Ich schaue Filme nie zweimal. Nie. Bis «Die göttliche Ordnung» in die Kinos kam. Ein Schweizer Filmdrama über das Frauenstimmrecht, das Sie geschrieben und bei dem Sie Regie geführt haben. Obwohl, genau genommen habe ich auch Ihren Film nicht zweimal gesehen. Es waren vier Mal. Und ich fand ihn mit jedem Mal noch herausragender als zuvor.
Es hätte ein schampar bünzliger Streifen werden können, Ihr Film. Ein bünzliger Streifen, gespielt in einem bünzligen Appenzeller Dorf, damals, Anfang 1971, als Frauen in der Politik noch nichts zu suchen und auch sonst ziemlich wenig zu sagen hatten. Oder ein Film fern der damaligen Realität. Schliesslich sind Sie erst ein Jahr früher, 1970, geboren, mussten nie um Ihr Stimmrecht kämpfen. Und aufgewachsen sind Sie zwar im Aargauischen Suhr, leben heute jedoch in Berlin und New York – also ziemlich weit weg vom Appenzell. Aber Sie haben «Die göttliche Ordnung» zu einem emotionalen, mitreissenden, lustvollen und klugen Film gemacht. Oh, wie war ich wütend, als die Hauptperson Nora nicht arbeiten gehen durfte, weil ihr Mann es ihr verboten hatte. Wie war ich berührt vom Willen der Frauen, die mit aller Kraft für Gerechtigkeit, Freiheit und das Frauenstimmrecht kämpften. Wie habe ich gelacht, als ebendiese Frauen aus dem Appenzell nach Zürich an eine Demonstration fuhren, an einem Orgasmus-Workshop ihre Yoni-Power entdeckten und danach wie in Trance durch die Zürcher Nacht tanzten. Am meisten beeindruckt hat mich allerdings jedes Mal, wie bewegt und inspiriert die Menschen das Kino nach Ihrem Film wieder verlassen haben.
Beeindruckt von Ihrem Schaffen war übrigens auch meine Kollegin, mit der ich den Film zum ersten Mal gesehen hatte. Und meine Mama, der ich den Film kurz darauf zeigte. Und mein Freund, der sich – zuerst etwas widerwillig – von mir ins Kino schleppen liess, weil ich den Film unbedingt ein drittes Mal sehen wollte. Nach der Vorstellung war er überzeugt, dass jede Schweizerin und jeder Schweizer diesen Film sehen sollten. Er hat recht. Dürfte ich über den Inhalt des nächsten Lehrplans entscheiden, dieser Film wäre Teil davon. Damit wir nicht vergessen, dass die politische Realität für Schweizer Frauen noch vor wenigen Jahrzehnten ganz anders aussah als heute. Damit wir unser Stimmrecht schätzen und davon Gebrauch machen. Und damit wir für Dinge einstehen, die uns wichtig sind, und nicht aufgeben, ehe wir unsere Ziele erreichen. Denn, da sind wir uns bestimmt einig, es gibt noch viel zu tun.
Mehr als 340000 Schweizerinnen und Schweizer haben «Die göttliche Ordnung» mittlerweile gesehen, ein Sensationserfolg. Er wird im Ausland gezeigt (wo ich ihn übrigens vor kurzem zum vierten Mal gesehen habe), und Sie haben damit den Schweizer Filmpreis für das beste Drehbuch gewonnen. Hätten Sie das gedacht, als Sie um die Jahrtausendwende Dramaturgie und Drehbuch an der deutschen Filmuniversität Babelsberg studierten? Hätten Sie gedacht, dass das Bundesamt für Kultur einen Ihrer Filme bei den Oscars als Schweizer Beitrag in der Kategorie «Bester fremdsprachiger Film» einreicht? Dort hat es «Die göttliche Ordnung» zwar nicht auf die Short List geschafft, eine grosse Anerkennung ist das aber auf jeden Fall. Und es ist ja nicht so, dass der Film übers Frauenstimmrecht Ihr erster erfolgreicher Film wäre. Sie haben auch das Drehbuch für Alain Gsponers Film «Heidi» geschrieben, den weltweit 3,5 Millionen Menschen gesehen haben. Ihren Erfolg gönne ich Ihnen, liebe Petra Volpe, von ganzem Herzen!
Mein persönliches Highlight aus Ihrer Filmografie ist – neben «Die göttliche Ordnung», versteht sich – übrigens «Traumland». Ein schonungsloser Film über Prostitution und den ehemaligen Zürcher Strassenstrich, der mich gleichermassen fasziniert und verstört hat. Aber genau solche Filme braucht es. Filme, die uns zum Nachdenken bringen. Die uns inspirieren und veranlassen, die Welt ein klein wenig besser machen zu wollen. Filme, wie Sie sie schreiben. Ich freue mich schon auf Ihren nächsten.
Herzlich,
Leandra Nef