Liebe Lena Dunham
- Text: Viviane Stadelmann; Foto: Getty Images
Die Weihnachtstage sind vorüber und mit ihnen die gemütlichen Stunden auf dem Sofa mit alten Lieblingsserien. Als pubertierendes Mädchen wuchs ich mit Seriencharakteren auf, die vordergründig folgendes gemeinsam hatten: blond, beliebt, schön und generell mit dem Leben ständig am hadern.
Dank Marissa Cooper von «O.C. California» lernte ich, dass man zwar superreich, superbeliebt und superschön sein kann, aber trotzdem nicht davor gefeit ist, sich eigenhändig ein Drogenproblem aufzuhalsen. Dann kam Serena van der Woodsen aus «Gossip Girl» – ebenfalls superreich, superbeliebt, superschön. Sie brockte sich laufend mühsame Männergeschichten ein, dokumentiert von einem fiesen Smartphone-Stalker, der dann absurderweise ihr Ex-Freund war und zukünftiger Ehemann wurde. Daraus lernte ich, zum Glück, nichts. Carrie Bradshaw aus «Sex and the City» war zwar um einiges charmanter und der Sex wurde dank ihrer Freundin Samantha offener diskutiert, die Serie war aber nicht weniger klischiert. Immerhin lernte ich bei SATC ein wenig über Mode, dafür überhaupt nichts über die finanzielle Realität einer Kolumnenschreiberin.
Und dann kam «Girls». Da waren vier Freundinnen, zwar auch alle irgendwie mit dem Leben im Zwiespalt, aber auf einmal war etwas anders. Es war echt. Erfrischend echt.
Allen voran Hannah Horvath, die mit ihren Granny Panties seltsamen Sex in Nahaufnahme hatte und kein Blatt vor den Mund nahm. Sie, liebe Lena Dunham, schrieben das Drehbuch und spielten eine Figur, die weder Heldin noch Anti-Heldin war. Sie zeigten Freundschaft und Beziehungen mit all diesen absurden Zwischentönen und nonkonformen Momenten, die man sonst gern aus der eigenen Story rauslässt, um nicht zugeben zu müssen, dass die Komödie eher eine Tragödie war. Sie schafften es mit der Serie, die Ihnen zahlreiche Awards einbrachte, die Zuschauer aus ihrer Komfortzone zu reissen und ihnen gleichzeitig eine neue zu schenken. Indem Sie der Welt zeigten, dass nicht nur mit den gängigen Stereotypen grosses Serienkino erschaffen werden kann. Und indem Sie Millionen von Mädchen zeigten, dass weder superreich, superschön noch superbeliebt Voraussetzungen sind, um eine grossartige (und auch beschissene) Twenty-Something-Zeit zu erleben.
Auch im realen Leben sind Sie laut, unangepasst und so radikal ehrlich, dass man manchmal lieber weghören möchte. Ich kann verstehen, wenn Sie einigen auf die Nerven gehen, weil Sie den Finger gern wieder und wieder auf schmerzhafte Wunden pressen. Denn Sie führen auch nach «Girls» den Kampf für mehr Realität und gegen Verblendung fort. Ihre eigene Leidensgeschichte der Endometriose mit starken Unterleibsschmerzen und einer daraus resultierenden Eierstockentfernung dokumentierten Sie schonungslos in den Social Media. Sie posten Bilder von sich auf Instagram, auf welchen Sie nach gängigen Schönheitsidealen gut aussehen und auf anderen nicht – und schreiben darunter, dass es Ihnen viel besser geht auf dem Foto, von dem man es nicht erwarten würde. Sie zeigen damit, dass die aktuelle Gefühlslage nichts mit dem Bild zu tun hat, das man nach aussen trägt. Das empfinde ich als wichtigen Beitrag für die Öffentlichkeit. Die Kommentare unter Ihren Post beweisen, dass es nicht nur mir so geht.
Liebe Lena Dunham, bitte bleiben Sie so echt, humorvoll und anstrengend.
Herzlich, Viviane Stadelmann