Politik
Kamala Harris: Was hinter ihrem hippen «Brat»-Rebrand steckt
- Text: Vanja Kadic
- Bild: x.com / guiltyasinights
Kamala Harris als «Brat»-Girl? Was es mit dem Social-Media-Trend auf sich hat – und warum er Kamala Harris bei ihrer möglichen Kandidatur als US-Präsidentin helfen könnte.
Pixelige Schrift, schleimgrüner Hintergrund: Kamala Harris könnte die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden – und setzt dafür auf den «Brat»-Hype im Netz. Die US-Vizepräsidentin ist zwar noch nicht offiziell nominiert, der amtierende Präsident Joe Biden forderte seine Delegierten allerdings nach dem Rücktritt seiner Kandidatur am Sonntag auf, Harris als Präsidentschaftskandidatin der demokratischen Partei zu unterstützen.
Ihr Team rührt nun die Werbetrommel mit der Ästhetik von Charli XCXs neuem Album «Brat» (deutsch: Göre oder Blag) und nutzt das Design für Harris’ Social-Media-Auftritt. Das limettengrüne Cover der Platte wurde im Netz schnell als Meme verwendet – und die Gen Z erklärte den Sommer 2024 zum «Brat Summer». Doch was bedeutet «Brat» überhaupt?
Die britische Sängerin erklärte gegenüber «BBC», dass «Brat» eine Person repräsentiere, die «eine Packung Kippen, ein Bic-Feuerzeug und ein Spaghettiträger-Top ohne BH darunter» trage. Ihre Definition von «Brat» sei «das Mädchen, das ein bisschen chaotisch ist und gerne Party macht und manchmal dumme Sachen sagt», eine, die «direkt, ehrlich und ein bisschen flatterhaft» sei.
Der rotzige, rebellische «Brat»-Trend gilt als Gegenbewegung zur minimalistischen und aufgeräumten «Clean Girl»-Ästhetik. Doch ausgerechnet die adrette Politikerin Kamal Harris (59) soll eine «Brat», also eine Göre, sein? Das Internet findet: Ja. «Sie hat meine Stimme», heisst es etwa in TikTok-Kommentaren, oder «Ich halte an der Hoffnung fest, dass wir sie mit Memes zur Kandidatur bringen können». Und auch Charli XCX pflichtet auf der Plattform «X» bei: «Kamala ist Brat.»
Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich in den vergangenen Tagen Memes, Videomontagen und TikToks, die Harris beim Tanzen zeigen, hinterlegt ist natürlich jeweils ein Song aus «Brat». Zur giftgrünen Optik des Albumcovers gesellt sich dazu aktuell ausserdem ein Kokosnuss-Emoji und die Tonspur eines Auftritts der Politikerin im Weissen Haus: Am 10. Mai 2023 hielt sie eine Rede, in der sie über die Bedeutung von Chancengleichheit sprach.
Harris thematisierte darin, welche Rolle das Umfeld von Schüler:innen spielt und erzählte lachend eine Anekdote über ihre eigene Mutter, die ihr immer Folgendes gesagt habe: «You think you fell out of a coconut tree? You exist in the context of all in which you live and what came before you.» Einige User haben die Aussage inzwischen scherzhaft zur philosophischen Lebensweisheit erklärt.
Am Montag verkündete ihr Kampagnenteam, dass Harris in 24 Stunden 81 Millionen Dollar an Spendengeldern eingenommen hat – mehr als jede:r andere Präsidentschaftskandidat:in in der Geschichte es in 24 Stunden geschafft hat.
Nach 36 Stunden waren es 100 Millionen US-Dollar – 62% hätten zum ersten Mal für die Kampagne von Harris gespendet. «Die historische Welle der Unterstützung für Vizepräsidentin Harris repräsentiert genau die Art von Energie und Enthusiasmus, die Wahlen gewinnt», sagte Harris’ Wahlkampfsprecher Kevin Munoz in einem Statement.
Harris begreift den kulturellen Zeitgeist
Von dieser Art Energie und von diesem Engagement hätte Joe Biden tatsächlich nur träumen können. Denn ja, die edgy und von der Rave-Kultur geprägte Party-Girl-Ästhetik eines «Brat Summers» passt objektiv überhaupt nicht zu Kamala Harris. Und doch funktioniert diese Kombination offenbar: Harris gelingt es, den Hype um die Social-Media-Bewegung für sich zu nutzen – ohne verkrampft zu wirken.
Gevin Reynolds, ein ehemaliger Redenschreiber von Harris, sagt laut «The Guardian», er halte es für «extrem klug von ihr, sich auf das Meme einzulassen». Denn: «Es zeigt, dass sie erkannt hat, wie wichtig junge Wähler:innen für einen Sieg im November sind, und dass sie sich verpflichtet, sie dort abzuholen, wo sie sind.»
Für ihren Sprung auf den «Brat»-Zug erhält sie im Netz vor allem von Millennials und Anhänger:innen der Gen Z Zuspruch. «Diese Audiospur allein wird uns in den US-Wahlen retten lol», heisst es etwa bei TikTok zu einem Video, in dem Harris’ Kokosnuss-Rede zu hören ist. Oder: «Kamala braucht kein Kampagnenteam, sie hat die Gen Z, die für sie Kokosnuss-Remixes macht.»
Interessanter für eine jüngere Zielgruppe
Indem sie Teil der Meme-Kultur wird, treffen sie und ihr Kampagnenteam bei einem jüngeren Publikum – und damit bei potenziellen Wähler:innen – einen Nerv. Vielleicht, weil sich Harris damit als nahbar inszeniert, als humorvoll, als unkompliziert. Und vor allem als potenzielle künftige Präsidentin, die den kulturellen Zeitgeist begreift und mitprägt.
Jedes Meme kann Wähler:innen überzeugen
Memes sind schliesslich längst mehr als nur lustige Bilder, sie prägen und beeinflussen den politischen Diskurs. Dan Pfeiffer, ehemaliger Kommunikationsdirektor von Barack Obama, schrieb dazu 2020 in einem Text für «Wired»: «Jede politische Entscheidung, jedes Interview, jeder Tweet, jedes Meme, Video oder Foto muss als Content betrachtet werden, der dafür genutzt werden kann, Wähler:innen zu überzeugen. Ein positiver Artikel in der ‹Washington Post› zum Gesundheitsplan des Kandidaten ist genauso ein Inhalt wie ein Instagram-Post zum Hund des Kandidaten oder Werbung für seinen Klimaplan.»
Ob der Social-Media-Hype um «Brat»-Kamala der Vizepräsidentin zu einem Wahlsieg am 5. November verhilft? Er dürfte zumindest ihre Popularität steigern und sie für eine jüngere Zielgruppe interessanter und zugänglicher machen. Die Möglichkeit, dass eine vergleichsweise jüngere Schwarze Frau zur Wahl antritt, könnte Einfluss auf junge Menschen an der Urne haben.
Harris liegt vor Trump
Dass Harris als Kandidatin für die Demokraten antreten könnte, habe das Potenzial, die Wahlbeteiligung der Jugendlichen im November zu verändern, sagte Stevie O’Hanlon, Kommunikationsdirektorin bei der jugendlichen Klimaaktivistengruppe «Sunrise» zu «The Hill». «Das Fehlen von Memes und die Aufregung im Internet über Joe Biden war ohrenbetäubend.»
Harris liegt laut einer aktuellen landesweiten Umfrage von Reuters/Ipsos im Moment knapp vor dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump: Harris kommt auf 44 Prozent, Trump liegt bei 42 Prozent. Die Umfrage ist eine der ersten seit dem Rückzug Bidens.