Als vor acht Jahren ihr zweites Album «Ceremonials» auf den Markt kam, sass ich kurze Zeit später in einem klapprigen Propellerflugzeug nach Nepal. Mit dabei im spärlichen Gepäck: Vorfreude, Selbstzweifel und ein pinker iPod-Shuffle, auf dem vielleicht 50 Songs Platz hatten. Den Grossteil davon machten Ihre zwei Alben aus. Während ich das erste Mal allein auf dem Dach der Welt monatelang durch die Landschaft lief, begleiteten Sie mich. Es war eine transzendierende Reise. Und ich bin mir sicher, Ihre Musik hat ihren Teil dazu beigetragen.
Sie waren dabei, als ich mich in der dünnen Höhenluft Stein um Stein vorwärtskämpfte. Ich fühlte den Schmerz in Ihrer Stimme, während ich Heimweh hatte und nachts nicht schlafen konnte. Als die Einsamkeit kein Konstrukt meiner Einbildung war, sondern ein reales Gefühl. Sie waren in meinem Ohr, als ich zwei Adler beobachtete und mir vor Glück Schauer über den Rücken liefen. Sie waren dabei, als ich durch grünen Urwald stapfte, mit Blasen an den Füssen und Sonne im Rücken, die mich tröstlich wärmte. Dass mir Ihre Musik nicht irgendwann auf die Nerven ging, erstaunt mich nicht. Denn Ihre gewaltige Stimme fasste all die Emotionen zusammen, die ich auf meiner Reise durchlebte. Und ich bin mir sicher, dass es vielen Ihrer Fans so geht.
Mich fasziniert die Art, wie Sie Ihren Gefühlen begegnen – dass Sie das Leben begeistert, auch wenn es manchmal weh tut. So wie Sie in Ihrer Musik oft sehr persönliche Erlebnisse verarbeiten, geben Sie auch öffentlich zu, dass Sie lang ein Alkoholproblem hatten und in Ihrer Jugend zu viele Drogen genommen und Parties gefeiert hatten. Ich finde es mutig und wichtig, dass man auch als Celebrity seine Person vor der Öffentlichkeit nicht beschönigt. In Interviews verrieten Sie vor Kurzem, dass Sie Ihre letzte Platte «High as Hope» nüchtern geschrieben hatten – und es völliger Quatsch sei, dass man sich selber kaputt machen müsse, um kreativ zu sein. Früher hätten Sie sich bei Ihren Auftritten hinter einer Kunstfigur und hinter Haute-Couture-Roben versteckt. Heute fordern Sie die Fans an Ihren Konzerten dazu auf, sich alle die Hände zu reichen. Und stehen dabei selber barfuss auf der Bühne. Sie vermitteln eine kraftvolle Botschaft: Je mehr man sich der Welt und sich selbst öffnet und je mehr Verletzlichkeit man zeigt, desto eher kann man sich von seinen Dämonen befreien. Oder ihnen zumindest auf Augenhöhe begegnen – ganz ohne Furcht.
Liebe Florence Welch, bitte hören Sie nicht auf, Musik zu machen, die Menschen rund um den Globus auf ihren ganz persönlichen Reisen begleitet. Auf die Frage, was Sie Ihrem jüngeren Ich gern gesagt hätten, antworteten Sie: «Lass mal locker, alles wird gut.» Wie Recht Sie haben.
Herzlich,
Viviane