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Liebe Katharine Viner

Liebe Katharine Viner

  • Text: Stephanie Hess; Bild: Getty Images

Sie sind Good News – vor allem in Zeiten wie diesen, in denen es aus der Journalismusbranche ansonsten kaum Gutes zu berichten gibt. Schlechte Leserzahlen, rückläufige Anzeigeneinnahmen, die Verbreitung von Fake News und die werbebasierte Informationsübermacht von Grossplayern wie Google und Facebook. 

Es mag erst einmal nicht wahnsinnig bahnbrechend klingen, aber Sie haben als Chefredaktorin der renommierten britischen Zeitung «The Guardian» mit Ihrem Team für das letzte Geschäftsjahr ein Plus von 800 000 Pfund verzeichnet. Man muss dazu aber erwähnen: Zuvor hatte der linke «Guardian» wie so viele Traditionsmedienhäuser jahrelang riesige Verluste eingefahren, im letzten Jahr 19 Millionen Pfund, die jeweils von der Trägerstiftung aufgefangen wurden. Bevor Sie 2014 antraten, sagten viele der Zeitung ihren Untergang voraus.

Den haben Sie vorerst abgewendet. Indem Sie das einstige Grossformat der Printversion auf Tabloid verkleinerten. An der in den Jahren zuvor etablierten, radikalen Online-First-Strategie aber hielten Sie fest – führten aber eine neue Transparenz ein: Sie sagen frank und frei, wie mies es um den Journalismus steht. Und zwar jedes Mal, wenn man auf einen Artikel klickt. Dann ploppt ein leuchtgelbes Banner auf, worauf Ihre Überzeugung zu lesen ist: dass alle Menschen freien Zugang zu umfassend und seriös recherchierten Inhalten haben sollten. Dass das aber koste. Wer könne, solle doch bitte spenden. 

Als Chefredaktorin betonen Sie damit, was leider immer noch viel zu wenige Leserinnen und Leser zu wissen scheinen: Die alten Finanzierungsmodelle über Werbung haben auch bei den renommiertesten Zeitungen längst ausgedient. Guter und damit unabhängiger Journalismus braucht neue Geldquellen. Gerade auch um so gesellschaftsrelevante Scoops zu finanzieren, für die der «Guardian» bekannt ist. «Guardian»-Journalistinnen und -Journalisten recherchierten oft monatelang für die Aufdeckstories über den Abhörskandal von Promi-Telefonen durch Murdoch-Medien, über das exzessive Datensammeln von Cambridge Analytica, über die Enthüllung der Überwachungspraktiken der US-Geheimdienste durch Edward Snowden. Das kostet. Und kann der Journalismus diesen Aufgaben aus finanziellen Gründen nicht mehr umfassend nachkommen, hat er ein Problem. Der Philosoph Jürgen Habermas sagte: «Wenn Umorganisation und Einsparungen die gewohnten journalistischen Standards gefährden, wird die politische Öffentlichkeit im Mark getroffen.» Das Zitat habe ich nicht selber gefunden. Es stammt aus einer Ihrer Analysen zur digitalen Informations- und Wahrheitsordnung. 

Dass Sie den Weg der Transparenz gehen, zeigt, dass Sie keine Mühe haben zu sagen, wenn etwas schlecht läuft. Dass Sie Schwäche zeigen können. Sie werten das Versagen der Medienwelt nicht als persönliches Debakel. Vielleicht können Sie sich besser abgrenzen, weil Sie so anders sind als Ihre Vorgänger: weiblich – die erste Chefredaktorin in der fast 200-jährigen Geschichte des «Guardian» – und anscheinend ohne Dünkel. Zuvor arbeiteten Sie als eher linke Journalistin bei der konservativen «Sunday Times» und vorher bei «Cosmopolitan», einer von Establishment-Medien gern belächelten Frauenzeitschrift. 

In einem Gespräch mit der «Süddeutschen Zeitung» sagten Sie vor kurzem, dass Sie als junge Frau dachten, Journalismus sei etwas für «Männer in Anzügen in der Londoner City». Aber dann gewannen Sie als Geschichtsstudentin einen Wettbewerb und verantworteten eine Woche lang die Frauenseiten des «Guardian» (Es scheint, dass «weiche Frauenthemen» auch im progressiven «Guardian» nicht so leicht als normale Berichterstattung angesehen werden konnten). Als Sie Lob dafür erhielten, sei das wie eine Offenbarung gewesen. Seither, sagten Sie im Interview, bemühten Sie sich, vor allem Arbeitskolleginnen immer zu sagen, was eigentlich meist offensichtlich sei – nämlich: Du bist gut.

So schlicht ist es, Ihr Erfolgsrezept: sagen, wenn etwas gut ist. Und eben auch, wenn etwas weniger gut läuft. Beim «Guardian» führte der Spendenaufruf dazu, dass inzwischen 665 000 Ihrer Leserinnen und Leser freiwillig für Journalismus bezahlen. Daneben setzen Sie weiterhin auf Werbung und auf Kooperationen mit Stiftungen. Der «Guardian» hat derzeit monatlich 1.35 Milliarden Seitenaufrufe, der Grossteil kommt aus dem Ausland. Das sind doppelt so viel wie vor drei Jahren. Für das kommende Jahr prophezeien Sie einen weiteren Anstieg auf 2 Milliarden. Ich glaube, dass Sie das schaffen. Denn, das möchte ich Ihnen sagen, auch wenn es offensichtlich ist: Sie sind schlicht gut. 

Herzlich,
Stephanie Hess