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Jonathan Safran Foer – Fleisch und Blut

Jonathan Safran Foer – Fleisch und Blut

  • Text: Barbara AchermannFoto: Getty

Wer Jonathan Safran Foers neues Buch liest, wird keinen Bissen Fleisch mehr runterbringen. Ein Interview mit dem Kultautor.

Seine Grossmutter kocht ihm Hühnersuppe ohne Huhn, einzig der Hund kriegt noch Fleisch: Jonathan Safran Foer, Wunderkind der US-Literaturszene, ist überzeugter Vegetarier – und hat ein packendes Buch darüber geschrieben. annabelle traf ihn in Jerusalem.

Um die Wahrheit zu sagen, dieser amerikanische Schriftsteller, Jonathan Safran Foer, der ist rein gar nichts Besonderes. Er ist schrecklich klein, trägt eine Brille, und seine Haare stehen auf seinem Kopf wie eine Pelzmütze. Als ich ihn sah, war ich maximal unterwältigt.» So schreibt Foer über Foer. Er stilisiert sich zum Antihelden, hier durch die Stimme eines ukrainischen Übersetzers. Die Passage stammt aus seinem ersten Roman «Alles ist erleuchtet», mit dem der Autor im Alter von 25 Jahren zum erfolgreichsten literarischen Aufsteiger der USA wurde. Für sein Debüt erhielt er wichtige Auszeichnungen und sehr viel Kritikerlob. Jetzt, mit 32, erscheint sein drittes Werk auf Deutsch, «Tiere essen», ein kluges Sachbuch, das jeden Leser zum Vegetarier macht. Zumindest für ein paar Stunden. Um nochmals die Wahrheit zu sagen, der New Yorker Autor ist so klein nun auch wieder nicht. Aber das mit der Brille stimmt. Und die Haare sind ungekämmt. Er ist bleich, trägt fransige Stoffschuhe, Shorts, einen Dreitagebart und kommt halb rennend, halb schlurfend aus seiner Schreibstube. Eben noch wartete man in Ehrfurcht auf den Jungstar, nun empfindet man fast Mitleid. «Schreiben», erklärt er, «das ist wie Zähne ziehen.» Und präzisiert nach einer rhetorischen Pause: «Wie Zähne aus dem Penis ziehen.»

Wir treten auf die Terrasse. Vor uns liegt die Altstadt von Jerusalem in der gleissenden Mittagssonne. Die weissen Kalksteine reflektieren das Licht wie Scheinwerfer. Der Anblick schmerzt, Jonathan Safran Foer will wieder reingehen: «Ich ertrage das nicht.» Eine Episode wie aus seinen Büchern: Der neurotische Protagonist kapituliert gleich zu Beginn. Und verteidigt sich postwendend: Er möge Leute, die Schwächen haben. An seiner Frau liebt er am meisten die Zahnlücke zwischen ihren Schaufeln. Foer lacht bübisch. Er ist ein  angenehmer Gesprächspartner, der sich selber nicht ganz ernst nimmt.

Wir setzen uns in die klimatisierte Lobby des Mishkenot Sha’ananim. In diesem jüdischen Kulturzentrum verbringt er den Sommer, zusammen mit seiner Frau Nicole Krauss, ebenfalls Schriftstellerin, aber nicht annähernd so erfolgreich, und den beiden Söhnen Sasha und Cy.
annabelle: Warum Jerusalem?
Jonathan Safran Foer: Als amerikanischer Jude ist es unmöglich, keine Beziehung zu Jerusalem zu haben. Obwohl ich nicht wirklich gläubig bin und mich ständig über Israel aufrege.

Was ärgert Sie denn konkret?
Die aktuelle Regierung finde ich schwierig, wie soll ich sagen, diese Unfähigkeit, Frieden zu machen …

Sie zögern, drücken sich vage aus. Es ist Ihnen wohl unangenehm, über Politik zu sprechen?
Das stimmt. Eine Menge Leute machen den Fehler zu glauben, sie verstünden die Situation hier besser, als sie es tatsächlich tun. Die Gespräche über Israel bewegen sich leider oft hin zu Generalisierungen: Die Israeli müssten einfach aus dem Westjordanland raus. Oder: Wenn die Palästinenser nur keine Waffen besässen. Aber so einfach ist es nun mal nicht.

Von der Terrasse aus sieht man am Horizont die Sperrmauer zum Westjordanland, und eine gute Autostunde weiter südlich, im Gazastreifen, sind Lebensmittel knapp. Aus dieser Perspektive erscheint das Problem der Massentierhaltung, das Sie in Ihrem Buch beschreiben, weniger dringend.
Wir müssen uns doch nicht zwischen Grausamkeiten entscheiden! Ich finde beides schlimm, den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Tierfabriken.

«Eating Animals» ist keines dieser rechthaberischen Sachbücher über Vegetarismus und Tiermissbrauch, die uns Slogans wie «Meat Is Murder» um die Ohren hauen oder haarsträubende Vergleiche zwischen Schlachthöfen und Konzentrationslagern ziehen. Es präsentiert keine nackten Fakten, sondern erzählt Geschichten, zutiefst schockierende und hoch amüsante. Etwa diejenige, wie Jonathan Safran Foer jahrelang zwischen Fleisch und Vegi schwankte: «Du weisst, dass Hühnchen Hühnchen sind, oder?», fragte die Babysitterin Klein Jonathan. Der legte die Gabel mit dem aufgespiessten Chicken Nugget nieder und würgte den letzten Bissen runter. So hatte er sich das noch nie überlegt. Im College war Jonathan Safran Foer vor allem Vegetarier, um an die Brüste der Aktivistinnen ranzukommen. Dazwischen ass er öfter Fleisch, am liebsten Würste. Aber als er vor vier Jahren zum ersten Mal Vater wurde, wollte er endlich mal genau wissen, womit er Sohn Sasha mit gutem Gewissen füttern kann. Wie war das nochmal mit den halbnackten Hühnern, die zu Zehntausenden auf engem Raum eingesperrt sind, mit den von Antibiotika voll gepumpten Rindern, mit den Fischen, von denen es bald keine mehr gibt?
Jonathan Safran Foer recherchierte drei Jahre lang, drang in eine Hühnerfabrik ein, sprach mit Biobauern und Fliessbandschlachtern und schrieb ein Buch, das einem die Augen öffnet und den Magen umdreht:

  • Landwirtschaftliche Nutztiere tragen mehr zum Klimawandel bei als Autos, Lastwagen und Flugzeuge zusammen, schreibt Foer im Kapitel «Umweltschutz». Allesesser erzeugen siebenmal so viele Treibhausgase wie Vegetarier.
  • Stellen Sie sich vor, man serviert Ihnen einen Teller Sushi, und auf diesem Teller türmt sich auch der Beifang, also all die Tiere, die für Ihre Portion Sushi getötet wurden, fordert uns Jonathan Safran Foer im Kapitel «Worte/Bedeutung» auf. Der Teller müsste einen Durchmesser von 1.5 Metern haben.
  • Kapitel «Verstecken/Suchen»: Einer Batteriehenne steht in etwa der Platz dieser Heftseite zur Verfügung. Die Tiere sehen ein Leben lang kein Tageslicht, ihre Krallen wachsen um die Gitterstäbe, und wären ihre Schnabelspitzen nicht abgezwackt worden, würden sich einige gegenseitig auffressen.
  • «Der Blutgeruch macht einen ganz aggressiv», sagt im Kapitel «Geschichten erzählen» ein Arbeiter, der im Akkord Schweine tötete. Er gesteht: «Einmal habe ich mein Messer genommen – es ist ziemlich scharf – und einem Schwein ein Stück von der Nase abgeschnitten, als wärs eine Scheibe Mortadella. Das Schwein ist ein paar Sekunden lang durchgedreht. Dann ist es bloss noch dagehockt und hat irgendwie dumm geguckt. Also nehme ich eine Handvoll Salz und reibe es ihm in die Nase. Da ist das Schwein richtig ausgeflippt und hat die Nase wie wild durch die Gegend geschüttelt. Ich war nicht der Einzige, der solche Sachen gemacht hat. Ein Schlachter treibt die Schweine manchmal noch lebend in das Brühbad. Und alle – die Treiber, die Anhänger, die Saubermacher – schlagen Schweine mit Metallrohren.»

Seit ich Ihr Buch gelesen habe, konnte ich kein Fleisch mehr anrühren. Vielleicht werde ich durch Sie zur Vegetarierin.
Warten wir mal zwei, drei Wochen ab. Mir gings ja lange Zeit genauso. Ich sagte mir: Das wars, ich hab genug gehört: Nie mehr Fleisch! Und kurz darauf ertappte ich mich dabei, wie ich im Restaurant ein Schnitzel bestellte. Vegetarier zu werden, ist wie aufhören zu rauchen. Mark Twain sagte: «Es gibt nichts Einfacheres. Ich tue es die ganze Zeit.»

Aber man kann nur das eine oder das andere sein: Raucher oder Nichtraucher, Vegetarier oder Fleischesser. Es gibt kein dazwischen.

Ich wünschte mir, Leute würden mein Buch lesen und sagen: Ab jetzt esse ich nur noch am Wochenende Fleisch. Das würde mich schon sehr freuen. Wenn die Amerikaner eine Fleischmahlzeit pro Woche weglassen würden, dann wäre das, als würde man fünf Millionen Autos von der Strasse wegnehmen. Die Umweltverschmutzung durch die Fleischindustrie ist immens.

Wenn ich an meine verstorbene Grossmutter denke, erinnere ich mich zuerst daran, dass sie mir beim Abschied jeweils einen Cervelat in die Tasche steckte und mir verschwörerisch zuflüsterte: für deinen Freund, damit er dir nicht davonrennt. Fleisch ist etwas hoch emotionales. Kein Fleisch mehr zu essen, ist ein persönlicher Verlust, wenn nicht gar ein kultureller.
Aber die Menschheit verzichtet andauernd auf Dinge, von denen man dachte, sie seien untrennbar mit uns verbunden, die es aber wert sind, dass wir sie aufgeben. Nur weil Frauen stets zweitrangig behandelt wurden, müssen sie nicht für immer und ewig diskriminiert werden.
Wann haben Sie das letzte Mal Fleisch gegessen?

Das war, bevor mein Sohn Sasha geboren wurde, also vor über vier Jahren.

Kommen Sie manchmal noch in Versuchung, in eine Wurst zu beissen?
Natürlich, ständig! Aber ich treffe auch täglich Frauen, mit denen ich gern ins Bett gehen würde, und tue es nicht. Ich bin ein erwachsener, zivilisierter Mensch, der sich aus Überzeugung an gewisse Regeln hält.

Liest man Jonathan Safran Foers Werk, so kommt man um eine Frau nicht herum: seine Grossmutter. Selbstverständlich ist sie in seinen Romanen nicht eins zu eins abgebildet, aber sie sitzt wie eine Spinne im foerschen Textgewebe. In «Alles ist erleuchtet» erscheint sie als kurlige alte Jüdin, die in ihrem verfallenen Häuschen Kisten voller Erinnerungen an ihre ermordeten Verwandten stapelt. In «Extrem laut und unglaublich nah» ist sie die Grandma, die ohne Tinte über die Bombardierung Dresdens schreibt. «Tiere essen» beginnt und endet mit Foers Grossmutter und mit ihrem legendären Gericht Poulet und Karotten.

Wenn Jonathan Safran Foer über seine Grossmutter spricht, sagt er wunderbare Sätze wie: «Sie würde perfekt in einen Woody-Allen-Film passen, denn sie ist eine Art Stereotyp einer amerikanischen Jüdin. Andererseits, wenn du mit ihr in einem Zimmer bist, fühlt es sich an, als sei sie die einzig reale Person im Raum und alle anderen nur Stereotypen.»

Ihr Alter sei schwierig zu erraten, Foer vermutet, sie sei neunzig, aber niemand in der Familie wisse das genau. «Ich habe stets den Eindruck, sie werde auch noch weiterleben, wenn ich schon lange tot bin. Sie ist einfach nicht der Typ zum Sterben.» Er schnippt zweimal mit dem Finger: «Sie ist unglaublich vif.» Jonathan Safran Foer sieht seine Grossmutter nur drei oder vier Mal pro Jahr, aber sie telefonieren ein paar Mal die Woche. Das Gespräch höre sich jeweils etwa so an: Wie gehts dir? Ich vermisse dich. Danke, dass du angerufen hast. Tschüss. Die alte Frau mag keine langen Telefonate.

Sie schreiben gerade an einem neuen Roman. Was für eine Rolle wird Ihre Grandma diesmal spielen?
Um mich nicht zu wiederholen, versuche ich, sie draussen zu lassen, aber das ist beinah unmöglich. Sie steckt ihren Kopf immer mal wieder in den Text rein.

Wie hat sie reagiert, als Sie von ihrem berühmten Brathuhn nur noch das Beigemüse assen?

Sie hat neue Rezepte erfunden. Früher kochte sie Hühnersuppe, heute kocht sie vegetarische Hühnersuppe. Oder geschnetzelte Leber ohne Fleisch, dafür mit grünen Bohnen, Mandeln und Auberginen. Sie püriert das Ganze. Grauenhaft, ich mag es nicht, aber dafür schmeckt es allen anderen Familienangehörigen.

Er hingegen mache einen unglaublich guten Linseneintopf, prahlt Jonathan Safran Foer augenzwinkernd, mit Linsen, Karotten, Sellerie, Blumenkohl, Ingwer, Knoblauch und Zwiebeln. Die Zutaten koche er in halb Wasser, halb Aceto balsamico.
Dieser Brei mag ja supergesund sein, aber Hand aufs Herz, Ihr Sohn Sasha würde bestimmt viel lieber einen Hotdog essen.

Nein, das glaub ich nicht. Zugegeben, einmal kam er von der Schule heim und sagte: «Ich will Fleisch essen.» Okay, antwortete ich. Aber lass uns zuerst darüber reden. Und schon wars kein Thema mehr. Es ging ihm um meine Reaktion und nicht um die Wurst.

Wie überzeugten Sie ihn davon, dass er kein Fleisch essen soll?
Das war ganz leicht. Es geht nicht darum, was richtig ist oder falsch, sondern darum, welche Geschichte wir erzählten. Die Helden in den Kinderbüchern sind meist Tiere. Wieso sollte er sie essen wollen?

Weil Fleisch gut schmeckt. Vielleicht besser als alles andere. Und weil es alle anderen essen. Was füttern Sie eigentlich Ihrer Hündin George? (Jonathan Safran Foer vergöttert seinen Labrador. Er behauptet, dass sie sich Zungenküsse geben.)
Sie isst Fleisch aus tierfreundlicher Haltung, ein Spezialhundefutter. Wir versuchten, ihr nur vegetarische Nahrung zu geben, aber die bekam ihr nicht.

Was für ein Widerspruch, Ihr Hund verschlingt Unmengen von Fleisch, und Sie ermutigen die Leute, weniger oder keins mehr zu essen. Vielleicht sollten wir einfach damit beginnen, keine Hunde und Katzen mehr zu halten.
Ich finde auch, dass man keine Hunde züchten sollte. Haustiere zu halten ist unsinnig. Aber George wurde ausgesetzt, wir fanden sie auf dem Park Slope in Brooklyn, unweit von unserem Haus entfernt. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Biofleisch zu essen, so sagen Sie in Ihrem Buch, sei keine befriedigende Lösung.

Nein, das ist es wirklich nicht. Heute wird fast ein Drittel der Landoberfläche unseres Planeten für Viehzucht genutzt. Massenweise Biobauernhöfe würden noch viel mehr Land verschwenden. Zudem ist die Umweltverschmutzung dieser Höfe annähernd gleich hoch wie von herkömmlichen Betrieben. Die Antwort lautet also nicht bio, sondern schlicht und einfach: weniger Fleisch essen. Oder gar keins, aber das wird die Menschheit in den nächsten zwanzig Jahren nicht schaffen.

Sie sind also pessimistisch, was die Zukunft anbelangt?
Nicht unbedingt, denn immerhin sind zwanzig Prozent der College-Schüler in Amerika Vegetarier. Eines Tages werden wir uns an die Tierfabriken erinnern und denken, wie konnten wir nur so dumm, so grausam sein.

Klartext
Jonathan Safran Foer ist der erfolgreichste Jungautor der USA. Soeben wurde sein drittes Buch «Tiere essen» ins Deutsche übersetzt: Ein Sachbuch über Fleischkonsum, das zugleich einen persönlichen Einblick ins vegetarische Leben des Autors gibt. Zusammen mit Schriftstellerin Nicole Krauss, den Söhnen Sasha (4) und Cy (1) und Hündin George wohnt er an der 7th Avenue in New York. Jonathan Safran Foer wurde 1977 in Washington D. C. geboren und hat in Princeton Philosophie und Literatur studiert.

Jonathan Safran Foer: Tiere essen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, ab Mitte August