Liebe Mariah Carey
- Text: Kerstin Hasse; Foto: GettyImages
Ich bin ein Kind der 90er-Jahre, Sie sind ein Star der 90er-Jahre. Unsere Leben sind miteinander verbunden, denn Sie haben den Soundtrack zu meiner Kindheit geliefert.
Die 90er, das waren Ihre goldenen Zeiten, die Zeiten von Songs wie «Emotions» und «Hero» oder diesem einen, grossartigen «Without you»-Cover. Die Zeiten von schnulzigen RnB-Rythmen und Musikvideos in Sepiatönen, bei denen stets irgendwo im Hintergrund zehn Windmaschinen liefen. Von Lipliner, Slip-Dresses und wilder Lockenmähne. Es waren die Zeiten, in denen ich in jedes Freundschaftsbuch als Lieblingsmusikerin in krakliger Schrift Ihren Namen eintrug.
Sie verkauften damals mehr Platten als alle anderen Künstlerinnen und Künstler. Sie wurden bei den World Music Awards im Jahr 2000 sogar mit dem Millennium Award als erfolgreichste Künstlerin des letzten Jahrzehnts ausgezeichnet. Sie waren die Beyoncé der 90er-Jahre.
Das neue Jahrtausend brach an und irgendwie wurde alles schwieriger. Die Musikindustrie änderte sich und damit taten Sie sich schwer. Sie versuchten sich im Film «Glitter» als Schauspielerin – wir wissen beide, dass das nicht Ihre Sternstunde im Showgeschäft war. Ihre Plattenfirma warf Sie raus, Sie hatten psychische Probleme und irgendwie lief alles nicht mehr so rund, wie noch ein paar Jahre zuvor.
Aber hey, Sie sind Mariah Carey! Sie lassen sich nicht so schnell unterkriegen, das haben Sie in Ihrer Karriere immer wieder bewiesen. Sie fingen sich wieder, Sie brachten neue Songs und Alben heraus. Sie passten sich den neuen Zeiten an. Ihre Videos wurden sexier, der Rhythmus smoother. Leider litt unter dieser Veränderung Ihre Natürlichkeit ein wenig, Ihre Lippen und Ihr Dekolleté wurden immer üppiger und Ihr Gesicht immer straffer. Der Lipliner aber ist geblieben, die Mähne auch, wenn auch geglättet – und natürlich Ihre Stimmgewalt, die bis heute echt beeindruckend ist.
Richtig gefunden haben wir uns nicht mehr. Ich wurde älter, mein Geschmack veränderte sich. Aber auch wenn ich mir Ihre neue Musik nicht mehr anhöre, fühle ich mich noch immer mit Ihnen verbunden. Ihre grossen Hits, die jetzt gerade durch meine Kopfhörer schallen, während ich diese Zeilen schreibe, verleihen mir jedes Mal einen wunderbaren, süssen Nineties-Flashback.
Und dann ist da dieser eine Song, den ich mir Jahr für Jahr pünktlich zur Weihnachtszeit gefühlt hundertmal anhöre. Mit «All I Want for Christmas» haben Sie eine der schönsten Weihnachtshymnen geschrieben, die es gibt. Und dafür werde ich – eine bekennende Christmas-Kitsch-Enthusiastin – Ihnen für immer dankbar sein. Ein paar Klänge davon reichen und ich bin in Weihnachtsstimmung. Jede Zeile kann ich in- und auswendig.
«I just want you for my own,
more than you could ever know.
Make my wish come true
Baby all I want for Christmas is you!»
Tausende, ja Millionen von Menschen, werden Ihren Song über die kommenden Festtage hören. Einige Grinches werden sich nerven, viele andere aber werden dazu tanzen, sie werden lautstark mitsingen und sich über Ihren Klassiker freuen. Ich werde das sicher tun. Denn Weihnachten ohne Mariah Carey, das geht nicht.
Merry Christmas!
Kerstin Hasse