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Kommentar: Warum ich mit weissem Feminismus nichts anfangen kann

Zeitgeist

Kommentar: Warum ich mit weissem Feminismus nichts anfangen kann

Das Ziel «weisser Feministinnen» ist die Gleichstellung mit weissen hetero-cis Männern mit Zugang zu Geld und Macht, schreibt Autor:in Josephine Apraku. Warum Apraku grosse Schwierigkeiten hat, in diesem Zusammenhang überhaupt von «Feminismus» zu sprechen und wieso Befreiung intersektional ist.

Es ist eine dieser Diskussionen, die mich maximal genervt zurücklässt: die aktuelle Debatte über «weissen Feminismus», die durch das Interview mit Sophie Passmann aufkam. Ich kannte sie zuvor nicht, auch weil ich «weissen Feministinnen» gegenüber oft skeptisch bin: Ich selbst habe von ihnen schon Dinge gehört, wie: «Du setzt dich nur für deine eigenen Interessen ein» (Rassismus) oder «Wir sollten lieber unsere Kräfte bündeln, um gegen das Patriarchat zu kämpfen» (um nicht über den eigenen Rassismus reflektieren zu müssen).

Auch deshalb habe ich kurz mit dem Gedanken gespielt, es mir einfach zu machen und einen Text in Haiku-Länge abzugeben, der vor allem aus «LOL», «weisser Feminismus» und Clown-Emojis bestanden hätte. Tatsächlich aber finde ich die Auseinandersetzung mit «weissem Feminismus» ziemlich wichtig.

«Weisser Feminismus» stellt die Interessen weisser, mehrfach privilegierter Frauen ins Zentrum

Was meine ich eigentlich, wenn ich von «weissem Feminismus» schreibe? Im Grunde beschreibt der Begriff einen «Feminismus», der die Interessen weisser, mehrfach privilegierter Frauen ins Zentrum stellt. Das geht zum Beispiel damit einher, dass etwa Diskussionen über das Gender-Pay-Gap regelhaft ausblenden, dass von dieser Lohnlücke nicht alle gleichermassen schlecht, sondern einige sogar noch drastischer betroffen sind.

Das gilt beispielsweise für Frauen, die Rassismus erfahren, deren durchschnittlicher Lohn noch hinter dem weisser Frauen liegt. Oder es werden Debatten über «gläserne Decken» in Chefetagen geführt, während der grösste Teil der Frauen und der als Frauen wahrgenommenen Menschen sich nicht einmal im Keller aufhalten darf.

Ihre Erfahrungen und Belange werden als Ablenkung dargestellt

Damit geht auch einher, dass eigentlich alle Frauen und alle als Frauen wahrgenommenen Personen, die mehrere Formen von Diskriminierung erfahren, etwa Rassismus, Ableismus, Cissexismus oder Klassismus, als Kollateralschaden unter die Räder kommen. Ihre Erfahrungen und Belange werden als Ablenkung dargestellt, die vermeintlich den Sturz des Patriarchats verzögert.

Eines kann weissen mehrfach privilegierten «Feministinnen» allerdings nicht angelastet werden: nämlich dass sie inkonsistent sind. Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht das. In Deutschland zum Beispiel gab es zum formalen Ende der Kolonialzeit – 1918 – knapp 150 koloniale Frauenvereine, die Frauen darauf vorbereiteten, in die Kolonien zu gehen. In den Kolonien gab es für weisse deutsche Frauen ungeahnte Freiheiten, wie die Übernahme von Entscheidungen in der Abwesenheit ihrer Männer.

Freiräume, die sich aus rassistischer Unterdrückung speisten

Weisse Frauen in den Kolonien wussten, dass jegliche Freiräume, die ihnen zugestanden wurden, sich aus rassistischer Unterdrückung speisten. Tatsächlich standen sie weissen Männern in der Ausübung von Gewalt, etwa gegenüber Schwarzen Menschen in Namibia, in nichts nach. Insbesondere Schwarze Frauen betrachteten sie als ihre direkten Konkurrentinnen, schliesslich war es ihr Auftrag, «deutsche Tugenden» in die Kolonien zu bringen. Und – dieser Teil blieb unausgesprochen – weisse Kinder zu gebären, um die eigene Vormachtstellung, die Deutschland durch Schwarze Kinder von weissen Kolonialsoldaten gefährdet sah, zu sichern.

Ich denke in diesem Zusammenhang auch an das Frauenwahlrecht in den USA, für das sich Schwarze Abolitionist*innen und weisse Frauen zunächst verbündeten. Als weisse Suffragetten realisierten, dass ihre Chance, das Wahlrecht zu erhalten, steigen würde, wenn sie sich ihrer Verbündeten entledigten und sie nicht mehr für das universelle Wahlrecht, sondern lediglich für ihr eigenes eintraten, taten sie das. Während viele weisse Frauen ab 1920 wählen konnten, konnten Schwarze Menschen in den USA erst ab 1965 flächendeckend wählen.

Die Aussagen weisser Feministinnen sind deshalb so gefährlich, weil sie salonfähig sind

Ich denke auch an den 14-jährigen Emmett Till, der auf brutalste Weise von weissen Männern getötet wurde, die – und ich hasse es, das schreiben zu müssen – selbstredend von allen Anklagepunkten freigesprochen wurden. Und zwar weil eine weisse Frau behauptet hatte, dass er sie belästigt hätte. Das hatte er nicht, so gestand sie Jahrzehnte später – völlig ohne Konsequenzen.

Die aktuellen Aussagen weisser Feministinnen sind deshalb so gefährlich, weil sie salonfähig sind, weil sie für jene verdaulich sind, die sich als liberal wahrnehmen. Nicht umsonst fühlen sich ebenfalls weisse Menschen wohl, Personen wie Sophie Passmann oder Sarah Kuttner – die kürzlich dafür eintrat, dass N*Wort wieder verwenden zu «dürfen» – zu Hilfe zu eilen und sie mit Kommentaren und anderen Beiträgen zu verteidigen und zu versuchen ihre «Unschuld» zu beteuern. Oder ihre «Entschuldigungen», die keine sind, anstelle von Betroffenen anzunehmen.

Das ist kein Zufall, sondern hat ganz wesentlich damit zu tun, dass sie Rassismus weder selbst erfahren noch als ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem betrachten. Das Perfide an der unschuldig erscheinenden Argumentation, dass hier vermeintlich «Frauen gegen Frauen kämpften», ist nicht nur, dass sie Frauen, die Rassismus erfahren, unterstellt, unsolidarisch zu sein (Clown-Emoji). Sie ist auch deshalb perfide, weil sie verkennt, dass es hier nicht um «Frauen gegen Frauen» geht, sondern um Frauen, die Rassismus kritisieren, und weissen Frauen, die ihn für sich nutzen, um «massentauglicher» zu sein.

Freiheiten weisser Frauen bauten schon immer auf Systemen der Unterdrückung

Mein Punkt ist, dass die «Freiheiten» weisser, in vielerlei Hinsicht privilegierter Frauen schon immer auf Systemen der Unterdrückung aufbauten, von denen sie selbst nicht betroffen waren. Das ist die Konstante, die uns bis in die Gegenwart begleitet.

Das Ziel «weisser Feministinnen» damals, und so erscheint es mir noch heute oft, ist die Gleichstellung mit weissen hetero-cis Männern mit Zugang zu Geld und Macht. Eben deshalb habe ich persönlich grosse Schwierigkeiten, in diesem Zusammenhang überhaupt von «Feminismus» zu sprechen. Denn wie könnte «weisser Feminismus» zu mehr Freiheit beitragen, wenn er sich doch so sehr an jenen orientiert, die die Unterjochung des grössten Teils der Menschen dieser Welt so präzise geplant und umgesetzt haben?

Im Kampf um die Freiheit von Unterdrückung – ja, es ist ein Kampf – können wir uns nicht an weissen intersektional privilegierten Männern orientieren. Ihre Ziele können nicht unsere sein. Ebenso wenig können wir uns an weissen, und in vielerlei Hinsicht privilegierten Frauen orientieren, die ihrerseits versuchen, einen grösseren Teil des Kuchens zu ergattern. Befreiung ist intersektional und denkt die diversen Betroffenheiten von Unterdrückung mit und will Freiheit – und zwar radikal für alle.

Josephine Apraku ist Afrikawissenschaftler:in sowie Referent:in für intersektionale rassismuskritische Bildungsarbeit und unterrichtete als Lehrbeauftragte:r unter anderem an der Alice Salomon Hochschule und der Humboldt-Universität Berlin.

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Carina Flores

On Point. Merci