Liebe Chan Marshall
- Text: Julia Heim; Foto: Getty Images
Bekannt als Cat Power machen Sie seit 25 Jahren Musik – samtweiche Töne, die nicht minder düster daherkommen, wenn sie müssen. Ihr zehntes Studioalbum «Wanderer» (2018) erzählt von einer Reise ohne Ziel; die Songs meist melancholisch, die Texte zum Teil verstörend, gerade dann, wenn Sie in «Black» singen: Ran all the way upstairs just to make my defense / Threw me in the bath, with ice and a slab […].
«Wanderer» ist das Album, das beinahe täglich in meiner kleinen Stadtwohnung zu hören ist. Sie begleiten mich mit «In Your Face» und «Stay» in meinen Feierabend. Sie sind da, wenn ich koche, wenn Freunde spontan vor der Tür stehen und der letzte Rest Wein ins Glas tropft. Wieder mehr Cat Power hören – das nahm sich eine Freundin nach einem gemeinsamen Abend vor. Von mir gabs dann «Wanderer» geschenkt. Und auch ich habe Sie schon geschenkt bekommen. Es scheint, als eigne sich Ihre Musik – auf Vinyl gepresst – besonders gut, um jemandem eine Freude zu machen. Dafür ist der bluesige Folk ja sowieso dankbar. Immer ein wenig verträumt kann man mit ihm gleichermassen lieben wie trauern.
Kein Zufall, dass die ziellose Wanderschaft eine so zentrale Rolle in Ihrer Musik spielt. Schliesslich war Ihr Leben bisher eine einzige Reise; immer unterwegs von Bühne zu Bühne, eine Reise in Exzesse, Selbstzweifel, aber auch in Selbstfindung und Mutterschaft. Ob Sie angekommen sind? Vermutlich nicht. Ob man je ankommen muss? Vermutlich nicht.
Sie haben sich Zeit gelassen mit diesem Album, sechs Jahre haben Sie daran gearbeitet. Entstanden sind elf Stücke, die ich schätze, die ich feiere, die keiner hätte singen können ausser Sie. Dabei war gar nicht klar, wer das Album produzieren würde, hatte Ihr eigentliches Label Matador Records doch abgelehnt – zu wenig kommerziell. Sie trennten sich. Das sollten wir grundsätzlich tun, wenn uns etwas nicht guttut. Die Lyrics Ihres Songs «Woman», einem zentralen Stück auf diesem Album, beginnen mit:
If I had a dime for every time / Tell me I’m not what you need / If I had a quarter, I would pull it together / And I would take it to the bank and then leave.
Nicht gut genug zu sein, sich und den eigenen Freiraum begrenzen zu lassen – das ist ein schleichender Prozess. Auch bei Ihnen war es nicht das erste Mal, dass das Label Ihre Musik kritisierte, mehr wollte, anderes wollte. Dass Sie bei «Wanderer» die Reissleine gezogen haben, war ein Ja zu Ihnen und Ihrer Kunst.
Dass Sie den grossen kommerziellen Erfolg nie gesucht haben, finde ich sehr sympathisch. Wer weiss, ob ich Ihre wunderbare Platte sonst noch auflegen, zu ihr träumen oder sie verschenken würde. Ihre Musik nimmt mich mit wie eine Welle, sie trägt mich, lässt mich frösteln. Manchmal sind die kleinen Dinge so viel grösser, die leisen Töne so viel lauter als der Rest. Bitte bleiben Sie so: eine Grosse in ihrer eigenen Welt, ein Talent, das sich nie ganz sicher ist, eine, die uns mitnimmt auf eine Reise – ganz ohne Ziel.
Danke,
Julia Heim