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Kommentar: Wem darf man die Kinderfrage stellen? Niemandem!

Zeitgeist

Kommentar: Wem darf man die Kinderfrage stellen? Niemandem!

Von genervtem Augenrollen bis hin zu feuchten Augen: Die Frage «Willst du Kinder?» löst selten nichts aus. Letzten Endes ist sie für alle Beteiligten unangenehm, schreibt Lifestyle Editor Linda Leitner in ihrem Kommentar.

«Warum hast du eigentlich keine Kinder?», habe ich gefragt. So nebenbei im Rausch von ein paar Shots. «Es war einfach nie die richtige Frau dabei», hat er geantwortet. Er, um die 40. Ich, 38, ebenfalls kinderlos. Auch anwesend: Menschen mit Ringen am Finger und jeder Menge mehr oder weniger interessanter Geschichten von diversem Nachwuchs. Die Normalen.

Aufgewacht bin ich mit Kopfschmerzen und einem Gesichtsausdruck vor Augen, den ich nicht unbedingt deuten konnte. Und ob der kinderlose Mann tatsächlich irritiert oder betroffen war, spielt eigentlich auch gar keine Rolle. Ich habe mich geschämt: Was zur Hölle gibt mir das Recht, ihn bewusst in eine vielleicht unangenehme Situation zu bringen? Ihm die so sensible und viel diskutierte Kinderfrage zu stellen? Die Frage, die ich selbst so ungern höre. Weil man mir damit immer ein gewisses Unvermögen unterstellt. Habe ich so kopflos gefragt, weil er «nur» ein Mann ist?

Kinderlos im fortgeschrittenen Alter

Andere Situation, anderes Szenario: Eine Bekannte Ende 30 hatte Sex. Vielleicht nicht ganz nüchtern, ganz sicher aber in der zweiten Runde ohne Verhütung, ohne Kondom. Der Coitus interruptus kam etwas zu plötzlich, sie äusserte Bedenken: Ob da wohl was schief, also … reingegangen sein könnte. Er witzelte: In ihrem Alter würde man doch sowieso nicht mehr schwanger werden. Vier Wochen später sass sie weinend vor einem positiven Test.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie diesen Kommentar nicht vergessen können. Einer, der die Situation hätte entspannen sollen und sicher nicht böse gemeint war. Ein Kommentar, bei dem alles sass, nur die Pointe nicht. Einer, der einer Frau dieses bereits erwähnte Unvermögen unterstellt. Kinderlos. Im fortgeschrittenen Alter.

Ist die Frage nach dem Kinderwunsch ein Arschloch?

Meine Bekannte wehrte sich verbal – aber in diesem Fall reagierte sogar der Körper mit Trotz. Das Kind wurde nie geboren. Aber die Aussage, als zu alt zu gelten, blieb im Kopf. Ist nun der Mann, der die Problematik (man muss ganz klar sagen: naiverweise) nicht sah, das Arschloch? Oder ist die Frage nach dem Kinderwunsch an sich ein Arschloch?

Sich aktiv für ein Kind zu entscheiden, ist ein Luxus. Die Möglichkeit, sich dagegen zu entscheiden, selbstverständlich auch. Das muss klar sein, um zu verstehen, wie viel Unbehagen die Kinderfrage auslösen kann. Es ist keine Frage wie: «Möchtest du nen Kaffee?» Das ist nur dann verletzend, wenn man Kaffee echt gern mal probieren würde, aber dummerweise unter einer tödlichen Kaffeebohnenallergie leidet.

Dinge, die man nicht ändern kann

Die Antworten, die hinter der Kinderfrage lauern, sind divers: Unfruchtbar könnte man sein. Man könnte irgendwann unfruchtbar geworden sein. Man probiert schon ewig und ist frustriert. Man könnte in den letzten Jahren ein oder mehrere Kinder verloren haben. Ein Kind könnte gestorben sein. Es kann ausserdem belastend sein, gar nicht wirklich zu wissen, ob man Kinder möchte. Und mit wem? Ist man mit der richtigen Person zusammen? Oder eben: Der oder die richtige Partner:in war bisher schlichtweg nicht dabei. Es sind oft Dinge, die man nicht ändern kann. Auch nicht mit Geld. Und diese Ohnmacht macht panisch.

All das sind Gründe, die – übrigens unabhängig von einem gewissen Alter – nicht mit jedem besprochen werden wollen. Und Schmerz auslösen können. Einen kurzen, stechenden vielleicht. Oder einen, der sich wie ein lähmender Schleier über die Seele legt. Zudem sind es Argumente, die nicht nur unabhängig vom Geburtsdatum, sondern auch getrennt vom Geschlecht zu betrachten sind.

Wie eingangs erwähnt, muss ich mich da an die eigene Nase fassen – auch wenn mich in der Zwischenzeit schon wieder zwei Männer unbedarft gefragt haben: «Wolltest du nie Kinder?» Das Leben ist weder ein Ponyhof, der vor Fohlen nur so platzt, noch ein Wunschkonzert.

Die Frage impliziert, für mich sei es vorbei

Was meine Gründe sind, geht niemanden etwas an. Aber warum muss ich mich weniger funktional machen lassen, als ich vielleicht bin? Mit 38 bin ich nicht steinalt. Die Frage impliziert, für mich sei es vorbei. Als Frau kaputt. Wertlos? Während mir gleichzeitig immer vorgebetet wird, wie jung ich aussehe, steht es um meinen Uterus offenbar ganz unbestritten schlecht. Da kommen die Eier nicht mehr wie aus der Seifenblasenmaschine geschossen. Nur noch die Hülle ist Fun. Und der Körper letzten Endes eine Maschine.

Ich wage zu behaupten, Männer stellen diese Frage unüberlegter, weil sie von der Natur gesegnet sind. Denken sie zumindest ganz männerig. Sie ruhen sich auf dem Privileg aus, ewige Befruchter zu sein. Und werden so auch manchmal überheblich. Aber ich weiss, ich werde nun wieder unfair und nachlässig: So ist es eben nicht. Es gibt auch die Männer, die von der Kinderfrage ebenso hart getroffen werden. Auch für Männer kann das Ganze unbequem sein. Kindermachen ist – zumindest in erster Instanz – ein Fifty-Fifty-Job. Beim Kriegen sind Männer aussen vor, aber auch das kann ein Problem sein.

Wenig kinderfreie Vorbilder

Jedenfalls: Herzlichen Glückwunsch an alle, die sich für ein Kind entscheiden, es behalten, kriegen und aufziehen. Eine Sensibilisierung für die Tatsache, dass das nicht selbstverständlich ist, ist wichtig. In jedem Alter, für jedes Geschlecht. Und auch wer ganz selbst gewählt keine Babys in die Welt setzen will, muss sich keine ungläubigen Erkundigungen anhören. Jaja, auch das gibts. Absurderweise sind bewusst kinderlos lebende Menschen aber öffentlich kaum sichtbar, es gibt wenig kinderlose Vorbilder in unserer Gesellschaft.

Nun ist es ja folgendermassen: So richtig Spass macht die Kinderfrage nie. Antwortet man freudig «Ja», dann werden wir sehen. Obs klappt, wenns soll. Ob der oder die Partner:in kann. Lautet die Antwort «Ja, eigentlich schon, aber …», wirds schnell tiefgründiger oder verletzender, als man eigentlich wollte. Nur, weil irgendwer nicht nachgedacht hat. Oder in einer Bar einfach mal eine Lebensfrage – die Gretchenfrage – über den Tresen geworfen hat. Drum: vorsichtig sein. Die Sicherheit des oder der anderen nicht überschätzen. Oder vielleicht generell nur nachfragen, wenn man sich wirklich gut kennt. Und Achtung: So mancher Körper reagiert trotzig.

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Adrienne O.

Hier hat es viele Ansätze, um darüber zu reflektieren.
Vor allem muss man wirklich früh genug auch selber darüber nachdenken, was es einem bedeutet, Kinder zu haben. Ich selber habe das viel zu lange vor mir her geschoben und auf den Moment gewartet, bis dann der richtige Partner endlich auftaucht um mich dem Thema zu stellen.
Ein Partner tauchte dann auf als ich 38 war, ich durfte mit 41 und 43 noch Kinder bekommen. Es ist mir bewusst, dass ich mit den Kindern grosses Glück hatte, aber mit dem Partner dann leider nicht.

Christine

Danke für diesen Kommentar zu einer schwierigen Frage. Ich sehe es auch so, dass man sehr bedacht mit ihr umgehen sollte. Ich selbst, 43, gewollt kinderlos, hatte eigentlich nie Mühe mit der Frage, dafür immer wieder mit den Reaktionen auf meine Antwort darauf. Entweder wird mir nicht geglaubt (ach komm, du wolltest sicher mal Kinder) oder meine Antwort wurde (vor 10 Jahren) nicht ernst genommen (du wirst schon sehen, der Wunsch kommt noch…). Meiner Meinung nach kann es sich in gewissen Gesprächen ergeben, dass der (nicht vorhandene) Kinderwunsch zum Thema wird. Wenn man die Frage jedoch stellt, sollte man offen und bereit ist für jede Antwort darauf sein, zuhören und sein Gegenüber ernst nehmen.

Brigitte

Schöner Artikel, mit vielen tollen Ansätzen. Und doch stößt er in das selbe Horn wie jene, die in dem Artikel als taktlos kritisiert werden: Es stilisiert die “Kinderfrage” zu mehr Wichtigkeit, als dieser zusteht. Jeder hat andere Vorraussetzungen und andere Vorlieben. Alleine WIE sich über dieses Thema unterhalten wird, hebt es – meiner Meinung nach – auf ein zu hohes Podest, welches schon wieder eine lockere Unterhaltung/Meinung unterbindet. Ich kann nur von mir sprechen, aber ich (w, Ü40, Kinderlos glücklich) habe überhaupt nichts gegen dieses Thema. Wogegen ich etwas habe ist, dass mir dauernd aufgedrängt wird, dass das doch ein so wichtiges Thema ist. Nein. Nur weil viele es nicht hinterfragen und manche es für ein wichtiges Thema halten, muss das nicht für alle gelten. Das ist genauso anmaßend.