Als ich durch die Kommentare Ihrer Videos scrolle, bin ich beeindruckt. «Ich habe das heute so gebraucht! Ich danke dir vielmals Adriene, du hast mein Leben verändert!», schreibt eine Frau, «Du bist meine Heldin», eine andere. Der Kommentar, welcher mich am meisten berührt hat, ist von einem User, der über zehn Jahre mit seiner Heroinabhängigkeit gekämpft hat. Als er aus dem Gefängnis kam, war er auf der Suche nach einem Yoga-Lehrer und spiritueller Leitung. Er ist auf Ihren Youtube-Kanal gestossen und dankt Ihnen, wie viele andere Ihrer 3.6 Millionen Follower, für Ihre Arbeit.
«Yoga with Adriene» scheint über ein Geheimrezept zu verfügen, das Ihre Follower immer wieder begeistern kann. Die Hauptzutat dabei sind Sie, Adriene Mishler, mit Ihrer natürlichen und unkomplizierten Art. Ich bewundere Sie für Ihren Humor und dafür, dass Sie Versprecher nicht aus Ihren Videos rausschneiden. Wären Sie nicht so sympathisch, würde ich Ihren Channel wahrscheinlich meiden.
Lange Zeit war Yoga ein rotes Tuch für mich. Ich dachte, für all die Posen bin ich nicht beweglich genug. Eine Erinnerung an den Sportunterricht hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt: Die ganze Klasse musste sich mit durchgestreckten Beinen hinstellen, vornüberbeugen und mit den Fingerspitzen den Boden berühren. Meine Finger schwebten immer zirka 20 Zentimeter über dem Boden. Ich entsprach nicht den gewünschten Anforderungen. Wenn dann noch jemand von Yoga sprach, dachte ich einfach nur: Nein, nein, nein!
Ehrlich gesagt war ich auch lang genervt vom ganzen Yoga-Hype. Davon, dass es total in ist, sich am See vor der untergehenden Sonne noch schnell in eine komplizierte Pose zu werfen. Dann noch ein Foto für Instagram zu schiessen und «carpe diem» darunter zu schreiben. Ich glaube, dass ich Sie auch deshalb so mag, weil Sie genau das nicht tun. Ja, auch in Ihrem Instagram-Account finden sich ein paar Handstand- und Yoga-Posen-deren-Namen-ich-nicht-kenne-Bilder. Aber zwischendrin sind auch ganz viele andere Schnappschüsse, beispielsweise von Ihnen und Ihrem süssen Hund.
Sie geben einem nie das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Beinah in jeder Pose erklären Sie nebenher einfachere Alternativen. Währenddem ich Haltsuchend in meine Topfpflanze kippe, erzählen Sie, dass es normal ist, wenn die Muskeln zittern. Da fühle ich mich grad ein wenig besser, auch wenn Sie selbst aussehen wie ein eleganter Flamingo und ich eher wie ein angetrunkener Pirat, dem plötzlich das Holzbein abhanden gekommen ist.
Ihr Motto «Find what feels good» ist eine Erinnerung daran, sich nicht einfach nur in die perfekte Form zu quetschen, sondern auf seinen Körper zu hören und darauf zu achten, was einem wirklich gut tut. Und das gilt nicht nur fürs Yoga, sondern auch fürs Leben.
Sie sind die Art von Lehrerin, die ich mir für mein 16-jähriges Ich gewünscht hätte. Dank Ihnen fühle ich mich gut, wenn ich mich bewege, und danke Ihnen komme ich – endlich – mit meinen Fingerspitzen auf den Boden.
Herzlich
Olivia Sasse