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Liebe Carola Rackete

Liebe Carola Rackete

  • Text: Gina Sergi; Foto: Getty Images

Bekannt wurden Sie in eben diesem Sommer, als Sie kurzerhand das Steuer der «Sea-Watch 3» übernommen haben. Dafür haben Sie Ihr Naturschutzprojekt, Bäume pflanzen in Schottland, unterbrochen. Menschen waren in Not und brauchten Hilfe. Sie waren zur Stelle und agierten als Rettungsschiffkapitänin. Die gesundheitliche Lage auf dem Boot verschlechterte sich, Menschenleben standen auf dem Spiel und Sie mussten handeln. Deshalb sind Sie, trotz ausdrücklichem Verbot, in einem spektakulären Manöver in den Hafen von Lampedusa mit 53 Flüchtlingen an Bord eingefahren. Kaum an Land wurden Sie schon von der italienischen Polizei verhaftet und unter Hausarrest gestellt – mit dem dürften Sie wohl schon gerechnet haben. Und dennoch, Sie haben sich für das Wohl der kranken, flüchtigen Menschen eingesetzt und sich selbst hinten angestellt. Warum Sie das tun? Das erklären Sie unter anderem in Ihrem Buch «Handeln statt hoffen» und sagen es überall, wo Sie auftreten: «Ich tue, was getan werden muss, weil andere nichts tun wollen.» Ein starkes Statement, das nicht bei allen gut ankommt.

Die Seerettung hat Ihnen Aufmerksamkeit beschert. Die deutsche Kapitänin, mit dem langen Rastazopf, die illegal ein Flüchtlingsboot in Italien angelegt hat – etwa so kennt man Sie. Sie haben diese Aufmerksamkeit zwar nicht gesucht, verwenden sie nun aber, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Sie haben jetzt eine Stimme, die Sie nutzen, um Ihre Meinung und Forderungen lautstark in die Welt zu rufen. Sie legen den Finger auf brennende Wunden und zeigen, wie ernst es mit der Klimaerwärmung und der damit verbundenen Flüchtlingskrise ist. Sie wollen, dass jeder hinschaut, und wollen zum Handeln bewegen. Auf der einen Seite erfahren Sie Solidarität und Bewunderung und Ihnen wird applaudiert für den Einsatz im Mittelmeer und für Ihre Rolle als Klima-Aktivistin. Von der anderen Seite kommt Ihnen jedoch auch Hass und Unmut entgegen und Ihr «Öko-Terror» wird kritisiert. Wie in Genf, als Sie letzte Woche Ihr neues Buch vorgestellt haben und Gegner die Morddrohung «Kill Carola Rackete» an die Wände der Universität Genf sprayten. Oft werden Sie mit der jungen Greta Thunberg verglichen, die weltweit polarisiert. Es hagelt nur so Kritik, überall, wo Sie auftreten und sprechen. Man wirft Ihnen vor, Sie seien naiv und lösten keine Probleme, sondern würden nur neue schaffen. Aber eigentlich sprechen Sie nur laut aus, was viele versuchen zu verdrängen. Denn wir sind alle von diesen Krisen betroffen und wir gehören alle zum gleichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem und tragen somit die gleiche Verantwortung. Es soll ein Umdenken, ja sogar ein radikaler Systemwechsel stattfinden und somit eine gerechte Verteilung von Ressourcen gewährleistet sein, fordern Sie. Sie wollen wegkommen vom wachstumsbasierten Wirtschaftssystem.

Vor Kurzem waren Sie Gast in der Sendung «Club» von SRF. Trotz hitziger Diskussion und Kritik haben Sie keine Miene verzogen. Ihnen wurde vorgeworfen, dass Sie in Ihrem Buch Unsinn schreiben, man hat Sie sogar mit den Zeugen Jehovas verglichen und Ihre Forderungen als romantisierte Vorstellungen bezeichnet. Aber dennoch: Sie sind bei Ihrem Standpunkt geblieben, haben fundiert argumentiert und stets Anstand gezeigt. Sie waren eine sehr faire Gesprächspartnerin. Grosses Kompliment für Ihre überlegten Argumente, Carola Rackete. Genauso für Ihr humanitäres Handeln und Ihr faires Verhalten. Dafür, dass Sie mutig für Ihre Werte einstehen und globale Gerechtigkeit verlangen. Welcher Weg dafür nun der richtige ist, darüber kann man streiten. Aber in einem Punkt stimme ich Ihnen von ganzem Herzen zu: Wir sollten aufhören zu hoffen und anfangen zu handeln. Denn schon kleine Schritte führen zu grossen Veränderungen.

Herzlich,
Gina Sergi

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