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Ist die Stimmung unter Feminist:innen wirklich mies? 12 Antworten

Politik

Ist die Stimmung unter Feminist:innen wirklich mies? 12 Antworten

In den Berichterstattungen ist oft von einem Graben zwischen Feminist:innen die Rede. Was ist da dran? Das haben wir zum International Women's Day Feminist:innen aus der Schweiz gefragt.

Anna Rosenwasser

Bild: Brandertainment

Anna Rosenwasser: «So hässig wie nötig»

«Mir fällt auch auf, dass in letzter Zeit Feminist*innen einander gegenseitig kritisieren – und ich bin froh drum. Feminismus ist gross geworden und erlebt dadurch nicht nur einen happigeren Backlash, sondern eine Heterogenität, die nicht unbestritten bleibt. Ja, ich bin Feministin, und ja, ich kritisiere Alice Schwarzer harsch für ihre untragbare Transfeindlichkeit. Wenn ich etwas gelernt habe von Feminismus, dann: so hässig wie nötig und mit so viel Liebe wie möglich.» – Anna Rosenwasser, Autorin und LGBTIQ-Expertin

Tamy Glauser

Bild: Instagram tamynation

Tamy Glauser: «Am Ende sind wir doch alle gleich»

«Das grösste Problem in Sachen Feminismus scheint mir, dass viele die Definition gar nicht verstanden haben. Es geht um Gleichberechtigung – und nicht darum, dass der oder die eine besser beziehungsweise schlechter ist. Wir sind allem voran Menschen – egal ob hell oder dunkelhäutig, arm oder reich, Mann, Frau, non-binär oder trans.

 

Die Dinge aus dieser Perspektive betrachtet, können Feministen untereinander gar nicht gegeneinander sein, denn in dem Moment handeln sie entgegen des feministischen Gedankenguts. Schiesst man gegen andere aufgrund einer anderen Meinung, ist das kein Feminismus mehr.

 

Zuhören, nachdenken, verstehen, diskutieren und voneinander lernen sowie Neues inkludieren – das wäre doch der feministische Weg, nicht? Ich hoffe, dass wir uns alle bald vom Getrenntsein lösen können und verstehen, dass wir am Ende doch alle gleich sind.» – Tamy Glauser, Model und Aktivistin

Regula Stämpfli

Bild: Keystone

Regula Stämpfli: «Ich habe meine Heimat verloren»

«Unter Feministinnen ist die Stimmung super – deshalb lasse ich auch den Doppelpunkt oder das Gendersternchen weg. Kommen die hinzu, sinkt die Stimmung in den Keller.  Gender, Sternchen und Doppelpunkt, als antipatriarchale Instrumente in den 1980er- und 1990er-Jahren von uns angedacht, wenden sich – wie damals im Sowjetkommunismus die Ideologie gegen das Volk – heute gegen Frauen, deren Körper und Sichtbarkeit. Ich hab durch diese Debatten meine Heimat verloren: Dies schmerzt brutal, doch jede Woche wird die Wunde etwas heiler mit Dr. Isabel Rohner in unserem feministischen Wochenrückblick @diepodcastin.» – Regula Stämpfli, Bestsellerautorin, Podcaster und HannahArendtLecturer HSG

Anja Glover

Bild: ZVG

Anja Glover: «Immer wieder neu hinterfragen»

«Ich glaube, die Stimmung unter Feminist:innen ist zurzeit angespannt, weil auch viel Kritik aus Ecken kommt, von wo wir eigentlich Zustimmung erwarten würden. Im Feminismus haben heute mehr diverse Stimmen Platz denn je, was verunsichern kann: Wenn wir uns feministisch äussern, müssen wir jederzeit damit rechnen, dass Kritik nicht nur von Anti-Feminist:innen, sondern auch von anderen Feminist:innen kommt – und wir dann dazu gezwungen werden, unsere Ansichten und Einstellungen immer wieder neu zu hinterfragen.

 

Im Feminismus passiert gerade eine Öffnung, eine Infragestellung von Selbstverständlichkeiten. Diese neue Unsicherheit ist etwas Gutes – sie darf einfach nicht zur Ohnmacht führen. Es ist wichtig, dass wir weiterhin diskutieren – und dass auch weiterhin diverse Stimmen gehört werden. Die Pluralität müssen wir nutzen, um feministische Anliegen voranzubringen.» – Anja Glover, Rassismusexpertin und Autorin

Steffi Buchli

Bild: Thomas Meier

Steffi Buchli: «Hauptsache Pink»

«Ich gebs zu: Ich ärgere mich manchmal über feministische Voten. Weshalb? Mal ist mir eine Meinung zu lauwarm, mal zu extrem, mal zu aggressiv vorgetragen. Wichtig ist: Ich ärgere mich still und leise. Nie würde ich in der Öffentlichkeit über eine andere Person herfallen, die Haltung zeigt in diesem Thema, welches mir so am Herzen liegt. Wir haben noch viel zu tun bis zur Gleichstellung. Also sollten wir unsere Kräfte bündeln und uns nicht bekämpfen und schwächen. Nie wird jede Feministin auch meine Seelenverwandte sein. Es gibt fifty shades of Pink. Aber eben: Hauptsache Pink.» – Steffi Buchli, Chefredaktorin Sport der Blick-Gruppe

Lara Stoll

Bild: Simon Habegger

Lara Stoll: «Einfacher gesagt als getan»

«Die generell erhitzte Stimmung zeigt die aktuelle Wichtigkeit des Themas. Wie bei allen anderen soziologischen Herausforderungen gibt es nicht schwarz und weiss, nicht richtig und falsch – auch Feminismus wird verschieden interpretiert und vor allem auch verschieden vehement ausgelegt und ausgelebt. Das Einzige, was uns hier weiterbringt, ist ein geduldvoller offener Austausch ohne eigene Agenda. Man muss gewillt sein zuzuhören, warum diese oder jene Aussage aus diesem oder jenem Grund problematisch sein kann.

 

Ich persönlich ziehe Kritik und konstruktiven Dialog einer Denunzierung mit dem medialen Rasenmäher immer vor, aber manchmal ist es eben auch einfacher gesagt als getan und ich erwische mich selbst dabei, wie ich einfach die Nase rümpfe, wütend den Laptop zuknalle und eine Meinung leichtfertig abschreibe. Es ist nun mal komplex.

 

Leute, die generell vom Thema «Feminismus» genervt sind, verstehen nicht, dass es ein langwieriger Prozess ist, bis wir auch in der Peripherie der Gesellschaft eine Gleichstellung in den Köpfen haben. Dafür braucht es enormen Effort – und leider kann man nicht davon ausgehen, dass das den meisten Leuten langsam klar ist.» – Lara Stoll, Slam-Poetin, Filmemacherin, Schauspielerin und Autorin

Michèle Binswanger

Bild: ZVG

Michèle Binswanger: «Ich sehe überall Grabenkämpfe»

«Eigentlich müsste die Stimmung unter Feministinnen bombig sein. So viel hat sich in den letzten Jahren getan: Die Lohnunterschiede zwischen Mann und Frau sind kleiner geworden, der Frauenanteil unter den Erwerbstätigen ist grösser geworden und um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stand es nie besser. Doch das spiegelt sich leider nicht in der allgemeinen Stimmung.

 

Ich sehe überall Grabenkämpfe: Frauen, die anderen Frauen ihren Feminismus absprechen, weil sie nicht derselben ideologischen Linie folgen. Ich sehe junge Feministinnen, die ihre Vorkämpferinnen verhöhnen, weil sie politisch anders ticken. Ich sehe überall das Schimpfwort Terf herumfliegen, womit Feministinnen bedacht werden, die auf eigenen Schutzräumen für biologische Frauen beharren.

 

Ich denke dann jeweils an den Frauenstreik 2019, als Abertausende höchst unterschiedlicher Frauen friedlich nebeneinander marschierten, und denke: So sollte es sein, gemeinsam statt gegeneinander. Vielleicht sind die Grabenkämpfe aber auch ein Zeichen dafür, dass man das Wichtigste erreicht hat und deshalb Energie für anderes hat. Schade ist es trotzdem.» – Michèle Binswanger, Journalistin und Autorin

Domenica Priore

Bild: ZVG

Domenica Priore: «Ich erlebe zwei Hauptströme»

«Zuerst: Es gibt natürlich nicht nur eine Art von Feminismus. Momentan erlebe ich zwei Hauptströme: Die eine Strömung, die das Weiblichsein auf das Biologische beschränkt und somit trans Personen, die sich als weiblich bezeichnen, ausschliesst. Die andere Strömung löst sich immer mehr vom Konstrukt der Definition im engen Rahmen und inkludiert alle Arten von weiblich gelesenen Personen. Damit sind auch trans und non-binäre Personen gemeint. Die offene Gruppe der Feminist*innen nimmt die diskriminierende Haltung nicht mehr hin. Daraus entstehen immer wieder Spannungen.» – Domenica Priore, trans Aktivistin

Franziska Schutzbach

Bild: Anne Morgenstern

Franziska Schutzbach: «Auf das Recht bestehen, uneinig zu sein»

«Ja, es stimmt: Es gibt riesige Unterschiede zwischen Feminist:innen – und die gab es schon immer. Der Feminismus besteht seit jeher aus extrem differenten Bewegungen mit sehr starken Widersprüchen und Gegensätzen. Neu ist nun, dass feministische Themen auch in den Mainstream-Medien aufgegriffen werden – und dort oft die polemischsten Positionen abgebildet werden, weil das eben gut klickt.

 

Differenzierte oder konsensbildende Positionen fehlen oft in der reisserischen medialen Öffentlichkeit. Und es entsteht der Eindruck, es gäbe plötzlich unüberbrückbare verfeindete Lager. In Wirklichkeit handelt es sich um komplexe Konfliktlinien, die es seit vielen Jahrzehnten gibt.

 

Wenn ich lese, Feminist:innen seien stutenbissig und würden keine echte Sisterhood und Solidarität hinbekommen, werde ich hellhörig: Warum sollten Feminist:innen denn nicht, wie alle anderen gesellschaftlichen Gruppen auch, grosse politische und philosophische Streits und Debatten führen? Frauen und queeren Menschen wird offenbar nicht zugestanden, uneins zu sein; es wird erwartet, dass sie ein harmonisches, nettes Kollektiv bilden – während dem cis Mann die Eigenschaft des autonomen Subjekts problemlos erlaubt wird. Wir sollten auf das Recht bestehen, uneinig zu sein!

 

Und nicht zuletzt: Was auf Social Media oder in den Berichterstattungen zu lesen ist, bildet oft eine stark verzerrte Perspektive ab. Es gibt viel feministische Arbeit, die im Hintergrund läuft, in der Bündnisse sehr wohl funktionieren. Am Beispiel des feministischen Streiks in der Schweiz zeigt sich gut, wie produktiv und stark die Zusammenarbeit unter Feminist:innen trotz grosser inhaltlicher Differenzen immer wieder ist. Die These, es gebe insgesamt Spaltungen, trifft nur bedingt zu.» – Franziska Schutzbach, Geschlechterforscherin und Aktivistin

Yvonne Apiyo Brändle-Amolo

Bild: ZVG

Yvonne Apiyo Brändle-Amolo: «Für Aussenstehende immer chaotisch»

«Wir erleben gerade eine Verschiebung der Machtdynamik, in der wir lernen, dass es auch andere Ansätze für den Feminismus geben kann. Wir sahen dies zum Beispiel, als Jacinda Ardern Muslime besuchte oder auch als Francia Márquez und Kamala Harris gewählt wurden. Diese neue Dynamik wirkt sich auf den Feminismus aus, indem sie Frauen aus Minderheiten dazu befähigt, ihre eigenen Räume mit Lösungen zu schaffen, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind.

 

Sie inspiriert ausserdem alle anderen Feministinnen dazu, sich mit nicht-traditionellen Wegen des Kampfes für ihre Rechte zu befassen. All das – diese interne Entwicklung im Feminismus mit all den unterschiedlichen Perspektiven und Lösungsansätzen – wird den nicht direkt beteiligten Zuschauern immer chaotisch erscheinen.» – Yvonne Apiyo Brändle-Amolo, Interkulturelle Mediatorin und SP-Politikerin

 

Zita Küng

Bild: ZVG

Zita Küng: «Trennlinie zu den Antifeminist:innen und Frauenhassern»

«Als Erstes freue ich mich, dass es seit etwa fünf Jahren wieder deutlich mehr Frauen gibt, die als Feministinnen unterwegs sind und sich als solche auch zu erkennen geben. Sie prägen die aktuelle Gesellschaftsanalyse und entwickeln Strategien für eine Veränderung zum Guten. Damit ist auch klar, dass unterschiedliche Hintergründe und verschiedene Betroffenheiten zur Geltung gebracht werden. Und: das Bedürfnis, etwas Neues, Innovatives, Tolles auf den Weg zu bringen.

 

Die verschiedenen Ansätze und Blickwinkel sind eben nicht einheitlich und reiben sich zum Teil, was manchmal auch schmerzlich ist. Alle sind legitim, solange sie tatsächlich ein Mehr an Freiheit für die weibliche Hälfte der Gesellschaft anstreben.

 

Für mich sind zwei Dinge klar: 1. Ich bin an einem echten, ehrlichen und offenen Diskurs interessiert. Und 2. verläuft für mich die Trennlinie nicht zwischen Feminist:innen, sondern zu den Antifeminist:innen und Frauenhassern. Ich möchte deshalb mit Feminist:innen spannende – auch aufreibende – Diskussionen führen und zwischen Feminist:innen Brücken bauen. Zum Beispiel auch im Rahmen des sechsten feministischen Lehrgangs, für den sich alle Interessierten jetzt anmelden können.» – Zita Küng, Führungskräftecoach, Trainerin und Aktivistin

Anne-Sophie Keller

Bild: Anja Wurm

Anne-Sophie Keller: «Es darf und muss vielseitig sein»

«Dass Meinungsverschiedenheiten zwischen engagierten Frauen* regelmässig zu Streitereien hochstilisiert werden, finde ich viel problematischer als die Meinungsverschiedenheiten selbst. Natürlich gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wie der moderne Feminismus auszusehen hat – aber darin liegt für mich auch die Stärke dieser Bewegung: Wenn ein Anliegen die Hälfte der Menschheit betrifft, darf und muss es vielseitig sein.

 

Viel wichtiger fände ich einen kritischen Blick auf die allgemeine Debattenkultur: Ich würde mir eine konstruktivere Fehlerkultur wünschen. Nur so können wir Diskurse wirklich offen für alle führen, als Individuen etwas lernen und als Gesellschaft vorwärtskommen.» – Anne-Sophie Keller, Autorin und Journalistin

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Oli

Hey, es wäre cool gewesen, hättet Ihr auch daran gedacht, eine Flinta Person mit Behinderung zu fragen! Behinderte Menschen werden irgendwie dauernd vergessen, auch heute beim Feministischen Kampftag…