Solang Rassismus existiert, wird es auch weiterhin Sexismus geben. Darüber informiert die Afrofeministin Anja Glover in ihren Workshops zum Thema Antirassismus. Warum müssen wir, wenn wir vom Frauenstimmrecht sprechen, unbedingt auch von intersektionalem Feminismus sprechen?
Wenn wir wollen, dass Frauen in einer Gesellschaft gleich behandelt werden wie Männer, dann müssen wir das für alle Frauen wollen. Solang Rassismus existiert, wird es weiterhin Sexismus geben. Die Schweiz gehörte im Jahr 1971 zu den letzten europäischen Ländern, die das Frauenstimmrecht eingeführt haben. Schaut man sich den aktuellen Diskurs und die mediale Aufarbeitung zum Thema «Black Lives Matter» an, kann man davon ausgehen, dass die Schweiz ebenfalls zu den letzten Ländern gehört, die Rassismus als eines ihrer Probleme anerkennen und entsprechend handeln werden.
Denn: Auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Gesellschaft gibt es noch einiges zu tun. Schwarze Frauen hatten einen grossen Einfluss auf die bisherigen Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung, ihre Bemühungen werden oftmals nicht anerkannt und sie leiden nach wie vor unter mehrfacher Diskriminierung: Denn sie sind Frauen und nicht weiss.
Die Kreuzung von Diskriminierungen
Soziale Ungerechtigkeit und Machtverhältnisse sind verwoben. Intersektionalität bezeichnet die Überschneidung verschiedener Kategorien, die Ungleichheiten verursachen. In diesem Fall die Kreuzung von Rassismus und Sexismus. Während es im klassischen Feminismus darum geht, Forderungen zu stellen, möchte der intersektionale Feminismus erst mal auf die Machtverhältnisse aufmerksam machen. Oder wie Natasha A. Kelly in der Folge «Schwarzer Feminismus» vom Podcast Kafi am Freitag oder im Podcast Einfach Leben sagt: «Weisse Frauen kämpfen dafür, den gleichen Lohn zu erhalten wie Männer. Schwarze Frauen kämpfen dafür, überhaupt erst zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.»
Schwarze Frauen werden vergessen
Wie viele Namen von Schwarzen weiblichen Todesopfern aufgrund von Rassismus kennen wir? Wer kennt die Namen der Gründerinnen von «Black Lives Matter»? Oder andersrum: Wenn man an «Black Lives Matter»-Aktivist*innen denkt, denkt man hauptsächlich an Frauen oder Männer?
Schwarze Frauen waren die Pionierinnen von vielen weltverändernden Bewegungen, doch wurden sie nicht selten aus der Geschichte gelöscht. Sie spielen eine entscheidende Rolle in der Geschichte von Gleichberechtigung, aber bleiben gern vergessen. Wer kennt Tarana Burke? Sie ist die Initiantin der Bewegung #MeToo. Auch die LGBTQ+-Bewegung wurde von Schwarzen trans Frauen lanciert, doch im Film «Stonewall», der von diesen Anfängen erzählt, wurden sie kurzerhand durch weisse ersetzt. Während wir alle Martin Luther King kennen, weiss kaum jemand, wer Ella Baker oder Dorothy Height ist.
Schwarze Aktivistinnen oder Erfinderinnen wurden aus der Geschichte «rausgeschrieben», obwohl der Weg zur Anerkennung ihrer Leistung ohnehin schon mit Hindernissen versehen wurde. Im Film «Hidden Figures» sieht man etwa, wie Dorothy Vaughan als eine der ersten Schwarzen Personen, die bei der Nasa in einer wissenschaftlichen Funktion angestellt waren, von ihrem Arbeitsplatz auf die «Schwarze» Toilette rennen muss. Deutlich wird in erster Linie nicht der Kampf, sich als Frau in einer Männerwelt zu beweisen, sondern als Schwarze Person in einer weissen Welt einem menschlichen Grundbedürfnis nachzugehen und entsprechend zu existieren.
Die Bewegung vom Afrofeminismus lässt sich auf die Frauenrechtlerin Sojourner Truth zurückführen. Sie fragte im Jahr 1851 in ihrer Rede: «Bin ich denn keine Frau?» Sie wandte sich damit an weisse Frauen und an Schwarze Männer. Seither hat sich viel verändert, aber eine Tatsache bleibt. Schwarze Frauen kämpfen noch immer nicht auf gleicher Ebene wie weisse Frauen. Ein Beispiel: Laut einer Studie von Amnesty International aus dem Jahr 2019 können rund sieben Prozent aller an Frauen gesendeten Tweets als «problematisch» oder «beleidigend» eingestuft werden. Dabei haben Schwarze Frauen laut der Studie ein 84 Prozent höheres Risiko als weisse Frauen, Opfer von Hasskommentaren im Netz zu werden.
Das sind Beispiele aus Amerika. In der Schweiz ist das anders, könnte man meinen. Nur: Wie kommt es, dass Tilo Frey nur neun Monate nach der Einführung des Frauenwahlrechts als erste Schwarze Person in den Nationalrat gewählt wurde und im kollektiven Gedächtnis vergessen bleibt? Immerhin war sie eine der ersten zehn Frauen im Nationalrat.
Was können wir tun?
Fakt ist: Inklusiver Feminismus kann nicht einfach mitgedacht werden. Es muss aktiv daran gearbeitet werden. Es reicht nicht, das Gefühl zu haben, dass man selber nicht rassistisch oder nicht sexistisch handelt. Man muss sich aktiv gegen Rassismus und Sexismus einsetzen. Das Hauptproblem mag weniger in der Tatsache liegen, dass Machtverhältnisse existieren, die gewisse Menschengruppen anderen gegenüber benachteiligen, als am Leugnen dieser Tatsache. Ein erster Schritt besteht darin zu erkennen, in welcher Gesellschaft wir leben. Wir sind in diese hineingeboren. Es ist also nicht unsere Schuld – aber es ist unsere Verantwortung, etwas dagegen zu tun.
Sechs Bücher zum Thema intersektionaler Feminismus:
- «Schwarzer Feminismus» von Natasha A. Kelly
- «Sprache und Sein» von Kübra Gümüsay
- «Bad Feminist» von Roxane Gay
- «We Should All Be Feminists» von Chimamanda Ngozi Adichie
- «I Will Be Different Every Time» von Fork Burke, Myriam Diarra, Franziska Schutzbach
- «Die Bedeutung von Klasse» von Bell Hooks