Carolina Müller-Möhl fragt sich: Was ist uns die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wert?
Wir befinden uns im Jahre 2017 nach Christus. Ganz Europa hat auf den Vaterschaftsurlaub gesetzt … Ganz Europa? Nein! Ein von unbeugsamen Traditionalisten dominiertes Land hört nicht auf, sich gegen den Vaterschaftsurlaub zu behaupten … so oder ähnlich – frei nach Asterix.
Der Bundesrat hat Mitte Oktober aus – wie mitgeteilt – finanzpolitischen Gründen die Initiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub» abgelehnt. Die Kosten von jährlich 420 Millionen Franken für vier Wochen Vaterschaftsurlaub sind ihm zu hoch. Gegenvorschläge? Auch abgelehnt. Ginge es allein nach dem Willen der Landesregierung, so bliebe die Schweiz also auch künftig das einzige europäische Land, das dem Vater nach der Geburt seiner Kinder nur einen Kind-Tag zugesteht. Ja, da gibt es nichts zu feiern.
Ein Monat Zeit mit dem Kind macht aus frischgebackenen Vätern nicht automatisch bessere Väter, die Babies werden nicht zwangsläufig zufriedener sein, und für Mütter muss es nicht notwendigerweise Entlastung bedeuten. Aber die Ablehnung einer Kind-Zeit für Väter durch den Bundesrat bedeutet verordneten Stillstand und eine Konservierung des dominierenden altbackenen Familien- und Geschlechtermodells in der Schweiz.
Wäre ich Bundesrätin, würde ich zu den bekannten Mitteln greifen, um den Familien entgegenzukommen: Die Individualbesteuerung für verheiratete, berufstätige Paare muss durchgesetzt werden. Sie würde den Anreiz einer beruflichen Tätigkeit für Mütter, die überhaupt oder gerne mehr arbeiten möchten, erheblich erhöhen. Auch die bedarfsgerechte und bezahlbare Kinderbetreuung lässt auf sich warten. Leider sind auch flexible Arbeitszeiten in Unternehmen für Väter und Mütter nicht gang und gäbe. Und der Vaterschaftsurlaub? Mehr Sinn macht eine Elternzeit, die flexibel den Bedürfnissen und den individuellen Lösungen beider Elternteile entspricht. Damit lässt sich das Ausfallrisiko auf dem Arbeitsmarkt besser auf beide Geschlechter verteilen, und so hätten beide Partner bessere Chancen, im Berufsleben voranzukommen.
Die Erwerbstätigkeit beider Eltern hat für die Volkswirtschaft grossen Nutzen. Dabei ist der gesellschaftliche Konsens unverzichtbar, nämlich dass Mütter und Väter das Recht, aber auch die Pflicht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben. Und ja, dieser Konsens bringt auch Kosten mit sich, vor allem wenn man an die bedarfsgerechte und bezahlbare Kinderbetreuung und die Elternzeit denkt. Zwar sind die mit einer Milliarde Franken vom Bundesrat bedachten Olympischen Spiele nicht gegen den jährlich 420 Millionen Franken teuren Vaterschaftsurlaub auszuspielen. Aber es lässt sich schon fragen: Was ist uns die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wert oder eben nicht? Wo setzen wir Prioritäten? Was darf uns eine faire, prosperierende und moderne Gesellschaftsform kosten und was zwei Wochen olympisches Fieber? Rein hypothetisch ergeben zwei Wochen Olympische Spiele zwei satte Jahre Vaterschaftsurlaub.
Allein durch Verordnungen und Gesetze die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durchzusetzen und damit den Widerstand von unbelehrbaren Traditionalisten zu brechen, kann nur die zweite und damit schlechte Wahl sein. In unseren liberalen Köpfen müssen wir mit Vorurteilen und alten Rollenmustern aufräumen, auch wenn wir manche damit (noch immer) vor den Kopf stossen mögen. Vielleicht sogar uns selber. Diese hoheitliche Aufgabe erledigt der Staat nicht für uns. Das ist gut so! Und keine Angst: Der Himmel ist uns auch früher dabei nicht auf den Kopf gefallen!
Carolina Müller-Möhl (49) ist Unternehmerin, Investorin und Verwaltungsrätin in mehreren Unternehmen.