Wanuri Kahiu hat einen Film über gleichgeschlechtliche Liebe gedreht. Ein schöner, kraftvoller Film. In ihrem Land Kenia jedoch ist Homosexualität strafbar – was «Rafiki» zu politischem Zündstoff macht.
Ezekiel Mutua schäumte vor Wut: «Es wäre eine Schande, wenn homosexuelle Filme unser Land prägen würden», twitterte diesen September der Chef der Kenya Film and Classification Board Commission – das ist eine kenianische Zensurbehörde.
In einem heute nicht ganz unüblichen Politstil liess Mutua diesem Tweet einige weitere ähnlichen Inhalts folgen: «Welche geistig gesunde Person hat Vergnügen daran, zwei Mädchen beim Sex zuzuschauen?» «So sind wir nicht, das ist nicht unser Lebensstil!»
Mutua sprach dabei über den kenianischen Film «Rafiki» – ein Drama über zwei junge Frauen in Nairobi, die sich, zu ihrer eigenen Verblüffung, ineinander verlieben. Im Mai war er auf das Festival von Cannes eingeladen, in die wichtige Sektion «Un certain regard». Nie zuvor hatte ein kenianischer Film das geschafft.
Inszeniert wurde «Rafiki» von Wanuri Kahiu. Die in Nairobi geborene Tochter einer Kinderärztin und eines Geschäftsmannes hat in England Management sowie später in Los Angeles Film studiert, ehe sie in ihre Geburtsstadt zurückkehrte. Seit 2009 arbeitet sie dort als Regisseurin und Autorin.
Die 38-Jährige zeigt sich in unserem Skype-Gespräch als sympathische, unkomplizierte Person. Bei einer Tasse Tee sitzt sie in Nairobi vor dem Computer; einmal kurz unterbrochen von ihrem kleinen Sohn, der im Superheldenkostüm durchs Bild springt.
Wanuri Kahiu, gab es in Kenia feindselige Reaktionen auf Ihren Film?
«Keine Feindseligkeiten, keinen Hass, das war gut. Abgesehen von Ezekiel Mutua natürlich, der seine Meinung wortreich kundtat.»
In Kenia ist Homosexualität verboten. «Sex wider die Ordnung der Natur» («against the natural order») nennt sie das Strafgesetzbuch, darauf drohen bis zu 14 Jahre Haft. «Ich weiss nicht, ob jemand im Gefängnis sitzt», kommentiert Kahiu, «ich kenne keine Zahlen. Was es auf jeden Fall gibt, ist, dass Homosexuelle bei uns beleidigt, schikaniert und diskriminiert werden.»
Ihr war also klar, dass sie mit dem Thema ein heisses Eisen anfasst. «Gerade deswegen tat ich es ja», meint sie lapidar. Dabei ist Kahiu keineswegs jemand, der gern provoziert. Die Künstlerin hat lediglich eine Haltung und steht für ein Afrika, das Verantwortung für sich selbst übernimmt.
Für den Zensor Mutua ist es ein Skandal, dass Kahiu dafür einsteht, dass zwei Frauen körperliche Zuneigung füreinander empfinden können. Doch auch für liberale Westler hält Kahius Haltung Überraschungen bereit: Unseren Nichtregierungsorganisationen begegnet sie kritisch. Sie hat selbst für einige gearbeitet, war aber froh, als sie es nicht mehr musste. In den Augen der Künstlerin legitimieren NGOs ihre Arbeit vor allem mit Hilfe von Bildern, die einen von Gewalt und Krieg und Elend geplagten Kontinent zeichnen. Kahiu weiss, dass das nicht falsch ist, findet den Eindruck aber stark verzerrend. «Wir leiden nicht», stellt sie in unserem Gespräch klar. «Natürlich gibt es Momente, wo es schwer ist. Doch das ist nicht das, was uns ausmacht.»
In diesem Sinn ist auch «Rafiki» ein schöner, klar strukturierter Film. Kraftvoll und doch dezent. Wer nach Mutuas Tweets heisse Sexszenen erwartet, wird enttäuscht. Und auch das Klischee vom moralisch rückständigen Entwicklungsland verweigert sie uns: Zwar zeigt Kahiu die Häme, den Hass, ja sogar die Schläge, die die beiden jungen Frauen erdulden müssen. Doch ihr Schwerpunkt liegt woanders: auf den beiden Frauen, die einen Weg finden müssen, ihre Gefühle zuzulassen, sich zu finden. Deswegen lehnte die Regisseurin die Forderung der Zensurbehörde ab, den Film zu ändern. «Sie hätte ihn grösstenteils akzeptiert, wollte aber einen anderen Schluss.» Der sollte reuevoll sein, statt hoffnungsvoll, wie von Kahiu vorgesehen. «Ich spreche aber immer davon, dass man Afrika auf hoffnungsvolle Weise darstellen muss. Wenn ich das aufgebe, verstosse ich gegen alles, woran ich glaube.»
Auf ihre Weigerung hin verbot die Zensur den Film. Dagegen klagte die Regisseurin vor Kenias Oberstem Gerichtshof – und gewann zumindest temporär.
Nach der Teilnahme in Cannes galt «Rafiki» als aussichtsreicher Kandidat für den Oscar 2019 als bester fremdsprachiger Film. Doch um für diese Kategorie in Frage zu kommen, muss ein Film in seinem Heimatland wenigstens sieben Tage gelaufen sein. Diese sieben Tage verlangte Kahiu vom Gericht. Sie bekam sie, und die Twitter-Orgie von Ezekiel Mutua begann.
Doch im Grunde geht es der Regisseurin genau darum: um die Meinungsfreiheit. «Zur Zeit der Diktatur herrschte Angst, da waren wir still», sagt sie. «Jetzt können wir öffentlich debattieren und streiten.»
Diese Debatte ist ziemlich lebendig. Die kenianische National Gay and Lesbian Human Rights Commission unternimmt gerade juristische Schritte gegen das Strafgesetzbuch, das Homosexualität mit Gefängnis bedroht. «Dieses Gesetz stammt aus der Kolonialzeit», erläutert Kahiu. Erst mit der Christianisierung wurde Homosexualität in Kenia als ungesetzlich erklärt.
Vorher war das keineswegs so. «Deshalb gibt es in den afrikanischen Sprachen Wörter, die Homosexualität beschreiben. Deswegen gibt es in der Kultur meiner Ethnie ein uraltes Ritual, in dem Frauen Frauen heiraten. » Kahiu sagt, sie sei extrem gespannt auf die Entscheidung des Gerichts – im Februar soll es so weit sein.
«Ich bin ein grosser Fan unserer Verfassung, die die freie Meinungsäusserung ja garantiert» – und das nicht nur für sieben Tage. Mit «Rafiki» sieht sie eine gute Möglichkeit, die Probe aufs Exempel zu machen.
Ab 31. 1.: «Rafiki» von Wanuri Kahiu, die als Nächstes einen Film für die britische Produktionsgesellschaft Working Title («Notting Hill», «Bridget Jones’s») drehen wird
1.
«Ich bin ein grosser Fan unserer Verfassung, die die freie Meinungsäusserung garantiert»: Wanuri Kahiu