Das haben die Alten nicht nötig und die Jungen nicht verdient. Monika Bütler, Wirtschaftsprofessorin an der Uni St. Gallen, über die Volksinitiative «AHV plus: für eine starke AHV», über die am 25. September abgestimmt wird.
In GROSSBUCHSTABEN kündigte der «Blick» vor ein paar Jahren die grosse Serie zur Altersarmut in der Schweiz an. Die Rentnerporträts liessen die Leserinnen allerdings ratlos zurück. Die erste Person verdiente bis zur Pension 6000 Franken pro Monat, die zweite wurde – bei einem Einkommen von 3000 Franken – von gut verdienenden Kindern unterstützt, die dritte hatte ein Renteneinkommen von 4000 Franken, ein Haus und eine halbprivate Krankenkasse. Neben den üblichen «Die bösen Politiker verlochen alles Geld im Ausland, statt zu den eigenen Leuten zu schauen»-Kommentaren lautete der Tenor der anderen Reaktionen: Ist dies wirklich Altersarmut? Nach dem dritten Teil verschwand die Serie leise wieder aus dem Blatt.
So erstaunlich ist dies nicht: Älteren Menschen in der Schweiz stehen im Durchschnitt mehr Mittel zur Verfügung als der aktiven Bevölkerung. Die Armutsquote liegt für Rentner rund viermal tiefer als für junge Familien. Zweite Säule und Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV sorgen für diese erfreulichen Zahlen. EL garantieren einer Einzelperson ein Einkommen von ungefähr 3000 Franken, einem Ehepaar von ungefähr 4200 Franken pro Monat; die Krankenkosten werden separat vergütet. Zugegeben, das ist nicht viel, aber einige Hundert Franken mehr als die Sozialhilfe. Und mehr, als vielen Familien selbst bei voller Berufstätigkeit zur Verfügung steht.
Dennoch: Die AHV-Renten sollen um 10 Prozent (nach dem Willen der AHV-plus-Initiative) respektive um 70 Franken für eine Übergangsgeneration (Vorschlag Alterssicherung 2020) angehoben werden. Das Pikante an beiden Vorschlägen: Die Ärmsten unter den Rentnerinnen und Rentnern profitieren gar nicht – manche verlieren sogar.
In beiden Vorlagen geht nur ein Bruchteil der massiven Mehrkosten (4.1 Milliarden Franken bei AHV plus) an die armen Alten. Oder eigentlich noch schlimmer: Diejenigen, die gemäss heutigem Reglement EL beziehen können, nach den geplanten Rentenerhöhungen aber über der EL-Berechtigungsgrenze liegen, verlieren sogar. Weil sie in diesem Fall mehr medizinische Leistungen aus eigener Tasche bezahlen müssen und weil auf den Renteneinkommen (im Gegensatz zu EL) Steuern entrichtet werden müssen.
Ein Plus, das die Frauen spüren werden, meinen die AHV-plus-Initianten. Ein Plus, das die mittelalterliche Professorin oder die junge (Zweit-)Frau eines gut verdienenden Mannes spüren werden. Nur leider nicht diejenigen, die eine bessere Absicherung am nötigsten hätten: alleinstehende Frauen mit oder ohne Kinder. Den ärmeren unter ihnen würde das, was sie durch eine höhere AHV-Rente erhalten würden, gerade wieder durch tiefere (oder gar wegfallende EL) weggenommen. Für die anderen – gerade für viele geschiedene Frauen – wäre eine bessere Abdeckung durch die zweite Säule ungleich wertvoller.
Ob «AHV plus» oder «Alterssicherung 2020», am meisten profitierte die lauteste und im Parlament am besten vertretene Bevölkerungsgruppe des Landes. Finanziell gut gestellte (meist verheiratete) Babyboomer – Männer und Frauen, links und rechts. Und wer zahlt? Die Jungen und künftige Generationen. Als ob sie mit den steigenden Gesundheits- und Pflegekosten nicht schon genug belastet wären.
Der Sozialstaat soll für eine Absicherung aller Bürger sorgen, die sich nicht selber helfen können. Tut er dies nicht sparsam, reichen die Mittel nicht für alle Bedürftigen. Wenn wir weiterhin so sorglos mit der Alterssicherung umgehen, wird es bald eine neue Serie im «Blick» geben: Junge Familien in der Steuerfalle. Diese wäre sicher nicht nach drei Porträts zu Ende.