am politischen Geschehen» garantiert und betonten dabei das Wort «sinnvoll». Denn Sie wollten vermeiden, dass Frauen innerhalb der Politik bloss eine Alibifunktion zugestanden würde. Das aber bereitete den Abgeordneten der Moro Islamic Liberation Front Unbehagen. Sie wollten wissen, was genau Sie mit «sinnvoll» meinten, denn sie waren besorgt darüber, was es für sie bedeuten würde, welche Zugeständnisse sie an Frauen machen müssten, sollte das Wort «sinnvoll» im Vertrag stehen. Stundenlang wurde über das Wort diskutiert, dessen Dimensionen ausgeleuchtet, bis Sie das Ringen wie folgt beendeten: «Sinnvoll ist das Gegenteil von sinnlos. Und wer entscheidet, ob politische Teilnahme Sinn macht oder nicht? Das definiert doch jede Person für sich selbst, oder? Sieht eine Frau also einen Sinn darin, was sie politisch tut, dann ist diese Aktivität sinnvoll, sonst ist sie eben sinnlos.» Gegen diese Argumentation hatten die Rebellen nichts mehr einzuwenden.
Letztes Jahr sind in Mindanao wieder Kämpfe ausgebrochen. Zwar kämpften nicht mehr, wie früher, Regierungstruppen und die Moro Islamic Liberation Front gegeneinander. Der Friedensvertrag zwischen diesen beiden Fronten, den Sie vor drei Jahren unterzeichnet haben, ist intakt. Doch die MILF wird von einer IS-affinen Gruppe herausgefordert, die auf Mindanao einen Islamischen Staat errichten will. Das ist alarmierend. Zumal die neue philippinische Regierung unter Präsident Duterte die Umsetzung des Friedensvertrags verzögert. Diesen Monat aber soll der Kongress ein Gesetz verabschieden, das wieder Bewegung in den Friedensprozess bringt. Ein Lichtblick. Immerhin.
Anderswo sieht es düsterer aus, geht das Tauziehen um den Frieden weiter, droht sich in einer Endlosschlaufe zu verlieren, wie es derzeit in Syrien, Palästina, im Südsudan und im Jemen der Fall ist. Als ich Sie fragte, ob Sie – Hand aufs Herz – überhaupt noch an den Frieden glauben, antworteten Sie verblüfft: «Oh ja! Wie könnte ich nicht an Frieden glauben! Würde ich es nicht tun, wäre es ja wie aufzugeben und alles zu akzeptieren, was falsch läuft. All die Kriege und Konflikte, mit denen wir heute konfrontiert sind, sind menschengemacht – was bedeutet, dass Menschen auch eine gerechtere, friedlichere Weltordnung hervorbringen können, wenn sie sich dafür entscheiden wollen.» Also machen Sie einfach weiter und arbeiten darauf hin, dass der Wille wächst, sich für Frieden zu entscheiden. Seit Beginn dieses Jahres sind Sie Mitglied des UN Standby Mediation Team, einer Expertengruppe, deren Mitglieder auf Abruf bereitstehen, um Uno-Gremien bei Friedensverhandlungen zu unterstützen. Und im Juni kommen Sie wieder in die Schweiz. Vielleicht treffen wir uns dann erneut auf eine gepflegte Tasse Tee. Es würde mich sehr freuen.
Ihre Helene Aecherli