Verbessert Entwicklungshilfe die Lebenssituation der betroffenen Menschen – oder macht sie alles nur noch schlimmer? Wir müssen lernen, gute Hilfe von schlechter Hilfe zu unterscheiden, sagt annabelle-Reporterin Barbara Achermann.
Dieser Tage fischen wir sie wieder aus dem Briefkasten, die Kinder aus Somalia, Syrien oder dem Jemen. Sie schauen uns mit traurigen Augen an. Adventszeit ist Spendenzeit, und am meisten Spenden holt man mit Kinderfotos. Das ist wissenschaftlich belegt. Es sei abstossend, wie die Hilfswerke mit unserem Mitleid spielen, enervierte sich kürzlich eine Kollegin. Sie spende nicht mehr. Das Geld verfehle die Wirkung oder versickere im Korruptionssumpf. Das beste Beispiel sei doch das stagnierende Afrika.
So regelmässig wie die jährlichen Spendenbriefe, so zuverlässig folgt die Kritik. Die erste, die sich mit ihrem Entwicklungshilfe-Verriss international Gehör verschaffte, war die Ökonomin Dambisa Moyo. Vor zehn Jahren veröffentlichte sie ein Buch mit dem drastischen Titel «Dead Aid». Entwicklungshilfe schade nur, so die Sambierin. Afrikanische Staatsführer würden ihre Verantwortung für ihre Bevölkerung nicht wahrnehmen, denn wenn andere Schulen bauten und Kinder impften, müsse es die Regierung ja nicht mehr tun. Zudem verzerre das Mitleidsgeld den Markt, verteuere Investitionen und Exporte. Das Buch erschütterte das bislang blinde Vertrauen in die Entwicklungshilfe. Im selben Jahr publizierte Volker Seitz ein Buch mit ähnlichen Thesen und dem Titel: «Afrika wird armregiert.» Wie aktuell die Debatte noch immer ist, zeigt sich daran, dass das Buch vor wenigen Wochen in einer neuen Auflage erschienen ist. Seitz war als deutscher Botschafter in Afrika. Auch er berichtet von korrupten Eliten und Helfern, die sich an den Hilfsgeldern bereichern. Und vom lähmenden Effekt der Geldflüsse.
Jahrzehntelang hat niemand die Frage gestellt, ob und wie Entwicklungshilfe wirklich etwas verändert. Man ging automatisch davon aus, dass Helfen gut ist. Dank kritischer Stimmen wie diejenigen von Moyo oder Seitz sind Helfer selbstkritischer geworden. Es wird besser geprüft und ausgewiesen, wie effektiv Projekte sind, und kontrolliert, wo Gelder hinfliessen. Auch Öffentlichkeit und Medien schauen genauer hin. Was nicht heisst, dass es keine schwarzen Schafe mehr gibt. So wurde unlängst publik, dass Mitarbeiter der Hilfsorganisation Oxfam auf Haiti Parties mit Prostituierten gefeiert und Sex als Gegenleistung für Unterstützung verlangt haben sollen.
Laut Ökonomin Moyo gibt es eine einfache Lösung: die Hilfe sofort einstellen. Soll man die Einzahlungsscheine also direkt ins Altpapier werfen, so wie das meine Kollegin tut? Bedeutet ein Spendenstopp die Rettung für Afrika? Die Sache ist komplexer. Man mag sich nicht vorstellen, was wäre, wenn all den Schulen und Spitälern, die von internationalen Organisationen finanziert werden, der Geldhahn zugedreht würde. Es gibt auch Zahlen, die für die Entwicklungshilfe sprechen: So konnten etwa mehrere Millionen HIV-, Malaria- und Tuberkulose-Erkrankungen dank gross angelegter Programme verhindert werden.
Was wir lernen müssen, ist, gute Hilfe von schlechter Hilfe zu unterscheiden. Das ist kompliziert und mühsam, aber es gibt Organisationen, die einem dabei helfen: Zewo zertifiziert Hilfswerke dafür, dass sie strenge Kriterien einhalten. Givewell ermittelt, welche Hilfswerke am effektivsten Armut bekämpfen, etwa mit dem Verteilen von Moskitonetzen oder Entwurmungsaktionen für Kinder. Selbst Entwicklungshilfe-Kritiker Seitz sagt: «Bildungs- und Gesundheitsprojekte zu unterstützen ist zumeist richtig.» Er empfiehlt kleinere Organisationen, beispielsweise Amref, Schulbank, Ein-Dollar-Brillen, Makaranta, Zikomo oder den Schweizer Verein Aqua Pura. Auch das Bauchgefühl hilft bei der Wahl: Wenn Hilfswerke mit allzu sentimentalen Kinderfotos auf Spendenfang gehen, ist das meist ein Indiz für unseriöse Arbeit.
annabelle-Reporterin Barbara Achermann staunte nicht schlecht, als sie in der Zewo-Spendenstatistik las, dass Deutschschweizer doppelt so viel spenden wie Romands: im Jahr durchschnittlich 400 Franken pro Haushalt