Einige Monate nach Ihrer Knieverletzung sind Sie nun wieder zurück und machen dort weiter, wo Sie im Februar aufgehört haben – ganz oben. Allein das verdient grössten Respekt. Wirft man dann noch einen Blick auf Ihre Vita, so gleicht sie spannungsmässig einer guten Abfahrt auf der Streif. Auch bei Ihnen ist alles dabei: Favoritenrollen, Überraschungen, Rückschläge und Niederlagen. Im Alter von 17 Jahren durften Sie sich bereits als jüngste Siegerin eines Super-G-Weltcuprennens bezeichnen, darauf folgten unter anderem fünf Medaillen bei Weltmeisterschaften, eine Bronzemedaille bei den Olympischen Winterspielen, 23 Weltcupsiege sowie der Gesamtweltcupsieg im Jahr 2016. Kurz: Wow!
Ihre Karriere schien Sie schlagartig in den Skihimmel zu katapultieren, und spätestens nachdem Sie 2008 mit nur einem Ski in St. Moritz ins Ziel stürzten und dabei trotzdem noch auf dem Podest landeten, lagen Ihnen sämtliche Herzen zu Füssen. Man feierte Sie: als Nachwuchsstar, Ausnahmetalent, Hoffnungsträgerin. Für Ihre Unerschrockenheit wurden Sie von Fans und Medien gelobt, von Ihren Konkurrentinnen dafür beneidet. Und eben diese Unerschrockenheit wurde Ihnen später zum Verhängnis.
Arrogante Zicke, verwöhntes Gör, Aussenseiterin hiess es dann. Warum? Weil Sie sich nicht verbiegen liessen, weder von Medien noch von Kritikern. Weil Sie sich an den Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen schon lang lieber auf die Rennen fokussieren wollten anstatt viel Zeit und Energie für Interviews und Fernsehauftritte aufzuwenden. Weil Sie an der WM in St. Moritz vergangenen Winter über ein sehr gutes Resultat enttäuscht waren in einem Moment, in dem Sie genau wussten: Es wäre eigentlich mehr dringelegen. Weil Sie zu jeder Zeit genau wussten, was Sie wollten und brauchten, und sich dies – ganz untypisch und folglich auch ungewohnt und unsympathisch für das Schweizer Gemüt – eben auch nahmen. Sie wurden und werden noch immer dafür kritisiert, dass Sie das sind, was so viele so gern wären: eine starke, schöne, humorvolle, zielstrebige, unabhängige und furchtlose junge Frau. Eine Frau, die sich selbst treu bleibt.
Manch einer wird an dieser Stelle wohl intervenieren: Das seien Sie Ihren Fans, Ihren Sponsoren schuldig. Die Interviews und die Medienpräsenz gehören zum Job. Doch im Endeffekt sind Sie in erster Linie nicht Skistar und Prominente, sondern nur eins: Mensch. Und Sie haben das gute Recht, Ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äussern, sich zurückzuziehen, wann immer Ihnen danach ist. Natürlich gefällt das so nicht jedem. Und natürlich ist es auch für Sie nicht einfach, mit diesem Missfallen umzugehen. Ich möchte mich aus diesem Grund und an dieser Stelle bei Ihnen, Lara Gut, bedanken: Danke, dass Sie sich diesem Druck, ständig für andere perfekt zu sein, nicht beugen. Danke, dass Sie Frauen jeder Altersgruppe ein Vorbild sind und zeigen, dass man eben nicht immer darauf achten muss und soll, was die grosse weite Welt von einem denkt. Dass es auch okay ist, wenn man seine eigenen Ziele über die Interessen derer stellt, die anscheinend oft nichts Besseres zu tun haben, als über andere zu urteilen. Dass es okay ist, zwischendurch mal egoistisch zu sein und einfach auf Herz und Bauch zu hören.
Die Herzen aller werden Sie auf diese Weise nicht gewinnen, das mag stimmen. Meins haben Sie aber genau so gewonnen.
Herzlich, Jessica Prinz