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Kind eines Samenspenders

Kind eines Samenspenders

  • Aufgezeichnet von Kathrin Zehnder; Foto: Freeimages.com, Aleksandra P.

Simone Egger (28), Oberstufenlehrerin aus Zürich, erzählt, wie es ist, das Kind eines Samenspenders zu sein.

Eigentlich hätte ich es schon viel früher ahnen können. Ich habe braune Augen, mein Vater blaue, meine Mutter grüne. Und auch charakterlich bin ich ziemlich anders als meine Eltern. Ich bin ein Weltverbesserertyp, und ich mache mir viele Gedanken. Mich interessiert die Hirnforschung und ob unsere Persönlichkeit vorbestimmt ist. Solche Überlegungen sind meinen Eltern völlig fremd. Schon oft habe ich mich darüber gewundert, dass man so verschieden sein kann.

Kurz nachdem ich das Biologiestudium begonnen hatte, kam es ans Licht, dass meine Schwester und ich von einem Samenspender abstammen. Ich wusste, dass gewisse Blutgruppen nur übertragen werden, wenn beide Elternteile dieselbe haben. Das erzählte ich meiner Familie bei einem Abendessen. Als ich nachfragte, wer welche Blutgruppe hat, merkte ich, dass die meiner Schwester und die meines Vaters nicht kompatibel sind. Ich sagte einfach: «Aber das geht gar nicht.» Dann sagte kurz niemand mehr etwas. Meine Mutter suchte noch nach Erklärungen, dass man vielleicht die Blutgruppe falsch bestimmt hätte, dann wechselte sie das Thema. Als wir nachbohrten, fand sie immer neue Ausflüchte. Bis sie uns schliesslich die Wahrheit sagte.

Wir sassen zu viert am Stubentisch. Mein Vater hockte nur still da, er kam sich wohl vor wie auf der Anklagebank. Meine Mutter ergriff das Wort. Sie erklärte, mein Vater hätte zu wenig Spermien gehabt. Man habe Sperma eines anderen Mannes mit seinem vermischt, und man wisse ja nun nicht, von wem wir Kinder tatsächlich abstammten.

Ein Schock war das nicht unbedingt. Ich verstehe auch nicht, warum ich das hätte schlimm finden sollen. Das habe ich auch meinem Vater gesagt. Mir war sofort klar, dass es für mich keinen Unterschied macht, ob wir genetisch miteinander verwandt sind; mein Vater ist und bleibt mein Vater. Was ich schlimmer fand, war die Tatsache, dass unsere Eltern uns so lange Zeit nichts davon erzählt hatten.

Meine Schwester hat das Thema noch länger beschäftigt. Wir haben uns überlegt, den Spender zu suchen. Aber wir merkten bald, dass dieses Unterfangen chancenlos wäre. Die Daten von damals sind gelöscht worden. Wenn man ihn finden könnte, dann würde ich es tun. Es nimmt mich einfach wunder, wie dieser Mann aussieht, wie er so ist, was er beruflich macht und ob er Familie hat. Ich glaube nämlich, dass ich ihm ähnlich bin. Ich stelle mir vor, dass er ebenfalls jemand ist, der Antworten sucht, der hinterfragt, vielleicht ein Melancholikertyp.

Ich mag diese Gedanken, die Bilder, die ich mir von ihm mache. Solange ich ihn nicht kenne, kann ich mir ja denken, was ich möchte. Ich kann ihn mir als Wissenschafter vorstellen, als Schauspieler oder Künstler. Vielleicht habe ich ja sogar irgendein Talent von ihm. Es kann aber natürlich auch sein, dass ich enttäuscht wäre, wenn ich ihn tatsächlich kennen lernen würde. Vielleicht ist er ein Idiot oder hat einen Knacks, oder er ist Rassist oder Tierquäler – so was fände ich moralisch nicht vertretbar.

Grundsätzlich finde ich es aber falsch, wenn jemand Samen spendet. Nicht zu wissen, bei wem das eigene Kind aufwächst – das würde ich nie wollen. Ich frage mich, ob mein genetischer Vater manchmal daran denkt, dass er irgendwo Kinder hat.

Die Beziehung zu meinem Vater und auch zu meiner Mutter hat sich nach der grossen Offenbarung nicht verändert. Wir sehen uns regelmässig, verstehen uns gut. Verändert hat sich nur meine Einstellung gegenüber meinen Verwandten väterlicherseits. Zu denen hatte ich vorher nur einen Bezug, nämlich dass sie mit mir verwandt sind. Als mir klar wurde, dass sie nicht einmal das sind, waren sie mir plötzlich komplett egal.