Liebe Esther Perel
- Text: Julia Heim; Foto: GettyImages
11 421 890 Mal wurde Ihr Ted-Video «The Secret to Desire in a Long-Term Relationship» aus dem Jahr 2013 angesehen. 11 421 890 Menschen, die wissen wollten, wie das (sexuelle) Verlangen in Langzeitbeziehungen aufrechterhalten werden kann. Eine gewaltige Zahl. In diesem 20-minütigen Clip beschreiben Sie ein Dilemma, das wir alle kennen – die Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit und dem Verlangen nach Aufregung und Lust. Um zu verstehen, dass diese Diskrepanz gerade in langjährigen Partnerschaften, in denen beide ihre Rollen gefunden und sich Muster entwickelt haben, grösser wird, braucht man keinen Ted-Talk. Und doch sehe ich mir Ihr Video mit grossem Interesse an. Was Sie tun, ist mehr als nur das offensichtlich Schwierige zu beschreiben, Sie zerpflücken, Sie bohren, Sie werfen mit verbalisierten Gefühlen nur so um sich. Sicher einer der Gründe, weshalb Ihnen das Publikum an den Lippen hängt und weshalb Ihr Buch «Mating in Captivity: Unlocking Erotic Intelligence» zu einem Bestseller und mittlerweile in 24 Sprachen übersetzt wurde.
Distanz schafft Lust, das kann ich bestätigen. Er und ich pendelten drei Jahre zwischen Wien und Zürich hin und her. Eine aufregende Phase, in der nicht viel Zeit blieb, um sich zu sehr aneinander zu gewöhnen. Natürlich änderte sich das nach meinem Umzug in die Schweiz, nach dem Zusammenziehen. Dreizimmerwohnungen lassen nicht viel Raum für Distanz. Plötzlich ist der Alltag da und die Aufregung schwindet. Auf diesen schmerzhaften blauen Fleck pressen Sie Ihren Finger, sprechen aus, was so viele maximal in einer intimen Runde mit engen Freunden besprechen. Dabei kann der Austausch durchaus förderlich sein, und manchmal gelingt er sogar besser mit Menschen, die einem nicht so nah sind. Sie lösen diese Paarprobleme von Stigmata, zeigen, dass wir alle im Grunde mit denselben Herausforderungen kämpfen, und fördern einen humorvollen, leichtfüssigen Umgang mit der eigenen Sexualität.
Bei Ihren Auftritten sieht man im Publikum immer wieder einträchtiges Nicken, oft wird gelacht. Verstanden scheinen sich die meisten zu fühlen, vielleicht sogar ertappt. Wenn Sie es erklären, wirkt alles ganz einfach. Da möchte ich immer fragen: Wie läuft es denn in Ihrer Ehe so? Immerhin sind Sie seit vielen Jahren verheiratet, haben zwei Söhne und kämpfen sicher ebenfalls mit dem Alltäglichen.
Aufgewachsen in Antwerpen, zog es Sie nach Jerusalem und weiter nach New York, wo Sie Ihr Studium beendeten und Ihren Ehemann kennenlernten. Ich war bisher weder in Antwerpen noch in Jerusalem, dafür unzählige Male in New York. Deshalb verstehe ich Ihre Liebe zu diesem pulsierenden, multikulturellen Ort. Und deshalb passt auch dieses Bild der erfolgreichen und trotzdem bodenständigen, unaufgeregt aufregenden Frau, das ich von Ihnen habe, so gut. Sie haben Ihre Berufung gefunden und beim Sprechen ein natürliches Talent für Unterhaltung. Sie motivieren mich, selbst wenn ich mich mit vielen sehr spezifischen Problemstellungen nicht identifizieren kann. Ihr Wissen und Ihre Wissensvermittlung sind Augenöffner, Aha-Momente, die Veränderungen mit sich bringen – meist Optimierungen. Gut, dass das Jahr gerade begonnen hat. Da passt dieser Drang, etwas anzupacken, die eigenen Vorstellungen und Erwartungen zu adjustieren, sehr gut – nicht nur in der Liebe, sondern ganz grundsätzlich im Leben.
Herzlich,
Julia Heim