Liebe Kathrin Lehmann
- Text: Jessica Prinz; Foto: SRF
Einmal mehr ist es so weit: Die ganze Welt dreht sich um Fussball. Angebote für Public Viewings und Tippspiele prasseln auf uns ein, das Bier ist schon lang kalt gestellt für den Anpfiff. Auch wenn ich mich nicht als grossen Fussballfan bezeichnen würde, ein wenig freue ich mich dann doch auf die WM – wie immer. Besonders freue ich mich auf Ihre Kommentare, wie den folgenden, den ich letzten Sonntag im Radio SRF3 hörte: «Schweizer Nati und attraktives Spiel? Das wird in einem Synonymduden nie beieinanderstehen.» Ich musste lachen und war wieder einmal überrascht, wie gern ich Ihnen zuhöre, wenns um Fussball geht.
Sie müssen wissen, mein Freund ist ganz besessen von diesem Sport, weswegen mir die ewigen Analysen und Fachsimpeleien oft ein wenig auf die Nerven gehen. Ihre Wortwahl hingegen ist richtig anmächelig. «Ha, es geht ja auch spannend», denke ich mir und frage mich gleichzeitig, was wohl die Männerwelt von Ihren Kommentaren hält – schliesslich ist Fussball noch immer und ganz zu Unrecht ein völlig machoides Konstrukt, in dem Sportmoderatorinnen oft Mühe haben, ernst genommen zu werden. Lang muss ich nicht überlegen, schon sagt mein Freund: «Die Lehmann, die macht das so sympathisch.» Im Gegensatz zu anderen Fussballexperten verzichten Sie auf den üblichen, aufgesetzten Fachjargon, bedienen sich einer natürlichen Sprache, die für alle verständlich ist und die Sie dennoch nicht diskreditiert oder als «ahnungslose Frau» abstempelt. Ungeschminkt und geradeheraus analysieren Sie Spielzüge und prognostizieren Taktiken. Würden Sie öfter kommentieren, würde ich lieber Fussball schauen.
Wenn ich Ihnen zuhöre, kann ich mir bildlich vorstellen, wie Sie schmunzelnd vor dem Mikrofon sitzen. Man hört die Leidenschaft, die Sie für den Sport und Ihren Job empfinden. Diese Leidenschaft führte Sie nicht nur zu Ihrem jetzigen Beruf, sondern vorher schon ganz an die Spitze des Profisports – in zwei verschiedenen Sportarten! Beim Eishockey schossen Sie in 242 Länderspielen über 100 Tore als Stürmerin der Nationalmannschaft. Als Goalie der Fussballnationalmannschaft kassierten Sie in 31 Länderspielen ab und zu mal eines. 1999 wurden Sie Schweizer Fussballerin des Jahres. Das nenn ich eine Ansage. Sie vereinen scheinbar spielend leicht, was andere für unmöglich halten, einfach, weil Sie es können und wollen. Denn wieso sich entscheiden, wenn beides möglich ist?
Diese Einstellung bewundere ich nicht nur, ich versuche auch, ein wenig danach zu leben. Auch ich bin überzeugt, dass man sich Grenzen nur selbst stecken kann und dass es Mut bedarf, einen Karriereweg zu wählen, von dem andere einem abraten würden. Man muss sich und anderen immer wieder sagen: «Ich kann das!» Auch Ihren Trainern mussten Sie sich anfangs entgegenstellen, versichern, dass Sie den Spagat zwischen Winter- und Sommersport schaffen. Das haben Sie eindrücklich bewiesen. Zu gern stelle ich mir vor, wie Sie in Ihrer Münchner Wohnung sitzen – mit Ihrem Hund Tschutti neben sich und einem Lächeln auf dem Gesicht – und sich ausmalen: Wie fordere ich mich als Nächstes selbst heraus?
Es bleibt spannend bei Ihnen – wohl spannender als die Fussballresultate der Schweizer Nati.
Herzliche Grüsse an die WM nach Russland und Prost,
Jessica Prinz