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Kamala Harris: Warum sie besser ist als ihr Ruf

Politik

Kamala Harris: Warum sie besser ist als ihr Ruf

Kamala Harris könnte als erste Präsidentin in die Geschichte der Vereinigten Staaten eingehen. Wieso hat ihr Ruf in den Jahren als Vize-Präsidentin gelitten? Und wie gross sind ihre Chancen? US-Expertin Annika Brockschmidt ordnet ein.

Es ist ein einzigartiger Moment in der US-amerikanischen Geschichte: Genau einen Monat vor dem Parteitag der Demokraten in Chicago zieht der amtierende Präsident Joe Biden seine Kandidatur zurück und fordert seine Delegierten auf, seine Vizepräsidentin Kamala Harris zu unterstützen.

Zwei Tage später meldete «CNN», dass Harris genug Delegierte hinter sich versammelt hat, um sich die Nominierung zu sichern. In den neusten Umfragen liegt Harris nur drei Prozentpunkte hinter Trump – und schneidet damit besser ab als Biden.

Harris ist die erste weibliche Vizepräsidentin – und die erste Schwarze Frau in diesem Amt. Die Tochter eines Einwanderer-Paars – sie aus Indien, er aus Jamaika – machte sich als Demokratische Attorney General und dann als Senatorin in Kalifornien einen Namen und trat bei den Demokratischen Vorwahlen 2020 gegen Joe Biden an.

Sie musste noch vor den Wahlen in Iowa aufgeben – aber Biden, der von ihrer Performance in der Fernsehdebatte beeindruckt war, in der sie auch ihn scharf kritisiert hatte, machte sie zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin. Die Botschaft war klar: Harris als Politikerin, die er wegen ihrer Fähigkeit ausgewählt hatte, ihm die Stirn zu bieten.

Biden hatte sich selbst 2020 noch als «Übergangskandidaten» für das Amt des Präsidenten dargestellt, weshalb seine Wahl von Harris für den VP-Posten als Aufbau einer zukünftigen Präsidentin interpretiert wurde. Als jüngere Schwarze Frau mit südasiatischem Background war sie das Versprechen einer dynamischen Partei über Bidens Amtszeit hinaus; das Versprechen an die Wähler:innen, dass man bereits weiter in die Zukunft denke.

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«Vizepräsident:innen bekommen traditionell Themen zugeteilt, die als schwierig gelten»

Doch im Laufe der Zeit schien die Euphorie rund um Harris zu verblassen. Dieser Eindruck entstand vor allem während ihres ersten, schwierigen Jahres im Amt der Vizepräsidentin, und lag einerseits an ihrer eigenen Performance, aber vor allem auch an Umständen ausserhalb ihrer Kontrolle.

Vizepräsident:innen bekommen traditionell Themen zugeteilt, die als schwierig gelten – so wird sichergestellt, dass sie dem Präsidenten nicht das Rampenlicht streitig machen, und seine Arbeit erleichtern, indem man sie eher mit als unbeliebt geltenden Themen in Verbindung bringt.

So auch bei Harris: Man trug ihr die Pflege diplomatischer Beziehungen zu den Ländern des Nördlichen Dreiecks Zentralamerikas auf, aus denen die meisten Einwanderer über die Südgrenze der USA kommen. Ziel sollte es sein, langfristig an den Grundursachen für die Fluchtbewegungen zu arbeiten.

Ein undankbarer Job, auch weil das Weisse Haus Harris’ Rolle missverständlich kommunizierte – von da an berichteten Medien immer wieder inkorrekt, dass Harris für die «Südgrenze» verantwortlich sei. Angesichts steigender Grenzübertritte machten vor allem rechte Medien Harris zum Sündenbock, tauften sie «Bidens Grenz-Zar» und machten sie zur Personifizierung von Bidens Migrationspolitik.

Eigene Patzer von Harris im Umgang mit dem Thema – sie hatte sich nach Medienberichten unwillig gezeigt, diese Rolle zu übernehmen, wohl wissend, wie politisch gefährlich das für sie sein könnte – verschlimmerten den öffentlichen Eindruck.

Als sie ihre erste Auslandsreise mit Ziel Guatemala antrat, sorgte ihre Rede, in der sie Bidens harsche Botschaft an mögliche Flüchtende, «Kommt nicht, kommt nicht», überbrachte, für weitere negative Schlagzeilen. Rhetorische Ungeschicklichkeiten bei öffentlichen Auftritten und Berichte über eine hohe Fluktuation in ihrem Mitarbeiterstab trugen nicht dazu bei, Harris’ öffentliches Profil zu verbessern.

Harris sollte sich auch um die dringend notwendige Wahlrechtsreform kümmern, die das Repräsentantenhaus bereits verabschiedet hatte – die jedoch angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Senat von Beginn an zum Scheitern verurteilt war.

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«Es wurde Kritik am Weissen Haus laut, dass man Harris nicht genug gegen die Angriffe, die von Beginn an von Rassismus und Sexismus geprägt waren, in Schutz nehme»

Gleichzeitig wurde Kritik am Weissen Haus laut, dass man Harris nicht genug gegen die Angriffe, die von Beginn an von Rassismus und Sexismus geprägt waren, in Schutz nehme. Ron Klain, ehemaliger Stabschef Bidens, hat mittlerweile zugegeben, dass man im Weissen Haus mehr hätte tun können, um Harris in positivem Licht darzustellen.

Gleichzeitig gilt Harris als hart arbeitend und bescheiden – und unwillig, ihre private Biografie zu sehr in den Vordergrund zu stellen, was ihre Mitarbeiter:innen teilweise frustrierte. So erfuhren sie erst spät, dass eine Freundin in der Highschool Harris erzählt hatte, dass sie von einem Familienmitglied sexuell belästigt wurde. Harris bestand darauf, dass die Freundin bei ihr zu Hause einzog.

Dieses Erlebnis nennt sie als eine Hauptmotivation, im Büro des Staatsanwalts von Alameda County zu arbeiten, wo sie als seine Vize vor allem Sexualdelikte gegen Kinder strafrechtlich verfolgte.

«Harris’ aussenpolitische Erfolge im Amt blieben weitgehend unbemerkt»

Harris’ aussenpolitische Erfolge im Amt blieben weitgehend unbemerkt: Im November 2021 vertrat sie die USA in Frankreich und half, die zukünftige transatlantische Basis für spätere Militärhilfen für die Ukraine zu festigen – trotz eisiger Atmosphäre, nachdem Frankreichs Präsident Macron aufgrund eines U-Boot-Skandals seinen Botschafter aus Washington abgezogen hatte.

Seit dem verheerenden Urteil im Fall Dobbs im Sommer 2022, das das Grundsatzurteil von 1973 im Fall Roe gegen Wade aufhob, das ein Recht auf Abtreibung garantiert hatte, trat Harris vermehrt als Sprachrohr der Biden-Regierung für die Verteidigung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung auf.

Kamala Harris erste Rede am Montag nach Bidens’ Rückzug zeigte deutlich, wie ihre Wahlkampfstrategie gegen Donald Trump aussehen könnte: Die Staatsanwältin gegen den verurteilten Straftäter. Sie, die Sexualdelikte strafrechtlich verfolgt hat; er, den eine Jury sexueller Übergriffe schuldig gesprochen hat. Ihr Quote «Ich kenne Typen wie Donald Trump» geht gerade um die Welt.

Sie, die jüngere, dynamische Frau, die für das Recht auf Abtreibung kämpft, er, der inkohärente alte Mann, dessen Berater und Vize-Kandidat ein landesweites Abtreibungsverbot durchdrücken wollen. Sie, die für den Schutz der Demokratie eintritt; er, der Möchtegern-Diktator.

Harris ist zudem in einer anderen Position als noch vor drei oder vier Jahren: Sie hat nach ihrem ersten, schwierigen Jahr im Weissen Haus Medientraining erhalten und hat die Zeit genutzt, um ihr Profil zu schärfen. Das zeigen ihre jüngsten Auftritte, in denen sich ihre leidenschaftliche Verteidigung des Rechts auf Abtreibung stark von den in letzter Zeit zaghaften bis inkohärenten Versuchen des Präsidenten absetzte, bei denen er kaum das Wort «Abtreibung» in den Mund nahm.

Ihre Auftritte wirken sicherer und Trump ist geschwächt – von schlechter Presse angesichts seiner zahlreichen Prozesse, seinem Alter, seiner zunehmenden Inkohärenz, der Unbeliebtheit seiner politischen Positionen etwa beim Thema Abtreibung bei einer Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung.

Harris wirkt dagegen mit ihren 59 Jahren geradezu jugendlich. Anders als Joe Biden kann sie die Bedrohung des Rechts auf Abtreibung durch die Republikaner geradeheraus zum Thema machen – als die Gesundheitskrise und der Angriff auf Grundrechte, die es ist.

«Allein in den ersten Stunden nach Bidens Ankündigung sammelten die Demokraten mehr als 46 Millionen Dollar an Spenden»

Die Erleichterung über den Rückzug von Biden und seine Unterstützung seiner Vizepräsidentin, die die erste Schwarze Frau im Weissen Haus werden könnte, wenn sie die Demokratische Nominierung in einem Monat auf dem Parteitag in Chicago gewinnt, macht sich auch in Zahlen bemerkbar: Allein in den ersten Stunden nach Bidens Ankündigung sammelten die Demokraten mehr als 46 Millionen US-Dollar an Spenden – nicht von Grossspendenden, sondern von «Grassroots»-Spender:innen, die kleinere Summen gaben. Nach 24 Stunden waren es 81 Millionen.

In Teilen des polizeikritischen, progressiven Lagers der Partei war Harris 2020 wegen ihrer Vergangenheit als Generalstaatsanwältin noch umstritten gewesen. Doch auch dort scheint es, als würde die Erleichterung über eine Alternative zum amtierenden Präsidenten in der ersehnten Einigkeit münden: Denn auch die progressivsten Abgeordneten der Demokratischen Fraktion des Repräsentantenhauses Alexandria Occasio-Cortez, Ilhan Omar, Ayanna Pressley und Rashida Tlaib verkündeten am Montag ihre Unterstützung für Harris.

Mit ihr als immer sicherer scheinende Option für die Demokratische Präsidentschaftsnominierung ist das Rennen um das Weisse Haus wieder offen.

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