Liebe Marie Kondo
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Derzeit ist die ganze Welt verrückt nach Ihnen. Schon Ihre drei Bücher zu Magic Cleaning haben eingeschlagen wie eine Bombe, nun toppt Ihre neue Netflix-Serie «Aufräumen mit Marie Kondo» das Ganze gefühlt um ein Vielfaches. Gibt es ein Medium, das derzeit nicht über Sie schreibt? Viele, mit denen ich über Ihre Methoden spreche, sagen mir, dass sie es selbst ausprobiert und tatsächlich eine Verbesserung im Alltag aber auch grundsätzlich im Leben beobachten konnten. Von aussen betrachtet, belächelt man diese Aussage vielleicht ein wenig. Wie soll das Ausmisten und Aufräumen im eigenen Zuhause zu mehr Glück oder mentalem Wohlbefinden führen? Doch sich damit zu befassen, wie wenig uns eigentlich wirklich tief berührt und etwas bedeutet von all dem, was uns täglich an Materiellem umgibt, ist gleichermassen erschreckend wie befreiend.
Natürlich gehen Sie mit Ihrer Dauerpräsenz in den Medien auch vielen auf die Nerven. Manche Leute kritisieren Sie für das Netflix-Format, in dem Sie anderen dabei helfen, Ballast loszuwerden. Auch ich war irgendwann ein wenig angeödet von der Serie – schliesslich wiederholt sich alles immer und immer wieder: Chaos. Marie Kondo. System. Glück.
Deshalb gratuliere ich Ihnen heute auch nicht zu Ihrem beachtlichen Erfolg und all den hübsch aufgeräumten Haushalten rund um den Globus. Ich gratuliere Ihnen zu etwas weitaus Wichtigerem. Sie haben es geschafft, eine Tätigkeit, die wir alle nur widerwillig ausführen, in etwas zu verwandeln, das wir nicht nur gern machen, sondern von dem wir glauben, dass es uns glücklicher macht. Sie haben das Loswerden von Dingen, das Entrümpeln und Sortieren in eine meditative Aufgabe verwandelt, ja sogar in eine Lebenseinstellung. Das ist phänomenal! Und es lässt die Frage aufkommen, ob das nicht mit allem möglich ist, das uns nervt. Ob wir aus den Dingen, die uns belasten, die wir als notwendiges Übel erachten, nicht etwas machen können, das uns gut tut. So würde das Fensterputzen plötzlich den Geist reinigen, der Bügelberg zum Tempel kreativer Ideen mutieren oder das Ausfüllen der Steuererklärung Erleuchtung in finanzielle Belange bringen. Wie viel leichter wäre das Leben, wenn wir tatsächlich in allem etwas Gutes entdecken könnten und wenn uns selbst die banalsten Banalitäten etwas Glück ins Leben bringen würden. Sie zeigen, dass das geht und dass es nichts mit der Arbeit an sich zu tun hat – ob nun T-Shirts im Konmari-Style falten oder Ihr Ordnungssystem verinnerlichen, sondern dass es die Haltung ist, die wir einnehmen.
Ich bin tatsächlich ein grosser Fan von Vorsätzen – nicht nur zum Jahresbeginn, sondern immer dann, wenn ich mich weiterentwickeln möchte. Dank Ihnen, liebe Marie Kondo, will ich ganz besonders den mühsamen Dingen in meinem Leben vermehrt Aufmerksamkeit schenken und mir überlegen, was sie mich lehren und ob sie nicht doch auch ein kleines bisschen Glück enthalten. Ihre Methode ist für mich nicht der Weg zu weniger Ballast in der Wohnung, sondern zu einer neuen Einstellung dem gegenüber, was vordergründig nervt. Danke dafür!
Herzlich, Julia Heim