Stephin Merritt von der New Yorker Band The Magnetic Fields hat seine Autobiografie in Form von 50 Songs geschrieben.
Stephin Merritt, sind Sie ein Autobiografienleser?
Ich lese fast alles. Zurzeit arbeite ich mich durch David Pringles Liste der besten 100 Science-Fiction-Romane. Danach freue ich mich auf die Autobiografie von Grace Jones.
Welche Autobiografien empfehlen Sie wärmstens?
Die von Harpo Marx, Devine und Ikutaro Kakehashi, dem Erfinder des Drumcomputers TR-808.
Ihr neues Album ist ebenfalls autobiografisch: 50 Songs für 50 Lebensjahre.
Einige gehen zurück in die Achtziger, zum Beispiel «At the Pyramid», ein Lied über den legendären New Yorker Dragqueen Club. Für andere Episoden hatte ich in staubigen Notizbüchern gestöbert oder meine Mutter befragt. Ohne sie hätte ich Mühe gehabt, mich zu erinnern, wann genau ich in Hawaii gewohnt oder «Ethan Frome» von Edith Wharton gelesen hatte.
Klingt nach Katharsis.
Katharsis ist für Amateure. Beim Songschreiben geht es mir weder um Selbsterkenntnis noch um den kreativen Ausdruck.
Um was denn sonst?
Ich mag es einfach, Songs zu schreiben. So wie ich gern Kreuzworträtsel löse und mit meinen Chihuahuas spazierengehe. Man soll nicht zu viel Zweck in die Musik hineininterpretieren. Utilitarismus finden nur Idioten spannend.
Dann ist Ihr «50 Song Memoir» kein persönlicher Ausdruck?
Sie werden zumindest nicht viel Aufschlussreiches über meine Person erfahren. Höchstens etwas über meine Plattensammlung. Die wiederum sagt etwas über den Besitzer aus …
Welche Alben haben Ihr Leben nachhaltig beschallt?
Ich kann keine einzelnen Platten nennen, nur Künstler, die ich schätze: Margaret Leng Tan, John Foxx, The Electric Prunes, Kate Bush, Tom Waits, Philip Glass, Laurie Anderson, Astrud Gilberto. Oft sind es kleine Details, die mich an einem Song faszinieren.
Zum Beispiel?
Gestern sass ich in einem Restaurant. Da tönte diese tolle Doo-Wop-Musik aus gigantischen Lautsprechern, abgespielt in mieser Qualität von irgendeinem doofen Smartphone. Statt «Bee doo bee doo bee doo» klang der Gesang wie «Vrrit! Whulp? Frick! Hump? Pish? Zoo!». Das fand ich lustig. Was der Zuhörer in einem Song hört, ist viel entscheidender als die Musik selbst. Jeder, der schon mal einen Joint geraucht hat, weiss das. Man findet ein Endlosgitarrensolo geil, das einen nüchtern umbringen würde.
Bekannt wurden Sie mit dem Album «69 Love Songs». Wie schreibt man Liebeslieder, ohne pathetisch zu klingen?
Indem man vor Pathos nicht zurückschreckt. Liebe ist immer pathetisch! Lächerlich und beschämend und erniedrigend und schrecklich und beknackt. Warum soll man da nicht pathetisch klingen wollen?
Hinweis: «50 Song Memoir» der Band The Magnetic Fields gibt es im Fachhandel.
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Stephin Merritt