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Kamala Harris’ Wahlniederlage: Verloren, weil sie eine Frau ist?

Politik

Kamala Harris’ Wahlniederlage: Verloren, weil sie eine Frau ist?

Wurde Kamala Harris nicht zur US-Präsidentin gewählt, weil sie eine Frau ist? Oder welche Faktoren führten zu ihrer Wahlniederlage?

«Wir werden den Müll rausbringen, und der Müll heisst Kamala Harris!», rief J. D. Vance unter dem Jubel der Menge, die sich für seine Wahlkampfrede am 4. November in Ohio versammelt hatte.

Donald Trump stand auf der Bühne in Grand Rapids, Michigan, und zog über die frühere Demokratische Speakerin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi her: «Sie ist eine schlechte Person. Böse. Sie ist eine böse, kranke, verrückte …», Trump stockte, als hätte er sich gerade noch zurückhalten können. Die Menge johlte.

Trump zog eine Grimasse und mimte das Wort «Bitch», ohne es laut auszusprechen. «Oh nein! Es beginnt mit einem ‹B›, aber ich werde es nicht sagen.» Gelächter, lauter werdende Rufe aus dem Publikum: «Bitch! Bitch! Bitch!» Trump schob nach: «Ich will es nicht sagen!»

Er hatte es aber so gut wie gesagt – und so seinen Fans die Erlaubnis gegeben, ihren gegenderten Hass auf eine Demokratische Politikerin bei einer offiziellen Wahlkampfveranstaltung lautstark zum Ausdruck zu bringen.

Zutiefst frauenfeindlicher Wahlkampf

Trump und Co führten einen zutiefst frauenfeindlichen Wahlkampf. Er lachte wohlwollend über jemanden, der auf einer seiner Rallys rief, Harris sei vorher eine Prostituierte gewesen («Ihr letzter Job war an der Strassenecke») und erwiderte: «Du hast das gesagt, nicht ich.»

In dieselbe Kerbe schlug ein Redner, der auf Trumps Rally im Madison Square Garden von ihren «Pimp Handlers» sprach. Konservative Influencer behaupteten, Harris habe nie etwas geleistet, sondern sich die Karriereleiter hochgeschlafen.

Prediger bezeichneten sie als vom weiblichen Dämon «Jezebel» besessen, auch das eine gegenderte, rassifizierte Herabwürdigung von Harris – und eine codierte Androhung von tödlicher Gewalt.

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«Kamala Harris nahm das Wort Feminismus nicht in den Mund»

Amerika hat die beiden Male, als hochqualifizierte Frauen für eine der beiden grossen Parteien antraten, um das Weisse Haus zu gewinnen, gegen sie gestimmt, auch wenn Hillary Clinton die Popular Vote für sich entscheiden konnte.

Beide Male traten sie an gegen einen unqualifizierten Mann, dessen Wahlkampf vor allem aus Menschenfeindlichkeit, Frauenhass und Rassismus bestand – nicht nur in seiner Rhetorik, sondern auch inhaltlich. Da drängt sich die Frage auf: Hat Kamala Harris also nur verloren, weil sie eine Frau ist – eine Schwarze Frau noch dazu?

In einem Punkt unterschied sich die Wahlkampfstrategie des Harris-Teams erheblich von der Hillary Clintons 2016: Während Clinton den historischen Status ihres Wahlkampfs – sie wäre die erste Frau gewesen, die ins Weisse Haus einzieht – betonte, ihre Kandidatur als Zeichen für das Durchbrechen patriarchaler Barrieren darstellte, als feministische Errungenschaft, nahm Harris das Wort Feminismus gar nicht in den Mund.

Kamala Harris klammerte Gender und Race aus

Sie klammerte ihre eigenen Identitätsmarker Gender und Race komplett aus ihrem Wahlkampf aus – vielleicht, um nicht von rechts mit dem klassischen Vorwurf von «Identitätspolitik» konfrontiert zu werden, vielleicht, weil ihr Wahlkampf vor allem darauf setzte, auch konservative (weisse) Frauen zu überzeugen, die solche Begrifflichkeiten abschrecken könnten.

Es war auch der Versuch, ihrer Hypersexualisierung, rassifizierten Beleidigungen und Misogynie durch Trumps Lager keine Angriffsfläche zu bieten. Doch Hass braucht keine Angriffsfläche, um zur Hochform aufzulaufen.

Harris verbrachte viel Zeit im Wahlkampf mit Liz Cheney, früher die Nummer drei der Republikaner im Abgeordnetenhaus, die seit dem Sturm auf das Kapitol mit Trump und der Partei gebrochen hat. Cheney, noch bis vor ein paar Jahren Hardlinerin in Sachen Abtreibungsverboten, stellte sich jetzt – gerade auch wegen ihrer Unterstützung des Rechts auf Abtreibung – hinter Harris.

Sie war Harris’ Fürsprecherin bei einer Gruppe, auf die Harris und ihr Team für den Sieg setzten und die einen Teil einer extrem breiten, historischen Anti-Trump-Koalition ausmachen sollte: vor allem weisse, konservative Frauen.

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«Für Frauen ging es in dieser Wahl um alles»

Sie setzten auf Solidarität unter Frauen angesichts der Horror-Stories von Frauen, die auf Parkplätzen von Krankenhäusern zu verbluten drohten, weil ihnen die nötige Abtreibung verwehrt wurde. Bisher vier bestätigte Todesfälle aus Bundesstaaten mit extremen Abtreibungsverboten, so die Kalkulation, würden Frauen an die Wahlurnen treiben.

Für Frauen ging es in dieser Wahl um alles: Die drakonischen Abtreibungsverbote in Republikanischen Staaten haben bereits Leben gekostet und irreparable Gesundheitsschäden verursacht. Allein in Texas ist ein dramatischer Anstieg der Todesfälle von Schwangeren seit Inkrafttreten des bundesstaatlichen Abtreibungsverbots zu verzeichnen: Von 2019 bis 2022 ist die Todesrate um 56 Prozent gestiegen, verglichen mit 11 Prozent landesweit im gleichen Zeitraum.

Und tatsächlich gab es, was die Wählerinnen-Mobilisierung anging, zunächst Grund für Harris & Co, optimistisch zu sein: Erste Briefwahlzahlen und Wählerregistrierungen zeigten Frauen deutlich vor Männern. Frauen gehen ausserdem eher und zuverlässiger zu Wahlen als Männer.

Vor diesem Hintergrund schien Trumps Strategie, die eigene Basis durch rechtsextreme Politik, vulgäre Beschimpfungen seiner Gegnerin und Versprechen von Vergeltung und Gewalt zu mobilisieren, und darüber hinaus auf weitgehend politisch inaktive junge Männer zu setzen, riskant in einer so knappen Wahl. Doch es hat gereicht: In fast allen Bundesstaaten gab es einen deutlichen Rechtsruck.

Wirtschaft gewinnt die Wahl

«It’s the economy, stupid», ist ein klassischer Leitsatz für US-Wahlen. Oder anders gesagt: Wirtschaft gewinnt die Wahl. Das war auch schon die initiale Erklärung für Trumps Wahlsieg 2016. Doch Soziolog:innen zeigten, dass es bereits damals deutlich komplizierter war.

Die aktuelle Wahl fand statt nach Trumps Anklagen, nach zwei Amtsenthebungsverfahren, nach seiner Verurteilung, nachdem er einen Staatsstreich angezettelt hatte, versprochen hat, die Täter zu begnadigen, seine politischen Feinde zu verfolgen und das Militär gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen.

Eine Kombination von Faktoren führte am Ende wohl dazu, dass Harris diese entscheidende Wahl für die Zukunft der USA deutlich verloren hat – Misogynie und Rassismus sind zwei dieser Faktoren.

Erschwerend kam hinzu, dass Amtsinhaber:innen – und dazu gehört Harris als aktuelle Vizepräsidentin – weltweit gerade eine Wahl nach der anderen verlieren, weil Menschen unzufrieden sind. Harris hat sich im Wahlkampf inhaltlich nicht deutlich von Joe Biden – einem sehr unbeliebten Präsidenten – distanziert.

Gleichzeitig ist es zwar richtig, dass sich die Wirtschaft unter der Biden/Harris-Administration stetig erholt hat; die Arbeitslosenquote ist niedrig, die Inflation geht langsam zurück. Doch bei den Menschen, die sehen, dass die Preise im Supermarkt immer noch zu hoch sind, kommt das nicht an – ungeachtet der Tatsache, dass die Inflation nicht nur durch die Politik des Präsidenten beeinflusst wird, sondern auch von globalen Lieferketten abhängt.

Die Wahrnehmung der Demokratischen Partei hat sich geändert

Wichtig scheint jedoch auch, dass sich die Wahrnehmung der Demokratischen Partei in der Bevölkerung geändert hat. Galt sie lange als «Partei der kleinen Leute», während die Republikaner die Partei der Business Community war, scheint sich hier etwas Grundlegendes verschoben zu haben.

«Demokraten gelten jetzt als die Elite», sagte die Demokratische Strategin Claire McCaskill nach der Wahl bei MSNBC. Die starken Verluste der Partei selbst in Demokratischen Hochburgen wie New York und New Jersey sollten aus ihrer Sicht ein Anlass dazu sein, dass die Partei ihr Establishment-Image reflektieren und dringend ändern müsse.

Doch das Thema Gender spielt auch bei Verschiebungen in der Demokratischen Koalition eine Rolle: Latino Männer unterstützten diesmal – anders als 2016 und 2020 – mehrheitlich Donald Trump, bei ihnen konnte er 2024 ganze 55 Prozent gewinnen. Trotz oder gerade wegen seiner rassistischen Migrationspolitik.

Die Journalistin Paula Ramos nennt für einen kleinen Teil dieser Gruppe «Gender-Traditionalismus» und «Male Supremacy» als zwei der Marker, die diese Männer in Donald Trumps Lager gezogen haben, während sie 2016 noch für Clinton gestimmt hatten.

Gleichzeitig unterstützten selbst einige konservative Latinas Harris gerade wegen ihres Eintretens für das Recht auf Abtreibung.

Strukturelle Probleme der Demokratischen Partei

Letztlich führte eine Kombination aus verschiedenen Faktoren am Ende wohl dazu, dass Harris diese so entscheidende Wahl für die Zukunft der USA deutlich verloren hat.

Neben Misogynie und Rassismus verlor sie im Swing State Michigan unter muslimischen und arabisch-stämmigen Amerikaner:innen an Unterstützung wegen ihrer Israel/Gaza-Politik – auf nationaler Ebene gibt es dazu noch keine verlässlichen Zahlen. Kritik an Harris’ Gaza-Politik spiegelt sich auch in Meinungsumfragen zur Einstellung der traditionellen Demokratischen Basis wider.

Ein Teil der Probleme des Harris-Wahlkampfs sind direkt verbunden mit anderen, strukturellen Problemen der Demokratischen Partei: einer zu starken Fokussierung auf neoliberale Politik, einer enormen Priorisierung auf die Mittelschicht statt auf Unterstützung der Arbeiterklasse, die lange einen erheblichen Teil der Anhänger:innen der Demokraten ausmachte. Das hat sich jetzt geändert: Menschen, die einer geringeren Einkommensschicht angehören, haben diesmal mit deutlicher Mehrheit Donald Trump gewählt.

«Weisse Frauen haben amerikanische Frauen insgesamt im Stich gelassen»

Weisse Frauen haben amerikanische Frauen insgesamt im Stich gelassen. Teils mit bemerkenswerter kognitiver Dissonanz: In Missouri stimmte eine Mehrheit von ihnen für ein Referendum, das das Recht auf Abtreibung wiederherstellen wird, während sie auf nationaler Ebene eine Partei wählten, die für ein landesweites Abtreibungsverbot sorgen wird.

Eine Geste der Dominanz gegenüber Frauen und ihren Rechten

Dieses deutliche Wahlergebnis war eine Geste der Dominanz gegenüber Frauen und ihren Rechten – und gegenüber jeder Minderheit im Land. Dass die Mehrheit der Stimmberechtigten einen Mann gewählt hat, der ein verurteilter Sexualstraftäter ist, der Frauen und Migrant:innen nicht als gleichwertige Menschen ansieht, der «Diktator für einen Tag» sein will, der Massendeportationen von ungeheurem Ausmass durchsetzen will und dessen Partei für eine drakonische Anti-Abtreibungspolitik steht, die bereits Frauen ihre Gesundheit oder gar das Leben gekostet hat – das war auch ein Ausdruck  der Verachtung, die Frauenrechten entgegengebracht wird.

Dass weisse Frauen mehrheitlich für Trump gestimmt haben, ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. White Supremacy, also weisse Vorherrschaft, braucht weisse Frauen. «Whiteness» fungiert als Machtversprechen, wie die Religionswissenschaftlerin Anthea Butler es mir gegenüber einmal formuliert hat: Wenn man das repressive System stützt, kann man für sich selbst mehr Macht herausschinden.

Internalisierte Misogynie und internalisierter sowie inter-racial Rassismus spielen hier eine wichtige Rolle – schliesslich hatten auch viele Latinx und People of Colour für Trump gestimmt. «Whiteness» bezieht sich nicht auf die Hautfarbe, sondern ist ein soziales Konstrukt, das das Gerüst von White Supremacy aufrechterhält.

Die Wurzeln von Rassismus und Patriarchat

Und auch bei denjenigen, die wegen realer, zu hoher Lebenshaltungskosten für Trump gestimmt haben, muss die Frage gestellt werden:  War ihnen bewusst, dass Trump ihre wirtschaftliche Situation nicht verbessern wird?

Wenn ja, deutet das ebenfalls darauf hin, dass Demokraten die Wähler:innen, die sie brauchen, nicht erreichen. Und dass diese in Medien unterwegs sind, die nichts mit klassischen Nachrichtenmedien zu tun haben. Es wäre eine durchweg ernüchternde, aber wenig überraschende Erkenntnis, denn die Wurzeln von Rassismus und Patriarchat reichen tief.

Donald Trumps Strategie, sich vor allem in rechten Manosphere-Podcasts – also Podcasts, die Frauenhass verbreiten – interviewen zu lassen, um seine Wähler-Koalition auszubauen, zeigt, wie relevant gegenderte Mobilisierung für seinen Wahlsieg war: Diese Form der Kommunikation, seine Form toxischer, gewaltvoller Männlichkeit, hat eine radikalisierte Generation junger Männer angesprochen, die ihre Dominanz über Frauen ausüben wollen. Und die wollen, dass sich dies auch auf der Regierungsebene widerspiegelt.

Die Frage, warum Harris verloren hat, ist nicht alleine damit zu erklären, dass sie eine Schwarze Frau ist – aber Geschlecht und Hautfarbe haben erheblich zu ihrer Niederlage beigetragen. Ein düsterer Tag für Frauen in den USA. Wegen Donald Trumps Wahl zum Präsidenten werden mehr Frauen sterben. Auch, weil weisse Frauen ihre Schwestern verraten haben.

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