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«Lesben werden nicht wahrgenommen»

Leben

«Lesben werden nicht wahrgenommen»

  • Text: Stephanie Hess

Wie viel Gewalt erleben LBT*-Frauen in der Schweiz? Das wollte annabelle in einer Umfrage herausfinden. Knapp 500 Frauen haben daran teilgenommen. Es zeigt sich: Die schwerwiegendste Form der Repression sitzt weder in den Fäusten noch den Worten.

Angriffe gegen LGBT-Personen, auch «Hate Crimes» genannt, werden in der nationalen Polizeistatistik nicht erfasst. Daran hat auch ein Vorstoss im Nationalrat vor zwei Jahren nichts geändert. annabelle hat daher gemeinsam mit der Lesbenorganisation Schweiz (LOS) eine Umfrage gestartet. Wir wollten wissen: Wie akzeptiert sind Lesben in der Schweiz? An dieser nicht repräsentativen Umfrage haben knapp 500 Frauen teilgenommen. Ihre Aussagen bilden die Grundlage für das grosse Dossier über lesbisches Leben in der aktuellen annabelle-Ausgabe.

Wie nehmen LBT-Frauen ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft wahr? Im Vergleich zu homosexuellen Männern tief. 42,5 Prozent der Befragten spricht ihnen ein höheres Ansehen zu als LBT-Frauen. 42,5 Prozent empfindet sie als gleich hoch. Und nur 14,8 Prozent fühlt sich besser gestellt als homosexuelle Männer. Eine der Befragten schreibt dazu im offenen Teil der Umfrage: «Wenn es in der Presse um homosexuellen Menschen geht, werden meist nur die Schwulen betrachtet. Ich bin der Meinung, dass in der Gesellschaft die Lesben nicht wirklich wahrgenommem werden, leider.» Eine andere: «Ich beobachte, dass Schwule eher körperlich angegriffen, Lesben dahingegen eher sexualisiert werden mit Sprüchen wie «Kann ich mitmachen?» oder «Noch keinen richtigen Mann gehabt?». Noch tiefer nehmen LBT-Frauen ihre gesellschaftliche Stellung im Vergleich zu ihren heterosexuellen Geschlechtsgenossinnen wahr. Der Grossteil – 78,9 Prozent – fühlt sich schlechter angesehen.

Die meisten befragten Frauen erleben nie (33 Prozent) bis weniger als einmal pro Monat (54,8 Prozent) verbale und/oder körperliche Gewalt aufgrund ihrer Sexualität. Überwiegend sind sie verbaler Angriffe ausgesetzt. Eine Frau schreibt: «Auch nonverbale Äusserungen empfinde ich als äusserts unangenehm. Wenn meine Partnerin und ich uns in der Öffentlichkeit die Hand halten oder küssen, ziehen wir oft sehr abwertende Blicke auf uns. Ich finde das absurd. Vor allem, wenn sich neben uns ein Heteropaar küsst und sich niemand daran stört.» Körperliche Gewalt haben rund 10 Prozent der Befragten schon erlebt. Der Grossteil aller verbalen und körperlichen Angriffe geschieht dabei anonym auf der Strasse (42.5 Prozent), gefolgt vom Ausgang (21,1 Prozent) und Internet (18,9 Prozent).

Es ist aber nicht die Gewalt, die sich in Sprüchen oder Fäusten ausdrückt, die LBT-Frauen am stärksten betrifft. Sondern jene, die im System sitzt. Eine Teilnehmerin der Umfrage schreibt: «Die Diskriminierung läuft subtil.» Sie besteht darin, dass LGBT-Personen nicht dieselben Rechte eingeräumt werden. Dass sie nicht heiraten können, keine Kinder adoptieren oder mit Samenspenden zeugen dürfen. Eine Frau schreibt: «Gewalt gegen Lesben besteht vor allem auch darin, dass man uns die Rechte vorenthält.» Eine weitere Form von Gewalt, die im Fragebogen nicht direkt erfragt wurde, zieht sich durch alle Antworten: Die besagten Frauen sprechen von einer Marginalisierung und Negierung des lesbischen Lebens. Eine Teilnehmerin sagt: «Viele Menschen nehmen Frauenbeziehungen nicht als richtige Beziehungen ernst oder gar nicht wahr.»

*Lesbian/Bi/Trans

Wie leben Lesben in der Schweiz? Das haben sich unsere Autorinnen Stephanie Hess, Miriam Suter und Kerstin Hasse gefragt. Auf der Grundlage ihrer Umfrage ist ein Dossier entstanden. Mehr dazu finden Sie in unserer aktuellen Ausgabe 15/17.