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Liebe Margrethe Vestager

Liebe Margrethe Vestager

  • Text: Claudia Senn; Foto: Getty Images

Ich bin nicht der Typ, dem es leicht fällt, andere zu bewundern. Nach drei Jahrzehnten im Journalismus weiss ich nur allzu gut, dass der Held, der von der Öffentlichkeit gefeiert wird, zuhause ein armes Würstchen sein kann, sobald die Kameras aus sind. Doch bei Ihnen muss ich eine Ausnahme machen. Wenn es eine Frau gibt, die Eier hat, dann Sie!

2014 wurden Sie zur EU-Kommissarin für Wettbewerb berufen, das klingt nach Amtsschimmel und Bürokratie. Doch in Wirklichkeit sind Sie die stärkste Frau Brüssels. Sie können Unternehmen bestrafen, auch die grössten. Sie können Regierungen verurteilen, auch die mächtigsten. Multinationale Grosskonzerne zittern vor Ihnen, illegale Kartelle, Staaten mit zwielichtiger Steuerpolitik. Ich wüsste wirklich gern, wie Sie nachts noch ein Auge zukriegen – bei den Gegnern, die Sie sich ausgesucht haben!

Eben haben Sie Google zu einer Rekordbusse von 4.3 Milliarden Euro verurteilt, weil der Internetriese mit dem Betriebssystem Android seine Marktmacht bei Smartphones missbraucht hatte. Davor war Irland dran, das nun von Apple 13 Milliarden Euro Steuern nachfordern muss, Geld, das dem Staat entgangen war, weil er dem Konzern bloss 0.005 Prozent Steuern abgeknöpft hatte. 13 Milliarden! Das entspricht dem Bruttoinlandprodukt von Somalia und der Republik Kongo zusammen! Danke, MargretheVestager, dass Sie in dieser perversen Welt ein paar Dinge geraderücken. Dafür sollte man Ihnen dringend einen Orden verleihen.

Mir gefällt aber nicht nur, was Sie tun, sondern auch, wie Sie es tun. Ihr Büro ist voller Erinnerungsstücke und Familienfotos, «damit andere spüren, mit was für einem Menschen sie es zu tun haben». Besonders markant ist eine Hand aus weissem Gips mit Stinkfinger – ein Geschenk von einer Gruppe Langzeitarbeitsloser, die damit gegen eine harte Sozialreform protestierten, die Sie in Dänemark einst durchgeboxt hatten. Die Hand würde Sie immer daran erinnern, dass es Leute gebe, die anderer Meinung sind als Sie selbst, sagten Sie in einem Interview. Sie leben mit Ihrem Mann und den Töchtern in einer ganz normalen Stadtwohnung, Sie gehen 5-mal die Woche joggen, weil Sie früher mal zu dick waren, Sie stricken in der Freizeit kleine Elefanten, Sie mögen den Bruce-Willis-Actionfilm «Die Hard» – Sie sind so nahbar, wie es eine Spitzenpolitikerin nur sein kann. Könnten Sie unserem verknorzten Johann Schneider-Ammann nicht ein bisschen was davon abgeben?

Mit 30 waren Sie in Dänemark bereits Ministerin. Machen wir uns nichts vor: So hoch steigt man nicht auf, indem man seine Konkurrenten aus dem Weg streichelt. Sie können bestimmt ein ganz schönes Biest sein. Ich klammere mich jedoch an die Hoffnung, dass Sie ein anständiges Biest sind. So wie Birgitte Nyborg, die Hauptfigur der dänischen Politserie «Borgen». Schliesslich hatte sich die Darstellerin von Nyborg zur Vorbereitung auf die Dreharbeiten einige Zeit an Ihre Fersen geheftet, um von Ihnen die richtige Mischung aus Machtbewusstsein und Menschlichkeit abzuschauen.

Sie suchen die Macht. Sie mögen sie auch. Selbstzweck aber scheint sie für Sie nicht zu sein. Das ist es, was ich an Ihnen bewundere. Bitte bleiben Sie so furchtlos. Damit wir weiterhin von der Politik regiert werden. Und nicht von internationalen Grosskonzernen.

Herzlich, Ihre Claudia Senn

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