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Liebe Emma González

Leben

Liebe Emma González

  • Text: Leandra Nef; Foto: GettyImages

Noch vor zwei Monaten kannte Sie kein Mensch. Heute sind Sie das Gesicht der US-Schülerproteste gegen Waffengewalt und haben mit Ihren Mitschülern die Organisation Never Again MSD gegründet, die sich für verschärfte Waffengesetze in den USA einsetzt. Dabei sind Sie grad einmal 18 Jahre alt.

Dass es so weit kam, hat einen tragischen Grund. Am 14. Februar dieses Jahres hat der 19-jährige Nikolas Cruz ein Massaker an Ihrer Schule, der Marjory Stoneman Douglas Highschool in Parkland, angerichtet. Er hat bei einem Amoklauf 17 Menschen erschossen – mit einem halbautomatischen Gewehr, das er legal erworbenen hatte. Sie haben überlebt. Doch bekannt geworden sind Sie nicht deshalb. Sondern wegen der Rede, die Sie drei Tage nach dem Amoklauf bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer gehalten haben. «Schämen Sie sich!», haben Sie da gerufen. Gemeint haben Sie Präsident Trump, der sich seinen Wahlkampf von der US-Waffenvereinigung, der National Rifle Association (NRA), mitfinanzieren liess und erfolgreich verhindert, dass die Waffengesetze in den USA verschärft werden.

Es hat mich ehrlich beeindruckt, wie Sie da auf der Bühne standen, sich die Tränen aus dem Gesicht wischten und, nur kurz nachdem Sie Ihre Freunde – Carmen, Aaron, Alex, Scott, Helen, Gina und all die anderen – verloren hatten, Worte fanden. Starke Worte. Sie haben sie wütend vorgetragen, manchmal schreiend, Ihre Stimme hat sich dabei fast überschlagen. Ich weiss nicht, ob ich Ihre Stärke hätte. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie in Ihrem jungen Alter nicht gehabt hätte. Darum bewundere ich Sie.

Ausserdem überzeugen Sie – anders als einige Politiker in Ihrem Land – nicht nur durch Rhetorik, sondern auch durch Argumente und Fakten, mit denen Ihre Reden reichlich gespickt sind. Die legen Sie sich, das haben Sie verraten, fein säuberlich zurecht. Studieren Politik- und Geschichtsbücher, ziehen Vergleiche zu anderen Ländern, recherchieren. Ihre Argumente sollen wasserdicht sein.

Einige Tage nachdem Sie Trump in Ihrer Wutrede angeklagt und sich emotional wieder etwas gefangen hatten, haben Sie mich dann erneut schwer beeindruckt. Sie durften Dana Loesch, Pressesprecherin der NRA, bei einer Diskussionsrunde öffentlich zur Rede stellen. Trotz der angespannten Situation blieben Sie diesmal ruhig und respektvoll und baten das aufgebrachte Publikum, Loesch aussprechen zu lassen. Das hinderte Sie aber nicht daran, Loesch kurz darauf mit Nachdruck an die Frage zu erinnern, die Sie ihr gestellt hatten und deren Beantwortung die Pressesprecherin zu umgehen versuchte.

Emma González, Sie sind eine mutige, starke Frau. Indem Sie sich gegen die NRA stellen, eine der grössten Interessengruppen der USA, machen Sie sich zur Angriffsfläche für Anfeindungen von Waffennarren und Rechtsaussen-Fanatikern. Letztere haben es nicht zuletzt wegen Ihrer kubanischen Wurzeln auf Sie abgesehen. Aber das scheint Sie nicht einzuschüchtern. Sie lassen keine Gelegenheit ungenutzt, für Ihre Überzeugungen und Werte einzustehen. Für eine bessere Welt zu kämpfen. Und das ist gut so. Denn auch wenn die NRA eine übermächtige Gegnerin zu sein scheint: Ich bin überzeugt, dass Sie mit Ihrem Einsatz die Diskussion um Waffengewalt und schärfere Waffengesetze in den USA einen Schritt vorantreiben.

Zumal Sie breite Unterstützung erfahren: Beim March for our Lives, einem Massenprotest gegen Waffengewalt, den Sie und Ihre Mitschüler mitorganisiert hatten, gingen letzten Samstag in den USA rund eine Million Menschen auf die Strasse, darunter Prominente wie Miley Cyrus, Paul McCartney sowie Amal und George Clooney. Letztere spendeten eine halbe Million Dollar für Ihre Anti-Waffengewalt-Kampagne, genau wie die Spielbergs, und auch Oprah Winfrey versprach in einem Tweet, es ihnen gleichzutun.

Es ist grossartig und inspirierend, was Sie mit Ihrem Engagement schon alles erreicht haben, liebe Emma González. Machen Sie weiter so!

Herzlich,
Leandra Nef

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