«Kaum freie Zeit: So mag ich es»
- Redaktion: Stephanie Hess; Foto: Vera Hartmann; Video: Stephanie Hess & Kerstin Hasse
Sie wollte nicht viel Freizeit haben, sondern auf der Bühne stehen. Deshalb ist die 20-jährige Zürcher Tänzerin nach Brisbane gezogen, um im australischen Queensland Ballet das zu tun, was sie am meisten liebt.
annabelle: Lou Spichtig, was wollten Sie als Kind werden?
Lou Spichtig: Tänzerin. Mir ist nie etwas anderes in den Sinn gekommen.
Wie haben Sie Ihr Talent entdeckt?
Ich habe mit vier Jahren zu tanzen angefangen. Erst als ich öfter und länger trainierte, während sich meine Freundinnen von diesem Hobby verabschiedeten, realisierte ich, dass bei mir etwas anders war.
Was war es?
Ich merkte, dass ich mein Leben dem Ballett widmen möchte. Aber ich bin ein Mensch, der Beweise mag. Als ich mit 14 Jahren vom ersten Wettbewerb mit einer Goldmedaille nach Hause kehrte, dachte ich: Irgendetwas muss der Jury gefallen haben.
Welchen Rat haben Sie nicht befolgt?
Als ich unglücklich und unterfordert war, weil ich häufiger auf der Bühne stehen wollte, sagte man mir: «Geniess doch deine freien Nachmittage.» Das war für mich keine Option. Ich wusste, dass ich einen grossen Schritt in meiner Karriere wagen musste. Darum bin ich ans andere Ende der Welt gezogen, um jeden Tag von morgens bis abends zu arbeiten – freie Nachmittage gibt es kaum, genau wie ich es mag.
Warum haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?
Die Krönung unserer Arbeit ist die Zeit auf der Bühne. Ich wollte nicht mehr warten, bis sich jemand verletzt, um an die Reihe zu kommen.
Was lieben Sie an Ihrer Arbeit?
Ich muss nicht auf das Ende meines Arbeitstages warten, um meiner Leidenschaft nachzugehen.
Was bedeutet für Sie Erfolg?
Wenn man niemals aufgibt. Die leisen, gar nicht so grossen Erfolge, die nach einer Durststrecke folgen, sind oft die wichtigsten.
Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Tag?
Ich trainiere täglich acht Stunden.
Wie viel verdienen Sie?
3500 australische Dollar, also 2700 Franken. Der Lohn als Bühnentänzerin ist nie hoch, und – ehrlich gesagt – auch nicht fair. Dieser Beruf verlangt hundertprozentige Hingabe. Die Arbeit hört nicht um 18 Uhr auf, oder sobald der Vorhang fällt.
Verdienen die Männer gleich viel?
Ja. In meiner Kompanie legt ein Gesamtarbeitsvertrag die Löhne fest.
Lou Spichtig (20) holte als Teenager an zahlreichen Ballettwettbewerben Medaillen: in der Schweiz, in New York, Berlin oder Südafrika. Nach der professionellen Ausbildung zur Bühnentänzerin an der Tanzakademie Zürich war sie Teil des Junior-Balletts des Opernhauses Zürich. Seit Oktober 2016 ist sie Gruppentänzerin im Queensland Ballet in Brisbane, Australien.
Schweizer Macherinnen
Frauen, die inspirieren: Empfehlen Sie uns eine Frau, die auf ihrem Gebiet Herausragendes leistet, oder schicken Sie sich hier gleich selbst ins Rennen um das Prädikat «Schweizer Macherin».