Lass die Sonne rein
- Text: Silvia Binggeli; Foto: Johanna Hullár
Tschüss, Vorurteile! Nachdem sie das neue Cabriolet von Mercedes-Benz probegefahren hat, überlegt sich Silvia Binggeli, nach Ibiza zu fliegen.
Für manches muss man über 40 werden. Zum Beispiel, um Autos mit Ikonenstatus genauer anzuschauen. Ich bin ein Automensch. Im entlegenen Dorf aufgewachsen, absolvierte ich die Prüfung sofort mit 18 und sparte für ein eigenes kleines Gefährt, das schon mehr als Vintage war, als ich es mein Eigen nennen durfte. Ich liebte es, wie auch seinen Nachfolger, über Jahre. Ich habe bis jetzt nur zwei Autos besessen, sie sollten mich vor allem von A nach B bringen, bereitstehen für Spontantrips ins Blaue. Und genug Stauraum bieten, damit ich ein kleines Möbel von Streifzügen durch Brockis und VintageLäden nachhause bringen kann.
Image war beim Kaufentscheid immer zweitrangig. Sicherlich auch, weil ich von Berufs wegen regelmässig coole, schnelle, spezielle und aussergewöhnliche Autos testen kann. Solche mit einer Geschichte, ausgeklügelter Technik und, ja, auch mit Image. Einer fehlte in der Reihe bis jetzt. Einer, der den klangvollen Namen der Tochter seines Gründers trägt und der in der Automobilbranche buchstäblich für den Griff nach den Sternen steht: Mercedes-Benz.
Mit dieser Marke verband ich lang naserümpfend die Vorstellung von «passend zur zweiten Lebenshälfte», frühestens. Mein Urteil, unreflektiert, pardon: Altherrechlapf. Wahrscheinlich, weil ich immer wieder Geschäftsmänner fortgeschrittenen Alters in Mercedes-Limousinen an mir vorbeifahren sah. Was natürlich bei vergleichbaren Modellen anderer Marken (fast) genauso ist. Aber mit hartnäckigen Bildern im Kopf ist es leider so: Haben sie sich mal festgesetzt, schaut man irgendwann nicht mehr genau hin.
Nun sass ich hinter dem Steuer eines sportlichen Stars, dem AMG C43 Cabriolet – und begann mein Urteil sofort zu revidieren. Das Auto präsentiert sich von aussen wie von innen in schnittig formschönem Design. «Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes-Benz», sang Janis Joplin 1970. Ich liess das Dach per Knopfdruck runter, fahrend, und unterlag einer ersten Charme-Attacke des AMG C43.
Auf zur Feierabendfahrt Richtung See. Noch ein Knopfdruck, und ich bin im dynamischen Fahrmodus «Sport plus» unterwegs, auf den sich automatisch die Schaltung einstellt und die Fern- und Kurvenlichter anpassen. Top Soundqualität, bequemer Sitz, ausserdem eine umfassende digitale Vernetzung über ein hauseigenes System. Ich würde mir das Modell nicht in der Farbe Silber kaufen, das wäre mir tatsächlich zu gesetzt, ansonsten aber fühlt sich das Cabriolet in seiner ganzen Dynamik längst an wie ein Match.
Unterwegs überlege ich, wo ich sonst noch festgefahren denke: Sollte ich doch mal nach Ibiza fliegen? In den Neunzigern empfand ich die Insel als trashig. Mittlerweile bringen Freunde Fotos zurück, die Fernweh auslösen. Oder ich frage mich, wie schnell ich rennend von mir zuhause am Fluss wäre. Joggen ist abgebucht unter «Warum rennen, wenn ich auch gehen kann». Andererseits: Ich bewege mich viel zu wenig.
Als ich zuhause vorfahre, ruft mein Nachbar, ein ganzes Stück jünger, Typ Hipster mit Bart: «Cooles Auto, passt super zu dir.» Auch dafür muss man über 40 werden: um hartnäckige Klischeevorstellungen aus dem Kopf zu fegen.
Modell: Mercedes-AMG C43 Cabriolet
Motor: 3-Liter-Sechzylinder
Fahrleistung: 367 PS, von 0 auf 100 km/h in 4.8 s
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h
Masse: Länge 4.7 m, Breite 2.0 m Höhe 1.4 m
Gewicht: 1870 kg
Kofferraumvolumen: 285–360 l
Benzinverbrauch: 8.3 l/100 km
CO2-Emission: 190 g/km
Energieeffizienz: D
Preis: ab 79 400 Franken
Infos: mercedes-benz.ch