Leben
In der Krise kreativ: Interview mit Renato Minotti über Design in Italien
- Redaktion: Connie Hüsser und Rebekka Kiesewetter
Wie steht es derzeit ums Design in Italien selbst, der Hochburg der edlen Möbelkunst? Wir fragten Produzent Renato Minotti.
ANNABELLE: Renato Minotti *, was sind aus Ihrer Sicht die derzeitigen Stärken und Schwächen der italienischen Möbelproduzenten?
RENATO MINOTTI: Ihre Fähigkeit, Möbel in hoher Qualität nach Standards zu produzieren, die kein anderes Land erreicht, bleibt unbestritten. Die grösste Schwäche ist finanzieller Natur, den meisten Firmen fehlt es momentan an monetären Ressourcen.
Wie ist Minotti von der Krise betroffen?
Als italienischer Bürger mag ich nicht leugnen, dass ich über die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen besorgt bin. Aber als Entrepreneur kann ich versichern, dass die Krise uns nicht tangiert, da wir neunzig Prozent unserer Produktion in sechzig Länder exportieren. Die Italiener sind besser als ihre Politiker, wir bemühen uns, der Krise mit Kreativität zu begegnen und noch härter zu arbeiten als zuvor.
Wo steht das italienische Design heute international?
Italienisches Möbeldesign hat die letzten fünf Dekaden stilistisch mitgeprägt. Klarheit und Raffinesse sind die beiden Eigenschaften, die bis heute unserem Design vor allen anderen zugeschrieben werden. Für einige Gestalter und Firmen ist es mit diesem Erbe schwierig, neue Konzepte und Ideen zu ersinnen und auszuprobieren. Das ist eine Schwäche des italienischen Designs, mehr Freiheit und Wille zum Risiko wären da wünschenswert.
Wie hält Minotti es mit Tradition und Innovation?
Wir versuchen, im Rahmen der Tradition innovativ zu sein. Innovationen voranzutreiben, heisst nicht, Tradition zurückzuweisen. Es ist möglich, sich an Einflüssen aus der Vergangenheit zu orientieren und sie durch die Anwendung zeitgemässer Technologien und mit einem Sinn fürs Kontemporäre ins Heute zu übersetzen. Unsere neue Kollektion zeigt – obwohl einige Produkte Erinnerungen an die Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahre wecken –, dass unsere Eigenständigkeit gerade in der Fähigkeit gründet, Zukunftsweisendes mit einem Sinn für Zeitgenössisches zu interpretieren, dabei das Vergangene nicht aus den Augen zu lassen und alles in einer vielseitigen, doch unverwechselbaren Kollektion zu verschmelzen.
Das heisst konkret für die Produkte?
Seit 2012 haben wir viel in neue Technologien zur Entwicklung und Anwendung von Gussformen investiert. Die Struktur der Neto-Tische etwa ist aus Baydur, einem sehr technischen Bau-Polyurethan, geformt. Neue Produktions- und Materialtechnologien verschmelzen wir bei der Verarbeitung mit traditionellem Handwerk. Dies ist übrigens auch einer der besten Wege, um die Minotti–Produkte davor zu bewahren, billig kopiert zu werden.
Verpasst Italien in der Verehrung alter Meister, junge Talente zu fördern?
Bevor du dich von Traditionen befreist, musst du sie kennen. Bevor du Regeln brichst, musst du sie lernen. Es wäre aber falsch, wegen Vergangenem neue Talente zu ignorieren und Gelegenheiten zu verpassen. Unter anderem ermöglichen neue Technologien ja, Neuartiges zu entwerfen, wie es etwa dank der LED-Technologie in Sachen Beleuchtung geschehen ist.
Die Écal in Lausanne, das RCA in London: Gibt es in Italien ein Institut mit gleicher Anziehungskraft und Wirkung?
Früher hatten wir wichtige Schulen wie das Mailänder Politecnico, die berühmte Architekten und Designer – etwa Achille Castiglioni oder Rodolfo Dordoni – hervorbrachten. Für neuere Schulen ist es schwierig, sich im Schatten des Ruhms der alten Institute zu etablieren. Aber die Nuova Accademia di Belle Arti, das Istituto Europeo di Design, das Politecnico oder die Domus Academy in Mailand sind sehr gut.
Wie behalten Sie Tendenzen und Talente im Auge?
Wir verfolgen die Entwicklungen und erhalten von jungen Gestaltern immer wieder Vorschläge für neue Designs. Wir schauen sie uns genau an, obwohl wir im Produktdesignmanagement unsere eigene Strategie verfolgen, die wir mit unserem Art Director Rodolfo Dordoni entwickeln.
Der beste Designer aller Zeiten?
Charles Eames. Für Wohnhausarchitektur Richard Neutra und Oscar Niemeyer wegen seiner Vision.
* Die Brüder Renato und Roberto Minotti leiten den Familienbetrieb Minotti; www.minotti.it