Interview zum Klimatag: «Nachhaltiges Verhalten muss keine Zumutung sein»
- Text: Stephanie Hess
- Bild: Stocksy
Der anstehende Klimatag soll unser Verhalten ein bisschen verändern – und damit aufzeigen, zu welchen Umbrüchen wir eigentlich fähig sind, sagen Birgit Pestalozzi und Claudia Tschernjavski vom Verein «Wir sind Klima».
Als wolle man verdeutlichen, wie weitreichend die klimabedingten globalen Umwälzungen sind, findet der Klimatag nicht bloss an einem Tag statt, sondern gleich an zweien. Am 30. September und 1. Oktober werden in der Deutschschweiz zahlreiche Lesungen, Führungen und Vorträge rund ums Thema sowie Aktionen wie Flickcafés, Zero-Waste-Mittagessen, offene Kleiderschränke mit Unterstützung des Bundesförderprogramms Energie Schweiz erstmals durchgeführt.
Auf der Homepage können überdies bereits jetzt Liebeserklärungen an die Erde abgegeben werden – und damit ein Versprechen, sein Verhalten planetenfreundlicher zu gestalten: etwa indem man Spardüsen installiert, über ein Jahr lang einen Mehrwegbecher benutzt oder Europareisen nur noch mit dem Zug unternimmt.
Hinter den diesjährigen Klimatagen steckt die Initiative von Birgit Pestalozzi und der Kreativagentur Aroma. Auslöser war für Brigit Pestalozzi, die ursprünglich eine steile Karriere beim Beratungsunternehmen Ernst & Young hinlegte und vor sieben Jahren ausstieg, um Projekte im Sudan durchzuführen, ein Erlebnis an einer Hochzeit. Sie, die vor mehr als 20 Jahren Vegetarierin wurde, registrierte, dass sie auch in den 2020er-Jahren noch immer fast die Einzige ist, die das Vegi-Menü bestellt.
Sie sagt im Interview, das sie uns gemeinsam mit Claudia Tschernjavski, der Kommunikationsverantwortlichen des Vereins, gibt: «Dass sich die Zahl der Vegetarier:innen beim heutigen Wissen über die Auswirkungen des Fleischkonsums kaum erhöht hat, erschütterte mich.» Und gab den Auslöser, den Verein «Wir sind Klima» zu gründen, sich auf die schwierige Suche nach Finanzierungsgeldern zu machen und den Klimatag auf die Beine zu stellen – mit dem Ziel, bei möglichst vielen Menschen eine Verhaltensänderung anzustossen und den Klimaschutz zum «New Normal» machen.
An den Klimatagen sollen Verhaltensänderungen angestossen werden. Was braucht es dafür? Reicht denn bereits ein Versprechen, so wie die Liebeserklärungen, die man auf Ihrer Homepage abgeben kann, damit man sich tatsächlich ändert?
Birgit Pestalozzi: Nein, die Liebeserklärungen sind vielmehr eine Spielerei. Eine Verhaltensänderung wird dadurch noch nicht eintreten, das ist eher ein Herantasten, ein Heranführen an die Idee.
Generiert das denn nicht ein falsches Bild vom Klimawandel? Die Herausforderungen sind gross. Wenn alle schlicht auf den Mehrwegbecher umschwenken, verändert das ja noch kaum etwas.
Birgit Pestalozzi: Offensichtlich bringen uns ja auch die grossen Herausforderungen des Klimawandels bisher nicht dazu, unser Leben entscheidend umzugestalten. Wir müssen vielleicht erst einmal lernen, dass ein nachhaltigeres Verhalten keine absolute Zumutung sein muss, sondern möglicherweise gar nicht so schwierig, so einschränkend ist, wie wir heute meinen. Wie wenn man erstmals ins Fitnessstudio geht und merkt, ah, das ist zwar anstrengend, aber gar nicht so schlimm. Woraufhin das Training – möglicherweise – zu einer angenehmen Gewohnheit wird.
Claudia Tschernjavski: Es ist ein Prozess, den wir anschieben oder weiter vorantreiben. Wir müssen nicht heute und morgen am Ziel sein. Übermorgen wäre aber gut.
Brigit Pestalozzi: Es ist mir wichtig zu betonen, dass die Nulltoleranz nicht unser Ziel ist. Wissenschaftliche Berechnungen besagen heute, dass ca. 1,5 Tonnen CO2-Emmissionen pro Jahr und Person die Zielgrösse sind, um die Klimawende zu schaffen (heute verbraucht die Schweiz 14 Tonnen CO2-Emmissionen pro Kopf, Anm. d. Red.) Und innerhalb davon sollen alle ihren Spielraum haben.
Brigit Pestalozzi«Wenn wir also die Politik verändern wollen, dann müssen wir im Namen des Klimaschutzes abstimmen»
Wie schieben denn die Klimatage die nötigen Verhaltensänderungen an?
Birgit Pestalozzi: Verhaltensänderungen bauen sich gemäss verhaltensbiologischer Forschung auf drei Säulen auf. Eine davon ist der Social Proof, also das Phänomen, wonach Menschen bei ihren Entscheidungen den Bewertungen und Handlungen anderer Menschen folgen. Darum haben wir auf unserer Homepage einen Zähler installiert, der die Anzahl der abgegebenen Erklärungen auflistet. Und wir zeigen die über 90 Partnerfirmen und Institutionen, die bei uns beteiligt sind, wie die TX Group, Myclimate oder My Blue Planet. Idealerweise motiviert das die Leute nicht nur, sondern lässt sogar eine Art von Angst, etwas zu verpassen, entstehen, wenn sie beim Klimaschutz nicht mitmachen. Eine weitere Säule, die für eine Verhaltensanpassung nötig ist, besteht in der Auseinandersetzung damit am Ort des Verhaltens, also am Ort des Konsums.
Und wie sieht diese Auseinandersetzung aus?
Claudia Tschernjavski: Auf unserer Homepage findet man die Schweizer Karte, auf der fast 100 Partner:innen verzeichnet sind, die an den Klimatagen mitmachen. Sie bieten verschiedenste Angebote wie Lesungen, Stadtrundgänge, Tauschbörsen, Upcycling, Flickcafés – und alles ist kostenlos.
Birgit Pestalozzi: Wir arbeiten mit vielen Playern aus der nachhaltigen Kleinunternehmenszene zusammen. Viele von ihnen sind derzeit sehr stark unter Druck. Die Pandemie hat sie geschwächt und jetzt explodieren auch noch die Energiekosten. Ich fand es unheimlich inspirierend und es stimmte mich auch sehr hoffnungsvoll, wie viele Widrigkeiten und Herausforderungen diese Menschen zu meistern haben – und dennoch an ihren Werten festhalten. Darum ist es mir auch wichtig, dass die Klimatage eine Plattform bieten können für sie, die teilweise schon sehr lange für eine nachhaltigere Welt kämpfen.
Können Sie ein paar Beispiele solcher Klimapionier:innen nennen?
Claudia Tschernjavski: Etwa Happy Tree (tannenbaum-mieten.ch), wo man Weihnachtsbäume ausleihen und nach den Feiertagen wieder zurückgeben kann. Der kleine Laden Revivi (revivi.shop) in Aarau, der ausschliesslich upgecycelte, recycelte oder Secondhand-Kleidung verkauft. Meyer Orchideen (swissorchid.ch), die sich in einem umkämpften Markt befinden, aber bereits seit zwölf Jahren klimaneutral arbeiten. Oder auch das Game Climapower (climapower.ch), in dem man virtuell Bäume setzt und woraufhin in Zusammenarbeit mit gewissen Anbieter:innen auch in Realität Bäume gepflanzt werden.
Sie setzen sich für die Klimatage vor allem beim persönlichen Konsum an. Lädt das den Menschen nicht zu viel Verantwortung auf? Der Hebel durch politische Veränderungen wäre doch viel grösser.
Brigit Pestalozzi: Beides ist nötig. Die Voraussetzung dafür ist aber zwingend ein ethischer Wandel in der breiten Bevölkerung – und dieser geschieht bei den Individuen selbst. In der Schweiz, wo das Volk die höchste politische Instanz darstellt, haben wir Bürger:innen viel in der Hand; letztendlich war es das Volk, welches das CO2-Gesetz abgelehnt hat. Ich glaube, man muss nicht einmal selbst eine Petition oder Initiative starten – da läuft mit der Gletscher-Initiative, die ja gerade im Ständerat verhandelt wurde, dem neuausgearbeiteten CO2-Gesetz und dem Umweltschutzgesetz aktuell schon viel. Wenn wir also die Politik verändern wollen, dann müssen wir im Namen des Klimaschutzes abstimmen. Und diejenigen Politiker:innen auf dem Wahlzettel ankreuzen, die sich dafür einsetzen. Ich finde auch wichtig, dass man sich nicht in einer passiven Haltung einrichtet und bloss mit dem Finger auf andere Menschen, den Staat, die Wirtschaft zeigt, die etwas verändern sollen.
Wie meinen Sie das?
Brigit Pestalozzi: Auch wenn das abgedroschen klingen mag, teile ich diese Idee: Sei der Wandel, den du in der Welt sehen willst. Das bedeutet nicht zwingend, dass ich damit etwas im Grossen ändere. Aber wenn ich den Klimawandel selbst nicht stoppen kann, muss ich mich doch zumindest als Teil dieses Ganzen verstehen, das ihn aufhalten oder abschwächen kann.
Mehr Infos zum Klimatag findet ihr hier.