Von der Praxisleiterin zur Visagistin und Fotografin: Vera Greiner hat auf ihr Bauchgefühl gehört und sich mit der Selbstständigkeit einen Lebenstraum erfüllt.
Eine Reise nach Indien im Jahr 2003 öffnete Vera Greiner die Augen. «Dort sterben Menschen auf der Strasse. Ich bin zurückgekommen und dachte mir: Du bist dumm, wenn du das Glückslos, in der Schweiz geboren zu sein, nicht einlöst. Hier kannst du deinen Traum verwirklichen», so die 36-Jährige. Bereits in den ersten Berufsjahren als medizinische Praxisassistentin war ihr bewusst, dass sie diesen Job nicht ein Leben lang ausführen möchte. Die Tochter einer Künstlerin reduzierte das Arbeitspensum, um sich selbst der Kunst zu widmen. Da die Malerei das eigene Leben nur schwer finanzieren kann, entschied sich die damals 26-Jährige für eine Ausbildung zur Visagistin. Heute, zehn Jahre später, arbeitet sie in ihrem eigenen Atelier, berät Kundinnen, schminkt und fotografiert Bräute und lässt sich Zeit mit dem Aufbau ihrer Firma Vera Ley: «Ich möchte nachhaltig arbeiten, auch wenn es bedeutet, dass ich weniger verdiene. Die Kundinnen sollen zufrieden sein, wiederkommen und mich weiterempfehlen.»
annabelle.ch: Vera Greiner, weshalb haben Sie sich damals für eine medizinische Ausbildung entschieden?
VERA GREINER: Die Ausbildung zur medizinischen Praxisassistentin habe ich begonnen, weil meine damalige beste Freundin dasselbe gemacht hat. Ich war zwar schon immer künstlerisch sehr interessiert und auch begabt, doch gefördert wurde dieses Talent nicht. Heute weiss ich, dass ich vor allem von der Weiterbildung zur Praxisleiterin profitieren konnte. Recht, Marketing, Personalwesen – diese Bereiche sind wichtig, wenn man eine eigene Firma gründet. Mit diesem Wissen fiel der Schritt in die Selbstständigkeit nicht mehr so schwer.
Gab es Stolpersteine auf dem Weg zur eigenen Firma?
Die grösste Hürde ist vermutlich die eigene Erwartung. So vieles kommt anders, als man es sich gedacht hat. Und wenn man vorher gewusst hätte, wie kompliziert es werden würde, hätte man es wahrscheinlich gar nicht gemacht. Das Schöne ist aber: Wenn es dann so weit ist und man den Schritt gewagt hat, will man nicht mehr zurück. Ich dachte, ich würde die meiste Zeit damit verbringen, Kundinnen zu schminken und zu fotografieren. Doch die administrativen Aufgaben nehmen viel Zeit in Anspruch, und auch banale Arbeiten, wie die Reinigung des Ateliers, sind Zeitfresser. Ich bin von der Putzfrau bis zum CEO alles in einem, da muss man aufpassen, dass man es nicht übertreibt.
Für den Traum von der Selbstständigkeit gab Vera Greiner sogar ihre Wohnung auf und zog in eine Wohngemeinschaft. In dieser lebt sie noch heute. Geld sparen hiess die Devise, und auch heute, rund drei Jahre nach der Firmengründung, macht der kreative Kopf kleine Schritte. «Ich finanziere alles selbst, habe keine Bank im Rücken. Da kann man das Geld nicht mit vollen Händen ausgeben. Im ersten Jahr hat mich meine Familie emotional, aber auch finanziell unterstützt, um über die Runden zu kommen. Und auch Freunde haben mich zum Essen eingeladen, wenn der Kühlschrank mal wieder leer war. Ohne ein solches Umfeld wäre es nicht gegangen», ist sie sich sicher.
Für eine eigene Familie bleibt aktuell keine Zeit. Vera Greiner kümmert sich ausser um die Erfüllung ihres Lebenstraums lediglich um ihre Hündin Ouna, eine entzückende Jagdhundmischung aus Rumänien mit starkem Willen (wie ihre Besitzerin!), die schon mal als Fotomotiv herhalten muss. Gern probiert Vera Greiner neue Techniken aus, gestaltet ihr kleines Atelier so, dass Fotoshootings machbar sind. Am liebsten arbeitet sie jedoch in der Natur. Dafür wird schon mal ein Fototermin verschoben, wenn beispielsweise das Wetter nicht mitspielt. «Vielleicht ist diese Arbeitsweise nicht wirtschaftlich, dafür überzeugt im Nachhinein das Ergebnis, und meine Kundinnen sind glücklich. Es ist mir wichtig, dass ich mit Qualität überzeuge, auch wenn es länger dauert.»
Welchen Rat geben Sie Frauen mit auf den Weg, die sich selbstständig machen möchten?
Man muss seine Talente kennen und sich fragen, ob man die Selbstständigkeit wirklich will. Denn es ist ein langer Weg, auf dem man schon mal den Mut verlieren kann. Das Wichtigste ist: durchbeissen! Man muss Geduld haben und darf sich nicht abbringen lassen. Selbst wenn die Reaktionen im nahen Umfeld negativ ausfallen. Mich hat das anfangs sehr getroffen. Ausserdem muss man sich stetig weiterentwickeln, darf nie stehen bleiben.
Noch heute kommt es vor, dass Vera Greiner für ihre Arbeit belächelt wird – besonders Männer nehmen die Visagistin und Fotografin nicht ernst oder versuchen den Preis zu drücken. Doch davon lässt sich die ambitionierte Geschäftsfrau nicht beirren. Dafür hat sie viel zu lange an ihrem Traum gearbeitet und einen Kundenstamm aufgebaut, der sich sehen lassen kann.
Vera Greiner
Alter: 36 Jahre
Firma: Vera Ley
Produkt: Make-up und Fotografie
Vorherige Tätigkeit: Praxisleiterin
Wow-Frauen
Online-Redaktorin Julia Heim (rechts im Bild – mit Unternehmerin Franziska Freiermuth) begegnete in ihrem privaten Umfeld vielen Frauen, die sich selbstständig machen wollten, und begab sich deshalb auf die Suche nach mehr oder weniger frischgebackenen Unternehmerinnen in der Schweiz. In Interviews ging sie der Frage nach, warum der Wunsch nach Selbstständigkeit so stark ist und welche Tipps künftige Firmengründerinnen beachten sollten. Hier finden Sie alle Interviews mit den Unternehmerinnen.