Kommentar: Fuck Love – eure Toxic Positivity nervt!
- Text: Michèle Roten
- Foto: Stocksy
Unsere Autorin Michèle Roten hat begonnen, das Wort Liebe zu hassen. Und der Kapitalismus ist schuld daran. Eine Streitschrift.
Ich muss vorausschicken: Ich bin ein totaler Hippie. Hilfs- und Kompromissbereitschaft, Verständnis, überhaupt die Achtung des Wohlergehens anderer Menschen sind die Leitprinzipien meines Lebens. Man könnte das alles unter Liebe zusammenfassen, wobei – da sind wir schon mitten im Problem.
Jedes Mal, wenn ich eine Stofftasche eines beliebten Zürcher Labels mit dem Print «Love Rules Forever» sehe, muss ich einen kleinen Klumpen Hass runterschlucken. Toller Brand, super Leute, nichts falsch mit denen, die sie tragen, aber der Satz auf dem Sack geht mir so auf den Sack. Was soll das denn eigentlich heissen? Einfach nur: Liebe ist super, für immer? (Duh.) Oder tatsächlich: Liebe ist für immer die herrschende Kraft?
Wenn man sich die Welt so anschaut – ist sie das, echt? Ich kann nicht anders, als mir jedes Mal zu überlegen, was auch auf der Tasche stehen könnte, wenn es wirklich darum ginge, Feststellungen über die Welt zu machen. Pasta Rules Forever. Science Rules Forever. Leider auch: Greed Rules Forever. Fear Rules Forever. Stupidity Rules Forever. Aber eben, es geht natürlich nicht um Facts und auch nicht um Liebe, sondern eventuell um Hoffnung und eigentlich um selbstverliebte Gefälligkeit. Eitelkeit, gepaart mit Marketability. Ein unschlagbares, aber auch ganz schön widerliches Paar.
«Lassen wir die Liebe ein magisches Gefühl bleiben.»
Industrielle Liebe
«Liebe» oder noch lieber: «Love» wurde in den letzten paar Jahren von der Industrie gekidnappt, und wie allen Konzepten, denen das passiert, droht ihm jetzt der Bedeutungsverlust durch Zu-Tode-Gevögeltheit (R.I.P. «natürlich», «bewusst», «mindful»). Und «Love» ist nur der Gipfel des Eisbergs. Alles, was uns verkauft werden soll, ist inzwischen durch die Positive-Vibes-Abteilung getrieben worden wie die neueste Sau durchs Dorf. Das fängt dann an bei Federmäppchen mit «Happy Attitude» drauf, führt über Kopfkratzer wie Unterhosen mit «Kindness»- Print und endet bei Absurditäten wie Make-up mit dem Slogan «Love Your Natural Beauty».
Der Tee preist nicht mehr die krampflösenden Eigenschaften von Fenchelsamen, sondern verspricht einem «Selflove». Auf der Seife steht «Faith», auf der Trinkflasche «Zeit für mich». Und ich wünsche mir nur den «Endlich furzen»-Tee, die «Lass dich impfen»-Seife und die Flasche mit «Fick dich mit deiner Dreckswasserflasche, kein Mensch muss so viel trinken» drauf.
Jedenfalls ergeben sich so ziemlich perverse Bilder. Jetzt scheisst die Frau mit dem Pulli, der über und über bedruckt ist mit Herzen und den Worten «Love Above All» unerträglich laut das Servicepersonal zusammen, weil sie doch gesagt habe «ohne Croûtons. Ohne!!» Die mit dem Käppi mit «Generosity» drauf wedelt den Surprise-Verkäufer weg wie eine Schmeissf liege. Und der «Love Rules Forever»-Sack wird mit Augenrollen und genervtem Seufzen umständlich auf den Schoss genommen, wenn jemand im Bus fragt, ob der Platz noch frei ist. Also, was soll das Ganze? Woher kommt diese Schwemme von Feel-Good-Marketing?
«Von Slogans hohler Herzenswärme umgeben zu sein, ändert kein bisschen was auf der Welt.»
Ein warmes, köstliches Gefühl
Eigentlich ist es ja ein – wenn auch sehr naheliegender – Geniestreich: Man kann Dinge verkaufen, wenn sie den Konsumentinnen ein warmes, gutes Gefühl geben, und was gibt ein warmes, gutes Gefühl? Liebe. (Und Wärmeflaschen, aber denen fehlt die schmeichelhafte Aussage, die die Trägerin auf sich beziehen kann.) Für einmal muss hier nicht gegendert werden – der Trend, sich und seine Umwelt mit pseudooptimistischen Plattitüden zu dekorieren, ist tatsächlich fast ausschliesslich bei Frauen zu beobachten.
Es ist zu befürchten, dass Freundlichkeit, Hoffnung spenden, Umsorgen, halt: Liebe immer noch intuitiv als weibliche Domäne wahrgenommen wird – weshalb sich Frauen vielleicht eher angesprochen fühlen durch Produkte dieser Art. (Ein Gedanke, der bei mir auch wieder eine Welle ganz und gar nicht liebevoller Gefühle auslöst.) Oder ist der Hang zu Herzigem, Zuversichtlichem tatsächlich ein urweibliches Thema? Den Zusammenhalt stärken in der Höhle, traurige Krieger wieder aufbauen, so was? Die Frau als emotionale Ladestation und Trostdispenser, immer auf der Suche nach ermutigendem und lebensbejahendem Material?
Es geht natürlich primär um Impression Management, wenn man sich mit Botschaften jeglicher Art umgibt – man möchte beeinflussen, wie einen andere sehen. Sprich, mit Bezug auf die obengenannten Sprüche, wie jemand, der positiv ist, gutherzig, voller Liebe und Achtsamkeit (ob das wirklich funktioniert, ist eine andere Frage: Oder macht es nur mich skeptisch, wenn auf einem Fertig-Gulasch «Köstliches Gulasch» steht?). Sekundär möchte man vielleicht andere inspirieren, ihnen einen erbaulichen Gedanken mitgeben. Und da wirds dann richtig schwierig.
Zugemüllt mit Toxic Positivity
Denn schon klar, wir brauchen alle Trost und Hoffnung. Ist nicht leicht, zu leben. Klimawandel, Krieg, Krankheiten, Katastrophen, alles schrecklich (und mit K!). Aber von Slogans hohler Herzenswärme und Liebesgelaber umgeben zu sein, ändert kein bisschen was auf der Welt. Im Gegenteil. Toxic Positivity bezeichnet ja eigentlich das Phänomen, dass Menschen durchaus wohlmeinend Ratschläge geben wie «das kommt schon gut» oder «sieh es doch mal von der positiven Seite» oder «du musst nur dran glauben», was aber den gegenteiligen Effekt hat: Die Person, die getröstet werden soll, schämt sich jetzt auch noch dafür, dass es ihr schlecht geht, weil sie es nicht schafft, das Ganze halt einfach positiv zu sehen, fühlt sich unverstanden und nicht ernst genommen. Das Ganze lässt sich aber auch auf die Industrie anwenden.
Je mehr uns – neben Instagram, dem Super-Spreader von inspirational crap – die Marktwirtschaft zumüllt mit Schmuse-Messages wie «Feel Good», «Love Yourself», «Be Thankful», desto eher fügen wir ihnen in unseren Köpfen ein Now! You fucking loser! hinzu und haben noch einen wunden Punkt mehr. Schlimmstenfalls. Bestenfalls gehorchen wir brav, kaufen uns das Produkt, fühlen uns zwar nicht besser, lieben uns nicht mehr, sind auch nicht dankbarer, sondern immer noch die gleichen Ekel, haben aber das Gefühl, zu den Guten zu gehören, weil auf unserer Brust/Tasche/Lunchbox irgendwas Nettes draufsteht.
Hier ein paar Vorschläge für etwas weniger nervige Sprüche, die man auf Produkte schreiben könnte (wenn es denn überhaupt sein muss, Buchstaben sind eigentlich ja wirklich einfach keine Dekoration): Vibes Are Just Vibes. Scheisstage sind real. Not Being an Asshole Rules Forever.