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Kinesis

Kinesis

  • Text: Claudia SennIllustration: Stéphane Manel

Die Zukunft des Fitnesstrainings.

Ich bin ein Weichei. Und das auch noch gern. Seit ich den sadistischen Turnlehrer meiner Gymnasialzeit losgeworden bin (möge er in der Hölle schmoren mitsamt seinen durchtrainierten Bizepsen), bin ich jeder Gelegenheit aus dem Weg gegangen, meinen Körper zu schinden und zu quälen. Nun soll ich die brandneue Sportart Kinesis ausprobieren. Der Name klingt auf beruhigende Weise fernöstlich. So sanft, so meditativ, mit anderen Worten: Weichei-kompatibel. Ein tragischer Irrtum. «Kinesis», sagt Lazlo, mein Trainer, «ist die Zukunft des Fitnesstrainings.» Herkömmliche Kraftmaschinen seien wie Dinosaurier. «Früher oder später sterben sie aus.» Bei Kinesis müsse ich ebenfalls Gewichte stemmen, die jedoch nicht an starren Maschinen, sondern an flexiblen Seilzügen befestigt sind. Ganze Muskelgruppen werden so auf einmal bewegt, was nicht nur die Kraft verbessert, sondern auch die Koordination, Beweglichkeit und Balance. Sogar neue Neuronenverbindungen soll das ganzheitliche Supertraining im Gehirn spriessen lassen. Das klingt toll. Doch hat Lazlo nicht beunruhigend durchtrainierte Bizepse?

Und sein unablässig strahlendes Siegerlächeln, soll es mich etwa von den kommenden Martern ablenken? «Nimm lieber ein Mineralwasser mit, du wirst es brauchen», sagt mein Zuchtmeister. Ich schlucke leer. Lazlo führt mich in einen lichtdurchfluteten Raum. Alles ist crèmefarben, futuristisch und edel. Der grösste Teil der Maschinen ist hinter den Wänden verborgen, nur die Seilzüge sind zu sehen. Lazlo turnt vor, ich mache nach: Ausfallschritt, Gewichte mit beiden Armen nach vorne stossen, dann einen grossen Schritt nach vorne und das Knie in die Höhe ziehen. Das alles bitte ganz langsam und kontrolliert. Erst fühle ich mich wie eine von Rotwein beduselte Hupfdohle. Krampfhaft versuche ich, das Gleichgewicht zu halten. Bin ich etwa motorisch behindert und habe das bisher erfolgreich verdrängt? Nach der siebten Wiederholung scheine ich mich jedoch langsam in den ungewohnten Bewegungsabläufen zurechtzufinden. Aha, die Neuronen. Ich höre sie schon leise knistern. Trotzdem werden meine schlimmsten Befürchtungen wahr. Kinesis ist – man kann es aus der Weichei-Perspektive nicht anders sagen – brutal anstrengend. An der zweiten Maschine beginnt mir der Schweiss aus den Poren zu spritzen. An der dritten bleibt mir die Luft weg. An der vierten wird mir schwarz vor den Augen. Da endlich lässt Lazlo Gnade walten. Ich darf auf einem mit Kroko-Imitat bezogenen Sofa verschnaufen. Danke, Lazlo, danke. Im Liegen wird der Sport gleich viel erträglicher.

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