Leben
Die italienische Parlamentarierin Alessia Mosca über das strikte Quotengesetz in ihrem Land
- Interview: Helene Aecherli; Illu: Paul Blow
«Die Quote wirkt, noch bevor sie in Kraft ist»: Die italienische Parlamentarierin Alessia Mosca über das neue, strikte Quotengesetz in ihrem Land.
ANNABELLE: Alessia Mosca, Italien will den Frauenanteil in Verwaltungsräten von vier auf dreissig Prozent steigern. Das ist sehr ambitiös.
ALESSIA MOSCA: Ja, das ist es. Deshalb setzen wir es auch in drei Legislaturperioden um. Das heisst: Die Firmen sind ab August verpflichtet, bei der nächsten Neuwahl ihres Verwaltungsrats mindestens einen Fünftel der Sitze an Frauen zu vergeben und diesen Anteil in der übernächsten Runde auf einen Drittel zu steigern. Das Gesetz ist auf neun Jahre befristet. Danach soll der Anteil bei 34 Prozent liegen.
Was aber, wenn sich ein Betrieb nicht daran hält?
Dann muss er zahlen. Das Gesetz sieht vor, dass Unternehmen, die die vorgeschriebene Quote nicht erfüllen, verwarnt werden. Drei Monate nach dieser Warnung erhalten sie eine Busse von einer Million Euro. Nach vier Monaten werden sie gezwungen, den Verwaltungsrat aufzulösen. Diese Sanktionen gelten für börsenkotierte Unternehmen, jene für staatliche Betriebe werden noch ausgearbeitet. Diese Bestimmungen machen die italienische Quotenregelung zur strengsten Europas. Ein solches Gesetz muss strikt sein, sonst funktioniert es nicht.
Wie haben Sie es geschafft, im Macho-Land Italien ein derartiges Gesetz einzuführen?
Entscheidend war sicher, dass die Quotendebatte im vergangenen Jahr zu einem Zeitpunkt lief, als Frauen gegen den Sexismus der Regierung Berlusconi demonstrierten. Die Forderung nach einem besseren Status von Frauen wurde zur gesellschaftspolitischen Dringlichkeit. Da kam die Quotenthematik gelegen. Sie wurde in allen Medien diskutiert, die wichtigsten Zeitungen des Landes setzten sich dafür ein, gleichzeitig starteten Frauenorganisationen ein gezieltes Lobbying. Wichtig: In den Debatten wurde die Masse der fähigen, hoch qualifizierten Frauen sichtbar, was zeigte, dass die Ressourcen vorhanden waren, um die Forderung der Quote zu erfüllen. Dies führte dazu, dass wir im Parlament über die Parteigrenzen hinweg eine breite Front bilden konnten.
Aber Sie hatten doch sicher energische Gegenwehr?
Zu Beginn der Debatte waren Versicherungen, Industrie und Banken gegen uns. Das sind höchst einflussreiche Gegner. Aber die Banken schwenkten schnell ein. Sie konnten es sich nicht leisten, gegen den gesellschaftlichen Mainstream zu schwimmen.
Was war das triftigste Argument?
Dass die Quote eine temporäre Massnahme und kein ideologisches Instrument ist. Die Quote ist eher so etwas wie ein Kulturschock, ein Mittel für eine Situation, in der nichts mehr geht, weil alles blockiert ist.
Zum Beispiel, weil die gläserne Decke undurchdringlich ist.
Italien liegt, gemessen an der Anzahl Frauen in Verwaltungsräten, europaweit auf dem zweitletzten Platz. Das ging so nicht weiter. Übrigens, die Quote wirkt, noch bevor sie in Kraft ist.
Inwiefern?
Einige Unternehmen, die im Frühjahr ihren Verwaltungsrat neu wählten, haben bereits Frauen an Bord geholt. Sowohl aus Imagegründen als auch aus vorauseilendem Gehorsam. Fiat hat nun erstmals in seiner Geschichte zwei weibliche Verwaltungsräte.
Lässt sich die Auswirkung auf die Firmenkultur abschätzen?
Wir stellen vier Tendenzen fest: Frauen senken das Durchschnittsalter der Verwaltungsräte. Sie sind meist um die 50 Jahre alt, die männlichen Kollegen zwischen 65 und 70. Zweitens: Frauen sind besser ausgebildet. Sie haben alle mindestens einen Hochschulabschluss. Männer kompensieren das tiefere Bildungsniveau mit Erfahrung. Drittens: Frauen sind international vernetzter, da sie oft im Ausland gearbeitet haben. Das kommt Unternehmen in der heutigen Zeit zugute. Viertens: Die neuen Verwaltungsrätinnen sind unabhängig, das heisst, sie haben keine persönlichen Verflechtungen innerhalb der Firma.
Die Quote ist auch für die Frauen selbst eine Herausforderung.
Natürlich. Unser Quotengesetz ist ein Test für die ganze Gesellschaft. Frauen für Verwaltungsräte zu gewinnen, bedeutet auch, Betriebsstrukturen so zu gestalten, dass sie Frauen nicht diskriminieren. Und klar: Auch wir Frauen haben nun eine grosse Verantwortung. Wir müssen beweisen, dass wir es schaffen, die Quote zu erfüllen. Schaffen wir es in den nächsten neun Jahren nicht, sind wir schlicht nicht fähig dazu.
Alessia Mosca (37) ist Abgeordnete des Partito Democratico und gilt als eine der Architektinnen des «Quote rosa»- Gesetzes, das am 12. August in Kraft tritt.
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Die italienische Parlamentarierin Alessica Mosca