Werbung
«Ich lernte, auf die Zähne zu beissen»

Leben

«Ich lernte, auf die Zähne zu beissen»

  • Text: Stephanie Hess; Video: Olivia Sasse & Stephanie Hess; Foto: Vera Hartmann

Esther Niffenegger setzt sich durch: Im Büro wie in der Kaserne. Sie findet, Frauen sollten sich gegenseitig mehr unterstützen. Und weniger jammern.

annabelle: Eintöniges Essen, eigenartige Abkürzungen und viel Testosteron: Esther Niffenegger, weshalb geht man freiwillig ins Militär?
Esther Niffenegger: Mein Vater war Berufsmilitarist. Er hat mir von klein auf die zentralen Themen der Armee vor Augen geführt: Schützen, Helfen, Kämpfen. Das hat mich fasziniert. Meine Familie besass Jagdhunde, die ich mochte, also liess ich mich mit 19 als Hundeführerin aufstellen. Für mich war klar, dass ich – wenn ich schon gehe – mindestens Offizier werden wollte, um Führungserfahrung zu sammeln. Die Offiziersschule absolvierte ich am Ende mit den Kampftruppen, als erste Frau in der Schweizer Armee.

Wie wurden Sie aufgenommen?
Ich musste mich bis zum Ende beweisen. Ich spürte diesen Druck auf mir lasten: Wenn ich versage, dann fällt das auf alle Frauen zurück, die nachkommen. Ein Glück, dass die Sporttests so wichtig waren. Früher trainierte ich meine Ausdauer auf Leistungssportniveau, also schaffte ich es in den Tests meist unter die ersten dreissig. Die restlichen 120 Männer hinter mir mussten also schön den Mund halten.

Woher nahmen Sie die Energie?
Ich glaube, mir half, dass ich damals gerade die Nase voll hatte von Männern. Mein Freund hatte Schluss gemacht, mein Vater meine Mutter verlassen. Ich wollte es allen zeigen. (lacht)

Wenn Sie heute zurückblicken, was hat Ihnen das Militär gebracht?
Früher hiess es ja, dass eine Militärkarriere Männern in der Arbeitswelt hilft, weil sie so ein Netzwerk aufbauen konnten. Ich denke, heute fördert eine militärische Ausbildung vor allem die Frauen. Weil sie dort üben können, was später in der Geschäftswelt gefragt ist. Ich beispielsweise lernte, vor eine Gruppe hinzustehen, mich durchzusetzen. Ich lernte, Ärger runterzuschlucken, auf die Zähne zu beissen. Und gleichzeitig festigte sich meine Einsicht, dass ich nicht allen gefallen muss.

Eine wichtige Erkenntnis.
Absolut. Mädchen wird auch heute noch nahegelegt, niemanden vor den Kopf zu stossen. Ich selber wollte als Kind ja ebenfalls unbedingt gefallen. Ich schrieb allen Menschen Weihnachtskarten, auch wenn ich sie nur flüchtig kannte. Ich grüsste jeden, der mir begegnete, überaus freundlich. Ich dachte, solche Dinge müsse man tun, um ein gutes Mädchen zu sein.

Und heute?
Im Militär lernte ich, dass es mir besser geht, wenn ich authentisch bin. Inzwischen bin ich nicht mehr bekannt für meine Diplomatie. (lacht) Ich fighte gern in der Sache, ich kann dominant sein und bestimmt. Das hilft, wenn man Karriere machen will.

Dass dies Ihr Ziel ist, haben Sie immer klar artikuliert, unter anderem in Ihrem Blog Karrierefrauschweiz.ch, wo Sie Ihre Erkenntnisse aus der Arbeits- und Familienwelt und Ihr Wissen über die Wirtschaft teilen. Was verstehen Sie darunter – eine Karrierefrau?
Ich verstehe es als klare Ansage: Ich kann und ich will Karriere machen. Man hört ja immer wieder, dass Frauen gar nicht in Verwaltungsräte oder Geschäftsleitungen wollen. Ich aber stehe hin und sage klar: Ich will. Damit möchte ich auch das Vorbild für junge Frauen in der Geschäftswelt sein, das ich selbst nicht hatte.

Ihre Tochter ist etwas mehr als ein halbes Jahr alt. Nach der regulären Babypause haben Sie Ihre Führungsposition bei Energie Wasser Bern zu hundert Prozent wieder aufgenommen. Wie gut das funktioniert, das beschreiben Sie auf Twitter unter dem Hashtag Vereinbarkeit.
Ich möchte damit niemanden belehren, sondern schlicht aufzeigen, dass auch dies ein möglicher Weg sein kann: dass die Frau zu hundert Prozent arbeitet und der Mann die Hauptbetreuung übernimmt. Für meinen Mann war immer klar, dass er einmal das Hausmann-Dasein erleben möchte. Und ich bin ein glückliches Mami, wenn ich arbeiten kann.

Sie wirken absolut zielstrebig, Ihr Weg scheint schnörkellos. Sind Sie auch einmal gescheitert?
Natürlich. Nach dem Abverdienen als Offizier hatte ich eine arrogante Phase. Ich begann, an der Universität Wirtschaft zu studieren, lernte zu wenig und rasselte durch alle Prüfungen. Auch als ich das erste Mal meinen Job wechseln wollte, hatte ich Mühe, etwas zu finden. Ich war schlicht naiv. Ich musste lernen: Wenn du verantwortungsvolle Aufgaben willst, brauchst du ein Netzwerk. Das pflege ich inzwischen intensiv, gerade mit Frauen. Ich finde sowieso, dass wir Frauen uns gegenseitig stärker unterstützen sollten, statt gemeinsam zu jammern.

Wo jammern Frauen zu viel?
Ich habe Mühe mit diesen Diskussionen um Lohngleichheit.

Aber Lohngleichheit ist schlicht noch nicht erreicht. Eine bundesrätliche Statistik weist aus, dass 42 Prozent der Lohnunterschiede nicht objektiv erklärbar – und damit auf Diskriminierung zurückzuführen sind.
Ich spreche nicht ab, dass es diskriminierende Beweggründe geben kann. Das ist natürlich unhaltbar. Aus Erfahrung weiss ich jedoch auch Folgendes: Wenn du als Arbeitgeber einen Job vergibst, hast du oft ein Lohnband, das sich beispielsweise zwischen 8000 und 12 000 Franken aufspannt. Frauen, die sich für den Job bewerben, verlangen da meist eher 9000, die sie dann auch bekommen. Männer verlangen 12 000 und werden runtergehandelt auf 11 000. Da werden Frauen nicht vom Arbeitgeber diskriminiert, sondern setzen sich selber herab, weil sie sich zu wenig Wert beimessen.

Was raten Sie also für eine Lohnverhandlung?
Die Hausaufgaben zu machen! Man konsultiert den Lohnrechner, schaut sich die Durchschnittslöhne an, ruft befreundete Personen aus der Branche an. Und dann positioniert man sich einfach eiskalt am obersten Rand des Lohnbands – ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob das dem Chef nun gefällt oder nicht.

Esther Niffenegger (37) wuchs in Überstorf FR auf. Nach dem Gymnasium trat sie als Hundeführerin in die Schweizer Armee ein und absolvierte die Offiziersschule der Kampftruppen. Sie studierte Wirtschaft an der Universtiät Freiburg und schloss mit dem Master in Management ab. Heute ist sie Leiterin Supply Chain Management und Immobilien bei Energie Wasser Bern, und sie ist Hauptmann und Kanzleichefin der Panzerbrigade 11. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Burgdorf BE.

 

 

Schweizer Macherinnen

Frauen, die inspirieren: Empfehlen Sie uns eine Frau, die auf ihrem Gebiet Herausragendes leistet, oder schicken Sie sich hier gleich selbst ins Rennen um das Prädikat «Schweizer Macherin».