Leben
Simona Scarpaleggia: Interview mit der CEO von Ikea Schweiz
- Text: Stefanie Rigutto, Fotos: Fabian Unternährer
Sie ist die vielleicht entspannteste CEO der Welt – und kämpft doch wie eine Löwin für die Anliegen der Frauen: Die Italienerin Simona Scarpaleggia, oberste Chefin von Ikea Schweiz, über romantische Betten, Manager-Mythen und Quoten.
Wäre es nicht ein so schöner Sommermorgen, der Anblick könnte einem gleich den Tag verderben: Simona Scarpaleggia ist die einzige Frau, die auf der Terrasse der Bar La Stanza in Zürich sitzt, ansonsten sind da nur Geschäftsmänner in Anzug und Krawatte. Sie sagt: «Genauso sieht es in den Teppichetagen aus, dabei ist an der Uni das Geschlechterverhältnis noch ausgeglichen.» Sie sagt es ohne frustrierten Unterton. Aber es ist eine Kampfansage: Die Italienerin Simona Scarpaleggia – 54 Jahre alt und Chefin von Ikea Schweiz – ist eine Woman on a Mission. Sie will mehr Frauen in Führungspositionen bringen und hat nach gerade mal vier Jahren in der Schweiz bereits ein renommiertes Frauenförderungsprogramm gegründet. Aber mehr zu den ernsten Themen später. Zuerst wollen wir ein bisschen über ihre Heimat Italien plaudern. Und über Kaffee. Die Römerin nimmt einen Schluck ihres Espresso.
ANNABELLE: Kommt er an den Caffè in Italien heran?
SIMONA SCARPALEGGIA: Oh ja! Er ist richtig gut. Sie leben seit vier Jahren in der Schweiz.
Was mögen Sie hier?
Hier tragen die Leute Sorge zur Gemeinschaft. In Italien hingegen denkt jeder nur an sich. Die Schweiz und Italien, sie sind so nah und trotzdem Welten auseinander.
Hatten Sie Mühe, sich anzupassen?
Im Büro sagen sie mir, ich sei bereits swissified. Ich bin wahnsinnig pünktlich. Auch all die Regeln waren für mich kein Problem: Ich liebe Regeln, sie geben mir Sicherheit.
Der grösste Unterschied am Arbeitsplatz?
In Italien sind die Leute viel länger im Büro. Das heisst nicht, dass sie mehr arbeiten – sie machen einfach mehr Pausen (lacht). In Italien ist es wichtig, dass man zusammen einen Kaffee trinkt, plaudert, gemeinsam Mittag essen geht. Die Schweizer sehe ich auch mal vor dem Computer ein Sandwich essen.Was ist besser? Ich weiss es nicht.
Simona Scarpaleggia trägt Ton in Ton, in Sachen Stil ist sie hundert Prozent Italienerin. Dunkelblaues Kleid, dunkelblaue Schuhe mit kleinem Absatz. Eine dunkelblaue Jacke hängt über der Lehne des Stuhls, auf dem Fenstersims steht eine dunkelblaue Handtasche. In den – genau – dunkelblauen Strumpf hat sich eine kleine Laufmasche geschlichen. Sie ist sorgfältig geschminkt, die Augen sind eingerahmt von Lachfalten. Simona Scarpaleggia sieht zufrieden aus. Sie hat nichts von einer gehetzten Managerin. Für eine Italienerin redet sie eher leise. Ihre Worte wägt sie selten ab, sie weiss, was sie sagen will, redet druckreif, wirkt aber immer authentisch. Fast hat man das Gefühl, mit einer Freundin zu schwatzen – und nicht mit der obersten Chefin von Ikea Schweiz. Simona Scarpaleggia gelangte auf eher unkonventionellem Weg an die Spitze: über das Personalwesen. Sie studierte in Rom Politik- und Wirtschaftswissenschaften, machte einen MBA und arbeitete als Personalfachfrau in diversen Firmen, bis sie im Jahr 2000 – damals war sie vierzig Jahre alt – als Personalchefin beim schwedischen Möbelhaus einstieg. Bis 2007 hatte sie sich zur Vizechefin von Ikea Italia hinaufgearbeitet. Dann, 2010, folgte das Angebot aus dem Ausland: Sie wurde zur Landeschefin von Ikea Schweiz befördert, worauf sie mit ihrem Mann und den drei Kindern, die heute zwischen 16 und 22 Jahre alt sind, an den Zürichsee zog.
Simona Scarpaleggia, ist der Ikea-Kunde in Italien ein anderer als der in der Schweiz?
Ja. Der Schweizer ist viel anspruchsvoller, viel besser informiert und auch interessierter an der Machart der Möbel. Dem Italiener dagegen ist die Ästhetik sehr wichtig: Er mag Trends und passt sich gern der Mode an.
Ikea besucht seit kurzem Schweizer Haushalte und schaut, wie die Schweizer wohnen. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Viel Spannendes. Zum Beispiel, dass die Wohnung des Schweizers immer in zwei Bereiche geteilt ist: den öffentlichen und den privaten. Den privaten Bereich, also das Schlafzimmer, sieht keiner – und dementsprechend karg, ja fast lieblos ist es teilweise eingerichtet. Bei Ikea dachten wir immer, man müsse es hübsch ausstaffieren, eine Oase für schöne Momente kreieren, doch vielen Schweizern dient das Schlafzimmer eben wirklich nur zum Schlafen.
Welches Möbel ist in Italien beliebt, in der Schweiz dagegen überhaupt nicht?
Den grössten Unterschied haben wir bei den Betten festgestellt: In Italien hatten wir einen Topseller – ein mit Stoff überzogenes, wunderbar romantisches Bett. Als ich in die Schweiz kam, bemerkte ich mit Erstaunen: Hier war es noch nicht einmal im Sortiment. Der Schweizer mag viel lieber Betten aus massivem Holz.
Genug der Plaudereien – kommen wir ans Eingemachte. 2009, kurz vor ihrem Wegzug aus Italien, baute Simona Scarpaleggia das landesweite Frauenförderungsprogramm Valore D auf. Über hundert Firmen sind heute Mitglied. Nach vier Jahren in der Schweiz gründete sie 2013 die Vereinigung Advance – Women in Swiss Business. Scarpaleggia, damals ein völlig unbeschriebenes Blatt in der Schweizer Wirtschaft, holte renommierte Konzerne wie ABB, Swiss Re und Credit Suisse an Bord. Das Ziel: den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, und zwar auf mindestens zwanzig Prozent bis 2020. Heute sind 24 Firmen Mitglied von Advance, die Events und Workshops ziehen jeweils Hunderte von Kaderfrauen an.
Simona Scarpaleggia, die Unternehmen haben immer gegen eine Frauenquote lobbyiert. Schwer zu glauben, dass die Ihrer Vereinigung beigetretenen Firmen sich nun freiwillig eine solche auferlegen.
Ich sehe es als ein Bekenntnis dafür, den Frauenanteil im Management erhöhen zu wollen. Eben, mit einer Quote. Plötzlich gehts ja doch! Wir dürfen das Thema nicht mehr so emotional diskutieren. Man sollte es auch nicht zu einem Kampf der Geschlechter hinaufstilisieren. Für mich ist die Quote nicht das eigentliche Thema.
Sondern?
Die weiblichen Talente gehen irgendwo auf der Stufe des mittleren Managements verloren – das ist dann meistens die Zeit, in der die Frauen eine Familie gründen. Statt sich nur über eine Quote Gedanken zu machen, sollten die Firmen besser Lösungen bieten, wie man junge Mütter im Berufsleben hält. Die Rezepte sind seit Jahrzehnten bekannt: flexible Arbeitszeiten, Homeoffice, hauseigene Krippen und so weiter.
Ich habe geschaut, wie viele Frauen in der Geschäftsleitung der Firmen sitzen, die Ihre Vereinigung mitgegründet haben: ABB Schweiz: 0, Credit Suisse: 1, Cembra: 2, McKinsey Schweiz: 2, PwC Schweiz: 1, Siemens Schweiz: 0, Swiss Re: 2 (von 26), Ikea global: 2. Ein Frauenförderungsprogramm mitzutragen, ist ja löblich, aber wenn es weder mit einer Verpflichtung noch mit Konsequenzen einhergeht, falls die Ziele nicht erreicht werden, kann mans gleich lassen.
Natürlich sind wir noch nicht dort, wo wir sein wollen, sonst bräuchte es diese Vereinigung nicht. Unsere Firmen wollen einen höheren Frauenanteil – daran glaube ich. Aber das ist nichts, was sich von heute auf morgen ändern lässt, und da setzt Advance an: Wir wollen einen Pool von weiblichen Führungskräften aufbauen, die dereinst in den Geschäftsleitungen sitzen können.
Sogar Ikea global hat nur zwei Frauen in der achtköpfigen Unternehmensleitung.
Ja, das sind zu wenig. Aber dafür sind von den 200 obersten Ikea-Chefs weltweit ganze 47 Prozent Frauen. Und das ist ja nun wirklich vorbildlich.
Sind Sie gut im Netzwerken?
Nicht sonderlich. Trotzdem finde ich es wichtig. Die Geschäftswelt verändert sich so schnell, da kann man nur mithalten, wenn man sich mit anderen austauscht.
Für mich haben Netzwerke einen faden Nebengeschmack: Viele versuchen, mit den richtigen Kontakten ihre mangelnde Leistung zu kompensieren.
Ich sehe das anders. Wenn du kein Netzwerk hast, nützt dir der beste Leistungsausweis nichts. Denn du wirst schlicht nicht gesehen, niemand nimmt dich wahr.
Es gibt das Sprichwort «It takes two to tango». Nicht nur die Unternehmen müssen sich ändern, sondern auch die Frauen. An der Solidarität müssen wir dringend arbeiten.
Uh, ein kniffliges Thema! Die Geschichten mangelnder Frauensolidarität, ja fast schon Feindseligkeit, höre ich immer wieder. Ich glaube, es hat damit zu tun, dass es immer noch sehr wenige Frauen in Führungspositionen gibt und dass jede ihr hart erkämpftes Terrain verteidigt.
Was sollten wir sonst noch ändern?
(überlegt) Ich finde, wir dürfen durchaus etwas aggressiver werden. Aggressivität ist in unser DNA: Früher ging man jagen, da brauchte es eine Menge Aggressivität, um zu überleben. Auch im Büro muss man kämpfen für seine Anliegen.
Anders gesagt: Wir müssen uns den männlichen Spielregeln anpassen. Hätten Sies nicht gemacht, wären Sie heute nicht CEO von Ikea Schweiz.
Das stimmt, aber das heisst ja nicht, dass diese Regeln richtig sind. Regeln kann man ändern. Früher, in Italien, fanden alle wichtigen Sitzungen am späten Nachmittag statt und dauerten bis 21 Uhr – ziemlich mühsam für eine Mutter wie mich. Aber natürlich ging ich trotzdem an diese Sitzungen, ich wollte nach oben kommen. Als ich dann in der Position war, dass ich selber die Sitzungen einberufen konnte, änderte ich die Zeit: 9 Uhr morgens (lacht).
Sind Sitzungen nicht eh überbewertet?
Ich finde, Sitzungen machen durchaus Sinn, aber die Agenda muss klar definiert, und alle Teilnehmer müssen gut vorbereitet sein. In Italien hatten wir manchmal Sitzungen, die dauerten acht Stunden, waren völlig unproduktiv und ermüdend. Alle fühlten sich, als hätten sie Unglaubliches geleistet, aber ich dachte nur: Das war verschwendete Zeit.
Wie nutzen wir unsere Zeit sinnvoll? Welchen Stellenwert soll die Arbeit künftig in unserem Leben haben? Wie wollen wir arbeiten? Darüber zerbrechen sich nicht nur Managerinnen wie Simona Scarpaleggia den Kopf, auch Arianna Huffington, Gründerin der US-Online-Zeitung «The Huffington Post», denkt in ihrem neuen Buch «Thrive» über diese Fragen nach. Ausgangspunkt ist ihre eigene Geschichte: Eines Tages – Huffington hatte es ganz an die Spitze geschafft, ihre Website prosperierte, sie war auf allen Titelblättern – kollabierte sie völlig erschöpft an ihrem Pult. Sie wachte in einer Pfütze Blut auf, mit einem gebrochenen Wangenknochen. Sie fragte sich: Fühlt sich so Erfolg an? Natürlich nicht. Einer ihrer Ratschläge lautet nun: «Women, sleep your way to the top!» Was provozierend klingt, ist furchtbar banal gemeint: Ohne genügend Schlaf kommst du nicht an die Spitze.
Simona Scarpaleggia, schlafen Sie genug?
Wahrscheinlich nicht. Ich gehe meistens zwischen 23.30 Uhr und Mitternacht ins Bett und stehe um 5.30 Uhr wieder auf. Ja, ich sollte wohl etwas mehr schlafen, aber ich schaffe es einfach nicht.
Wie viele Stunden arbeiten Sie?
Ich bin um 8 Uhr im Büro und etwa um 19 Uhr wieder daheim. Über Mittag mache ich eine halbe Stunde Pause. Das sind zehn Stunden.
Karriere machen geht also auch ohne 13-Stunden-Tage!
Das geht auf jeden Fall, aber leider bin ich mit dieser Meinung in der Minderheit. Es ist natürlich Blödsinn, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn man 13 Stunden am Tag arbeitet. Wenn man wie Arianna Huffington am Pult kollabiert, ist man bestimmt nicht erfolgreich.
Definieren Sie Erfolg.
Erfolg ist, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. So, wie Erfolg heute definiert wird, nämlich in Form von Anhäufung von Geld und Macht, schadet er nicht selten unserer Psyche, unserer Gesundheit, unseren Beziehungen, unserer Umwelt und unterm Strich sogar unserer Karriere.
Arianna Huffington zitiert in ihrem Buch eine Studie, wonach immer weniger Frauen in Top- Positionen gelangen wollen, weil sie nicht bereit sind, den Preis dafür zu bezahlen.
Genau deshalb müssen wir die Spielregeln ändern. Wer hat denn gesagt, dass wir so arbeiten müssen? Dass ein Manager völlig ausgelaugt und immer am Rand eines Burnouts sein muss? Das ist doch absurd.
Wie nah waren Sie schon einem Burnout?
(überlegt) Ich glaube, noch nicht sehr nah. Es gab allerdings Phasen, in denen ich sehr, sehr müde war. Aber ich habe gelernt, auf meinen Körper zu hören. Und ich habe gelernt, mich von meinem Anspruch auf Perfektion zu verabschieden. Dieser Druck, den wir Frauen uns auferlegen! Wir haben das Gefühl, wir müssen immer perfekt sein: die Haare, die Kinder, die Wohnung, das Nachtessen. Dabei ist Perfektion doch einfach langweilig.
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«Perfektion ist doch einfach langweilig»