Das Tate Britain Museum in London will ein Jahr lang nur Kunst von Frauen zeigen. Dieses Statement, findet unsere Autorin, bringt mehr als nur ein paar Schlagzeilen.
Maria Balshaw, Direktorin des Londoner Tate Britain Museum, hat bekannt gegeben, dass in der britischen Sammlung von 1960 bis heute ein Jahr lang nur Künstlerinnen gezeigt werden. Als Begründung lässt sie verlauten, dass Ausstellungshäuser zwar in puncto Präsenz von Künstlerinnen Fortschritte machten, «aber das geht noch viel zu langsam.» Wie recht sie damit hat.
«Do women have to be naked to get into the Met-Museum?», fragten die Guerilla-Girls 1989. Und zählten im Met in den Ausstellungen der Modernen Kunst die Werke von Künstlerinnen – es waren weniger als 5 Prozent. Im Gegenzug zeigten 85 Prozent der Sujets nackte Frauen. Seither sind fast 30 Jahre vergangen, und getan hat sich: nicht viel.
In der Schweiz haben die Frauen zumindest bei der Relevanz aufgeholt: Unter den Top Twenty der wichtigsten zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler sind gemäss «Bilanz»-Rating 2018 neun Frauen. Betrachtet man aber den Auktionsumsatz der 50 gefragtesten Künstler von 2017, ist darunter laut MM-Kunstindex keine einzige Frau. Zudem zeigte eine Studie von 2017, bei der 1.5 Millionen Auktionsdaten aus den Jahren 1970 bis 2013 ausgewertet wurden, dass die Werke von Künstlerinnen insgesamt nur halb so hohe Preise erzielen wie die von Künstlern. Ein horrender Pay-Gap.
In Gedanken höre ich sie schon, die Stimmen der Kritiker: Nur Frauen auszustellen sei genau so sexistisch. Natürlich wäre es zu begrüssen, dass in einer Sammlung Künstlerinnen und Künstler ganz selbstverständlich in ausgewogener Zahl nebeneinander hängen. Das fände auch ich die überzeugendste Option. Doch aktuell wehen erst ganz leise Töne dieser Zukunftsmusik herüber, wenn überhaupt. Denn dass Künstler Sammlungen in antiker Kunst dominieren, mag sozialgeschichtlich zu erklären sein. Frauen wurden an öffentlichen Kunstakademien erst um die Wende zum 20. Jahrhunderts zugelassen. Aber wir sprechen hier von zeitgenössischer Kunst ab 1960. Über die Hälfte der Kunstakademieabgänger sind weiblich. Und die meisten Museen – erzielte Kunstmarktpreise und Sammlungseinkäufe eingeschlossen – repräsentieren das gegenwärtig nicht annähernd. Dass an der Spitze einiger namhafter Museen und Galerien nun Frauen stehen, scheint sich jedoch langsam bemerkbar zu machen. Dabei mögen die einen Kuratorinnen still und leise ihre Sammlungseinkäufe mit einem Bewussstsein für eine Geschlechterausgewogenheit tätigen, andere hauen mit viel Schmackes auf den medialen Gong. Wie Maria Balshaw.
Doch das Statement des Tate Britain hat gegenüber kurzzeitigen Ausstellungen, die ganz bewusst mit Frauen im Titel werben, einen bedeutenden Vorteil: Nach der ersten medialen Aufmerksamkeit wird das Bewusstsein für die Female-only-Politik rasch verblassen. Es wird spannend sein zu sehen, wie diese Sammlung des Tate Britain Museum wahrgenommen wird, auch von Besuchern, die von dieser Proklamation nichts (mehr) wissen. Maria Balshaw selber hofft, dass die Veränderung gar nicht auffallen wird. Genau dieser selbstverständliche Blick, mit der die Kunst von Künstlern jahrhundertelang rezipiert wurde, steht nun auch Künstlerinnen offen. Kunst soll und darf auch radikal sein. Warum nicht auch mal diejenigen, die sie ausstellen?