Claudia Senn versteht den Körperkult auf Instagram nicht. Ob Body Positivity da wirklich die richtige Gegenbewegung ist? Nein, findet die annabelle-Redaktorin.
Ich befürchte, mein Körper ist nur bedingt Instagramtauglich. Zu weich, zu schwabbelig, zu ungestählt. Flach war mein Bauch nie. Mit 14 sprach mich im Bus mal eine entsetzte ältere Dame an, die glaubte, unter meinem Kleid ein Babybäuchlein zu erspähen. Jetzt, wo ich in den Wechseljahren bin, hat das Kindchen kräftig zugelegt. Meine Haare: ein Wischmopp auf Speed. Die Oberarme: in Auflösung begriffen, obwohl ich ab und zu Michelle Obamas fabulöses Bizeps-Training praktiziere. Im Grund genommen ist mein gesamter 52-jähriger Körper eine einzige Problemzone – zumindest nach dem gnadenlosen Selbstoptimierungsdiktat von Instagram.
Ist das schlimm? Manchmal ja, an miesen Tagen. Doch meistens eher nicht, denn mein Körper benimmt sich bisher tadellos. Ich bin gesund. Nur selten tut mir etwas weh. In einem bauchfreundlich geschnittenen Kleid kann ich noch immer gut aussehen. Ausserdem denke ich nicht pausenlos über mein Verfallsdatum nach, denn es gibt in meinem Leben ein paar wichtigere Dinge wie etwa Liebe und Arbeit (und im Moment die norwegische Netflix-Serie «Nobel», in der so hinreissend emanzipierte Männer vorkommen, dass ich gerade die Emigration in den Norden erwäge). Trotzdem mache ich mir manchmal Sorgen – um die vielen jungen Mädchen und Frauen, die offenbar kein anderes Thema kennen.
Ich verstehe nicht viel von Social Media, und ich will auch nicht wie eine alte Tante klingen, die mit mahnendem Zeigfinger den Untergang des Abendlands herbeipredigt. Doch warum postet ihr all diese Bikinifotos? Weshalb kreist ihr unentwegt um euren Körper? Ihr esst nur noch mit schlechtem Gewissen und quält euch beim Sport in der Hoffnung, einen mythischen Zustand von Vollkommenheit zu erreichen, der doch nie eintritt. Ihr trickst, optimiert den Kamerawinkel, zieht den Bauch ein, kippt das Becken zurück, um einen Thigh Gap vorzutäuschen, wo gar keiner ist – für ein paar Herzchen und Daumen-hoch-Emojis? Ist es das wirklich wert? Ihr müsst das nicht tun. Niemand zwingt euch. Manchmal behauptet ihr ja, «die Medien» seien schuld daran, dass ihr einem so unrealistischen Schönheitsideal nacheifert. Aber die Medien, das seid ihr doch längst selbst. Ihr seid Instagram!
Seit einigen Monaten schwappt eine Gegenbewegung aus den USA zu uns herüber: die Body Positivity. Wichtigste Protagonistin hierzulande ist die Aargauer Bloggerin und Primarlehrerin Morena Diaz, die es sich zum Ziel gesetzt hat, ihren Körper zu bejahen, «mitsamt all seinen angeblichen Makeln». Das klingt erst mal wie eine gute Nachricht. Auf Instagram kann man Morena Diaz dabei zusehen, wie sie mit strahlenden Augen Gelati und Pizza vertilgt. Manchmal blitzen an ihrem ansonsten makellos straffen Rumpf zwei zuckersüsse Speckröllchen auf. Das sieht sinnlich aus und provoziert eine Menge begeistertes Feedback. Trotzdem bleibt bei mir ein schales Gefühl zurück. Denn auch Morena Diaz möchte bloss für ihren Körper gelobt werden, mit Herzchen und Applaus-Emojis und ganz vielen «Du bist so sexy!»-Kommentaren.
Wahre Body Positivity würde für mich aber bedeuten, dass wir unseren Körper einfach mal in Ruhe lassen. Ich muss meinen Bauch nicht lieben, wie es mir die Body-Positivity-Aktivistinnen weismachen wollen. Ich muss ihn auch nicht schön finden. Aber es ist immerhin mein Bauch, und wie viel Aufmerksamkeit ich ihm widme, entscheide ich ganz allein. Deshalb wird die schöne bunte Welt von Instagram leider ohne meine Problemzonen auskommen müssen. Sorry, einfach nicht wichtig genug.