Mit Kunst gegen Vorurteile
- Text: Leandra Nef; Foto: zvg
Kaum jemand kennt Angehörige der Roma. Oder besser gesagt: Das glauben wir zumindest. Denn aus Angst vor Diskriminierung bleiben viele von ihnen unsichtbar. Dieses Versteckspiel möchte Mo Diener mit ihrer Kunst beenden.
annabelle.ch: Das Wort Roma ist mit vielen Vorurteilen behaftet. Ist das gerechtfertigt?
Mo Diener: Tatsächlich machen Fahrende auf der Durchreise manchmal negative Schlagzeilen, weil sie die Schweizer Gepflogenheiten nicht kennen und daher nicht einhalten – und das führt dann natürlich zu besagten Vorurteilen. Von den allermeisten Roma haben Sie aber bestimmt noch nie in der Zeitung gelesen, denn sie sind unsichtbar.
Unsichtbar?
Ja, sie kleiden sich unauffällig, outen sich nicht einmal. In der Schweiz leben seit Generationen ungefähr 100000 Roma. Die meisten von ihnen erzählen aus Angst vor Diskriminierung aber niemandem, dass sie Roma-Wurzeln haben. Ich habe mehrere Freunde in hohen Positionen, die aus Angst um ihre Stelle nie ein Wort darüber verlieren würden.
Was ist mit Ihnen? Sie sind auch Romni.
Ich erzähle es nicht jedem. Denn auch ich habe schon schlechte Erfahrungen damit gemacht. Einmal sagte jemand zu mir: «Da müssen wir aber aufpassen, dass nichts wegkommt, wenn du bei uns zu Besuch bist.» Ich glaube, es war ein Witz. Aber kein lustiger.
Woher kommen diese Vorurteile?
Ausser aus Medienberichten – von denen jeder achte diskriminierend ist – weiss die Schweiz praktisch nichts über uns. In den Geschichtsbüchern werden wir entweder totgeschwiegen oder als Vaganten dargestellt. Kein Schulkind lernt, dass die Roma ursprünglich aus Indien kamen und vor 600 Jahren in verschiedene europäische Länder eingewandert sind. Und kaum jemand weiss, dass die Roma eine eigene Sprache sprechen: das Romanes, mit Wurzeln im indischen Sanskrit, das vermischt wurde mit zeitgenössischen Sprachen wie dem Rumänischen oder Griechischen. Statt die Geschichte der Roma aufzuarbeiten, werden in der Schule nur Stereotype vermittelt. Beim Wort Roma denken darum viele Menschen an geigenspielende Zigeuner oder Wahrsagerinnen mit Kristallkugel.
Diese Stereotype versuchen Sie mit Ihrer Kunst aufzubrechen.
Genau. Wir brauchen endlich frische Bilder von den Roma. Das versuchen wir mit dem Roma-Jam-Session-Art-Kollektiv zu erreichen. Wir sind drei Künstler, die sich 2013 kennen gelernt haben und seither zusammenarbeiten. Unser nächstes Projekt ist der «Detox Dance».
Was kann man sich darunter vorstellen?
Der «Detox Dance» vereint verschiedene Bewegungselemente unter anderem aus Roma-Tänzen. Getanzt wird zu zeitgenössischer Roma-Musik, die eine Soundkünstlerin für uns gemischt hat. Wir werden den Tanz auf dem Waisenhausplatz in Bern vorführen, zwei Tage vor dem Internationalen Tag der Roma. Ziel ist es, möglichst viele Passanten zum Mitmachen zu animieren. So können wir gemeinsam etwas erleben und später hoffentlich miteinander ins Gespräch kommen. Die Leute sollen mit uns und nicht über uns reden. Nur so können wir Vorurteile abbauen.
Es ist nicht Ihr erster Auftritt. Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Ihrer Performance-Kunst gemacht?
Natürlich wundern sich viele Leute über unsere Auftritte. Sie sind aber auch neugierig, denn die meisten haben noch nie mit einer Romni oder einem Rom gesprochen – oder besser gesagt: Sie wissen es zumindest nicht.
Und wie steht die Roma-Community zu Ihren Auftritten?
Ich glaube, dort haben wir eine Lawine ins Rollen gebracht. Mit unseren Kunstperformances fordern wir Sichtbarkeit für die Roma. Dadurch überlegen sich die Angehörigen der Roma einmal mehr, warum sie sich überhaupt verstecken. Ich hoffe, dass sich in Zukunft immer mehr von ihnen trauen, offen zu ihren Wurzeln zu stehen. Mit Kunstperformances allein ist das aber nicht zu schaffen.
Möchten Sie sich auch politisch engagieren?
Genau. Das Roma-Jam-Session-Art-Kollektiv ist seit 2015 Teil einer Arbeitsgruppe des Bundesamts für Kultur. Wir setzen uns für die Anerkennung der Roma als Minderheit in der Schweiz ein. Parlamentarier haben hierzu ausserdem einen Vorstoss eingereicht. Mit einer solchen Anerkennung hätte das Versteckspiel für die Roma endlich ein Ende. Und auch die Schweiz würde profitieren: Unsere vielfältige Gesellschaft würde um einen Aspekt reicher – und merken, dass die Roma schon längst ein Teil von ihr sind.
Mo Diener hat in Zürich neben Kunst auch Ethnologie und Anthropologie studiert. Sie ist künstlerische Leiterin des Roma-Jam-Session-Art-Kollektivs.
Hinweis: Am Donnerstag, 6. April, führt das Roma-Jam-Session-Art-Kollektiv um 12 Uhr den «Detox Dance» auf dem Waisenhausplatz in Bern auf. Anschliessend findet eine Führung durch Bern und am Abend eine Podiumsdiskussion statt. Der 8. April ist Internationaler Tag der Roma.