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Interview mit Supermodel Marie-Sophie Wilson-Carr

Interview mit Supermodel Marie-Sophie Wilson-Carr

  • Interview: Jacqueline Krause-Blouin

Marie-Sophie Wilson-Carr ist 53 und seit 32 Jahren im Model-Business. Im Interview erklärt die Französin, warum sie ein Anti-Supermodel ist.

annabelle: Marie-Sophie Wilson-Carr, wie wird man Supermodel?
Marie-Sophie Wilson-Carr: Ich habe in Lille als Ouvreuse gearbeitet, das ist das Mädchen, das im Kino die Tickets abreisst. Da wurde ich von einem Fotografen angesprochen, der mir nahelegte, Model zu werden. Ich habe ihn für verrückt erklärt. Als ich später in Paris wohnte, dachte ich mir dann doch: Okay, dann gehe ich halt mal zu einer Agentur! Die schickten mich sofort nach Mailand.

Davon waren Ihre Eltern bestimmt begeistert, oder?
Meine Mutter bekam Panik und schrie: «Oh nein, du wirst mit einem Fotografen schlafen müssen!» (lacht) Mütter sind doch alle gleich, sie wollen am liebsten, dass ihre Tochter einen Arzt heiratet. Aber mein Vater fand es toll, denn ich komme aus einer Familie, die alles andere als konformistisch ist. Ein Beispiel: Als meine Mutter im Zweiten Weltkrieg mit vielen Tieren auf dem Land lebte, taufte sie ein Schwein auf den Namen Adolf. (lacht)

Sie wurden damals als Charaktergesicht bezeichnet.
Wir reden von einer Zeit, in der alle Models perfekt waren. Amerikanerinnen oder Schwedinnen mit perfekten Zähnen, Nasen und Augen. Meine Nase ist krumm, und ich habe Augenringe. Louise Despointes, die Gründerin von City Models, nahm jedoch all diese komischen Mädchen unter Vertrag und pfiff auf die Kriterien klassischer Schönheit. Als sie sich entschied, nach New York zu gehen, nahm sie uns alle mit. New York in den Achtzigern, das war etwas, sage ich Ihnen!

Entsprach die Stadt Ihrem rebellischen Naturell?
Oh ja, ich bin ein alter Punkrocker! Es war der Wahnsinn, die besten Clubs, die tollsten Konzerte. Man nannte mich das Model mit der Ratte. Ich hatte nämlich immer meine Ratte Toto auf der Schulter, nur bei Castings versteckte ich sie in meiner Tasche.

Model ist nicht unbedingt ein Beruf, der für Selbstbestimmtheit steht. Stand diese Berufswahl nicht im Konflikt mit Ihrer Persönlichkeit?
Nein, ich wollte einfach nur viel Geld verdienen. Ich hatte ein tolles Leben, konnte immer an Konzerte gehen. Eigentlich wurde ich erst in New York ein richtiges Model. Obwohl ich viel gefeiert habe, lernte ich dort auch Disziplin und Individualität. Jedes Model entwickelte damals seinen eigenen Laufstil, heute laufen sie ja alle gleich, wie Roboter. Nur einmal habe ich das Set verlassen, ich kam mit den zugedröhnten Leuten nicht zurecht, und dann kamen auch noch Duran Duran vorbei! Auch ich habe meine Grenzen – ich kenne mich sehr gut mit Musik aus, ich spiele Drums, und wäre ich nicht Model geworden, wäre ich Rockstar.

Was bedeutete Peter Lindbergh für Ihre Karriere?
Peter? Er bedeutete alles! Jemand sagte mir: «Wenn du mit Lindbergh arbeitest, hast du es geschafft.» Es stimmte, nach unserem ersten gemeinsamen Shooting ging es richtig los. Danach durfte ich immer wieder mit ihm arbeiten. Was wir für Reisen unternahmen! Ich hatte wirklich Glück und mache den Job nun schon seit 32 Jahren.

Trotzdem haben Sie sich bewusst dafür entschieden, kein Star zu werden. Sie hatten genauso hochkarätige Jobs wie Naomi Campbell, Ihr Name war aber nie in aller Munde.
Wir sahen uns alle an den Schauen, aber ich mochte die anderen sogenannten Supermodels nicht besonders. Manche hören eben The Cramps und andere Duran Duran! (lacht) Zwei der Mädchen sind besonders schlimm, von der einen weiss ja auch alle Welt, dass sie eine Hexe ist. Aber sie haben ihre gerechte Strafe bekommen, das ganze Botox lässt sie heute wie Freaks aussehen.

Würden Sie sich als Anti-Supermodel bezeichnen?
Ich hasse einfach diese Selbstvermarktung. Warum soll ich ständig Interviews geben oder im Fernsehen auftreten? Ich wurde so oft gefragt, aber worüber soll ich denn bitte reden? Mein Gott, ich bin ein Model! Andere Models reden aber auch den lieben langen Tag über sich selbst. Das bin einfach nicht ich. Das Wort Selfie ist nicht Teil meines Vokabulars. Ich habe zwar einen Instagram-Account, aber da poste ich nie Fotos von mir selbst, das wäre absurd! Als mir ein Freund sagte, ich solle mich mal selbst googeln, ist mir fast das Herz stehen geblieben. Mein ganzes Leben auf diesem Bildschirm! Es gibt in unserer Welt nicht mehr genug Geheimnisse. Jeder zeigt alles, ich finde das unanständig – aber ich bin ja auch Halb-Britin.

Ein guter Freund von Ihnen ist Designer John Galliano. Er wird, ähnlich wie Sie, gern als Rebell bezeichnet. Erinnern Sie sich an seine Debütshow 1985?
Oh ja, ich eröffnete die Show. Es war himmlisch! Er war schon damals Drama. Ich wusste gleich, dass er etwas ganz Besonderes ist. So eine höfliche, scheue Person. Wir wissen, was mit ihm geschehen ist, aber das ist allein schlechtem Einfluss geschuldet. Die Gefahr besteht leider immer, wenn man so fragil ist wie er. Galliano ist alles, aber kein Rassist.

Sie Glückliche, er hat Ihr Hochzeitskleid designt.
Genau, Azzedine Alaïa entwarf das Kleid für das Standesamt, Galliano das für die Zeremonie. Als aber Azzedine erfuhr, dass Galliano auch ein Kleid anfertigt, machte er mir gleich noch eins für den Abend! Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen, und er sagte zu mir: «Marie-Sophie, gut, du wirst in Galliano Ja sagen – aber tanzen wirst du in Alaïa!»