Allein bei der Erwähnung Ihres Namens stellen sich bei einigen zwielichtigen Zeitgenossen bestimmt auch heute noch sämtliche Nackenhaare auf. Carla Del Ponte – Jägerin der Verbrecher. Sie haben einst den Mafiosi den Tarif durchgegeben und vermeintliche Kriegshelden vor Gericht gebracht. Sie sind mutig, unerschrocken, geradlinig – quasi die Pippi Langstrumpf für Erwachsene.
Ihre Gegner haben Sie schon mit «Schlampe», «Hure» oder «Pest» betitelt. Man wünschte Ihnen bereits den Tod und Schlimmeres. Nun ja, wer geradlinig geht, kommt eben vielen in die Quere, doch damit können Sie umgehen. Aufgeben war für Sie nie wirklich eine Option. Oder doch? Als Staatsanwältin verfolgten Sie Anfang der 90er-Jahre mit dem italienischen Untersuchungsrichter Giovanni Falcone die sizilianische Mafia «Cosa Nostra», die im Tessin Geld wusch. Einen ersten Sprengstoffanschlag, der ihnen beiden gegolten hatte, konnte die italienische Polizei gerade noch verhindern. Drei Jahre später stirbt ihr guter Freund Falcone bei einem Bombenattentat, mit ihm seine Frau und drei Sicherheitsleute. Damals, sagen Sie heute, hätten Sie kurz ans Aufhören gedacht. Doch Sie machten weiter.
1994 wurden Sie Bundesanwältin, fünf Jahre später zur Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien. Berichte über Massaker, Vergewaltigungen und Folter standen auf Ihrer Tagesordnung – das Grauen wurde zu Ihrem Schatten. Sie haben gelernt, das Unaussprechliche anzusprechen und das Unerträgliche zu ertragen. Sie grenzten sich professionell ab, ohne dass Ihre Empathie davon Schaden nahm, ein Seiltanz, den nur wenige beherrschen. Sie sagen, dass Ihnen weder die Inspektion von Massengräbern noch die Berichterstattung über Verstümmelung schlaflose Nächte bereitet hätten. Doch die langwierigen Verhandlungen und politischen Verstrickungen haben oft an Ihren Kräften gezehrt. Was für Sie der Antrieb sei, immer weiter zu machen, wurden Sie einst von einem Journalisten gefragt. «Gerechtigkeit», antworteten Sie in einem Tonfall voller Leidenschaft und Überzeugung.
Aber gibt es sie, die Genugtuung der Gerechtigkeit? Können ein gestohlenes Leben, das Leid einer ganzen Familie, seelische und körperliche Qualen mit einem Schuldspruch vergolten werden? Zumindest, sagen Sie, ermögliche die Justiz einen grossen Schritt in diese Richtung. Im Rahmen des Kriegsverbrechertribunals für das frühere Jugoslawien haben Sie 161 Personen angeklagt, die Hälfte wurde verurteilt. Durch Ihre Anklage wurde mehreren einflussreichen Kriegsverbrechern den Prozess gemacht, was für viele Opfer eine Genugtuung bedeutete. Und für Sie? «Ich sollte darauf professionell mit Nein antworten», sagten Sie in einem Interview kurz nach Ihrer Pensionierung. «Doch ich kann ehrlich sagen: Ja, es war auch für mich eine persönliche Genugtuung, denn es war harte Arbeit.»
Sie waren stets ehrgeizig und konnten grosse Erfolge verbuchen. Als 2011 aber der Syrien-Konflikt entbrannte, mussten Sie sich mit weniger zufrieden geben. Getrieben vom starken Willen, für die Opfer Gerechtigkeit zu schaffen, sind Sie der unabhängigen Untersuchungskommission beigetreten. Doch das Gremium erhielt keinen Auftrag für einen Strafverfolgungsprozess, es ging lediglich darum, Fakten zusammenzutragen. Was in diesem Fall einfach war, da die Täter ihre Verbrechen oft mit Videos selbst dokumentierten. Die Untersuchungskommission veröffentlichte zweimal im Jahr Berichte, die aber keinerlei Konsequenzen hatten. Eine festgefahrene Situation. Nach sechs Jahren sind Sie frustriert und ausgelaugt zurückgetreten. Als eine «Alibi-Übung» haben Sie das Ganze bezeichnet und die Vereinten Nationen als eine «Schwatzbude» kritisiert, in der es zu viele Beamtinnen und Beamte gebe, von denen die wenigsten wirklich arbeiten würden. «Ich habe getan, was ich konnte», war Ihre Schlussfolgerung, die nicht nur für Sie ernüchternd ausfiel.
«Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt», lautet einer der wohl bescheuertsten Sätze, die ich je gehört habe, der aber gerne als Rechtfertigung für jene dient, die ohne Rücksicht auf Verluste durchs Leben schreiten. Das Zitat soll von Napoleon Bonaparte (1769 – 1821) stammen. Einem Mann, der sich einst selbst zum französischen Kaiser krönte. Einem Mann, der sich sowohl in der Liebe als auch in der Kriegsführung selbst am nächsten stand. Gut, gibt es heute Menschen wie Sie, Carla del Ponte, die daran erinnern und darauf pochen, dass – egal in welcher Extremsituation – nicht alle Gesetze gebrochen und nicht sämtliche Regeln fallen gelassen werden dürfen.
Danke, dass Sie vor niemandem kuschen. Denn die Welt braucht mutige Menschen und Menschen brauchen Vorbilder.
Alles Gute
Lara Marty