Interview mit der Schweizer Sängerin Sophie Hunger
- Interview: Jacqueline Krause-Blouin; Fotos: Nasa
Sophie Hunger wollte keine Musikerin mehr sein und ging allein in die USA. Dort beschäftigte sich die Schweizerin mit dem Mond – und fand zurück zur Musik.
annabelle: Sophie Hunger, hatten Sie eigentlich schon immer ein Faible für Astronomie?
Sophie Hunger: Nein, das ist ganz neu. Früher hatte ich eher eine Antipathie diesen Dingen gegenüber, das war mir alles zu esoterisch. Ich bin ein Kind der Aufklärung, sobald es spirituell wird, schalte ich ab. Umso interessanter fand ich es dann, als ich lernte, dass der Mond ein abgebrochener Teil der Erde ist. Diese Theorie wird zwar auch bestritten, aber im Moment ist es der wissenschaftliche Grundtenor.
Was hat diese Erkenntnis mit Ihnen gemacht?
Es war ein einschneidender Moment, und ich dachte mir: Das ist so typisch Mensch! Wir jaulen seit so langer Zeit diesen Mond an, haben romantische Sehnsuchtsgedanken und senden Stossgebete zu ihm hinauf – dabei schauen wir die ganze Zeit nur uns selbst an. Das ist irgendwie ironisch, auf eine sehr menschliche Weise.
Sie haben daraufhin «Supermoon», das Titelstück Ihrer neuen Platte, geschrieben. Einer Ihrerälteren Songs heisst «Leaving the Moon». Was hat es mit Ihrer Faszination für den Mond auf sich?
Also früher habe ich immer negativ konnotiert vom Mond gesprochen. Dinge wie: Der lebt ja auf dem Mond. Ich meinte damit die totale Isolation, das Weltfremde. Jetzt weiss ich aber mehr – der Mond sind wir selbst. Das Seltsame ist nur, seit ich «Supermoon» geschrieben habe, ist der Mond für mich gestorben. Jetzt ist er nur noch ein Stein, der beleuchtet ist.
Ein Stein, ohne den wir nicht sein könnten …
Ja, ich weiss schon, was wir dem Mond zu verdanken haben. Auf der Erde wäre ohne ihn nie Leben entstanden. Der Mond ist essenziell für die Atmosphäre, für die Gezeiten. Also gut, er ist ein lebenswichtiger Stein. Aber auch ein Stein, der nicht allein sein kann. Nennen wir es beim Namen: Der Mond ist ein Gefangener. Ein Gefangener in einer Beziehung. Wenn ich wählen könnte, wäre ich lieber die Sonne als der Mond.
Könnten Sie sich vorstellen, an der Mission Mars One, der Reisegruppe, die auf dem Mars eine Kolonie bilden soll, teilzunehmen? Also quasi ein One-Way Ticket zum Mars zu lösen?
Nein, das würde ich nicht machen. Aus dem gleichen Grund, aus dem ich nicht unsterblich sein möchte. Ich würde durchdrehen. Meine ganze Geografie würde mir abhandenkommen, die Vorstellungskraft, die Zeit, mein Alter – alles, was einem Halt gibt, wird dann ja aufgelöst. Ich glaube, ich wäre geistig nicht dazu in der Lage. Ich bin nicht stark genug, so ein Experiment auszuhalten, ohne mich selbst dabei zu zerstören. Und ausserdem will ich auch nächsten Sommer Wimbledon schauen (lacht). Auf solche Sachen wollen wir doch nicht ernsthaft verzichten!
Sie haben eine Schwäche für Roger Federer.
Roger Federer ist der Beste. Bei ihm fasziniert mich aber vor allem, wie er der Beste ist. Er spielt aus der Freude und der Lust heraus und nicht aus Kraft oder Disziplin. Das ist für mich der Inbegriff eines Künstlers – jemand, der gern spielt. Bei Roger sieht man das – er hat Schläge drauf, die andere viel effizienter machen würden, aber bei Roger entscheidet die Spielfreude. Er ist einfach so schön, da dreh ich durch! Eine göttliche Erscheinung!
Haben Sie selbst, von der Musik abgesehen, übersinnliche Kräfte?
Wenn ich mich konzentriere, kann ich mit meinen Gedanken Gegenstände verschieben. Leider passiert es immer nur, wenn niemand zuschaut.
Warum haben Sie sich entschieden, für unbestimmte Zeit nach Kalifornien zu gehen? Waren Sie da auch auf der Suche nach etwas Ausserirdischem?
Es war ein Ort, an dem ich niemanden kannte und von dem ich fast nichts wusste. Ich kannte keine Strassen, hatte keine Referenzen. Ich wollte eine Fremde sein. Und ja – es hat etwas Ausserirdisches. Dort wissen alle, dass das Universum gleichgültig ist, dass das Leben ungerecht ist, und doch verhalten sich alle liebenswürdig. Kalifornien ist so wie die Hölle – aber positiv.
Inwiefern?
Wissen Sie, die Natur ist so stark. Man hat das Gefühl, dass ein Windstoss das bisschen Zivilisation, das da in den wenigen Generationen gewachsen ist, sofort auslöschen könnte. Das weckt Urängste. Man merkt, dass Zivilisation gar nichts bedeutet, es ist die totale Herrschaft der Natur. In L. A. war vor allem das spürbare Fehlen einer Gesellschaft, im europäischen Sinn, die sich um ein Zentrum herum formiert, ausserirdisch für mich. Eine fremde Welt, in der ich gar keine Geschichte hatte.
Mussten Sie für dieses Experiment viel Mut aufbringen?
(Atmet mehrmals tief ein und aus) Ich verstehe das nicht, warum soll das mutig sein? Wenn ich ein Mann wäre, hätten alle das Bild des freien Cowboys, der auf seinem Pferd durch die Prärie reitet. Um den hätte keiner Angst, den bewundert man. Bei mir aber fragen alle gleich, ob es schlimm war, allein zu sein, und sagen mir, wie mutig ich doch sei. Dabei wollte ich das ja so. Warum sollte ich Angst haben?
Aus Strukturen auszubrechen, erfordert für die meisten Menschen Mut.
Es stimmt, man muss natürlich Vertrauen in sich selbst haben. Aber ich will einfach stolz darauf sein, dass ich so etwas als 31-jährige Frau machen kann und mir diese Freiheiten nehme, egal was uns von Konventionen vorgegeben wird. Es ist für jeden eine gute Übung, aus seiner Tradition herauszutreten, es relativiert vieles und führt einem vor Augen, woher man kommt und warum man so ist, wie man ist. Man wird gerechter und beurteilt die Welt und andere Menschen anders. Mein Song «Queen Drifter» soll eine Hymne an die Frauen sein, die allein losziehen und auf all die Sachen verzichten, von denen die Leute denken, dass Frauen sie brauchen, um glücklich zu sein. Das ist ein Lebensgefühl! You’re so scared of being alone / so you start to love the things you know. Damit meine ich, dass viele Menschen Angst vor Veränderung haben und sich die Dinge schönreden. Man kann es sich sehr gemütlich machen in seiner beschränkten Welt.
Was haben Sie in dem halben Jahr in Kalifornien über sich gelernt?
Dass ich nicht viel brauche. Ich bin zwar nicht gern allein, aber ich kann es, ohne verrückt zu werden oder Leute zu erschiessen. Es war nicht die beste Zeit meines Lebens, aber zu sehen, dass es machbar ist, war eine schöne Erfahrung. Es gibt sehr viel, an dem man sich erfreuen kann, ohne Besitz zu haben, eine Familie, eine Karriere – all diese Sachen, von denen man immer denkt, man brauche sie.
Wollen Sie überhaupt im klassischen Sinn ankommen?
Ja, das ist ein Traum, der in mir schlummert. Jetzt zum Beispiel schaue ich diese Tulpen an und sehe in den Blüten ganz viele kleine Kinder! Das ist irgendwie biologisch bedingt. Aber auch emotional denke ich manchmal, dass ich unbedingt eine Familie brauche. Aber ich weiss, dass es mit ganz schweren Konsequenzen für meinen Beruf verbunden wäre. Ich müsste meinen Beruf aufgeben, es wäre unmöglich zu verbinden.
Man könnte doch ein Kind auch mit auf Tour nehmen.
Das ist natürlich eine schöne Idee, aber man kann auf Tour kein Leben aufbauen. Das habe ich bei anderen Musikern gesehen. Ich bin jetzt bald 32 (denkt lange nach). Ich blende diesen Wunsch nicht aus, aber ich weiss beim besten Willen nicht, wie es funktionieren sollte. Ich bin noch nicht dazu bereit, meine Arbeit aufzugeben.
Ihrer eigenen Mutter teilen Sie im Song «Heicho» mit, dass Sie zum Sterben nachhause kommen werden. Wie hat sie darauf reagiert?
Ich musste ihr zuerst sagen, dass nicht explizit sie gemeint ist, sondern eher die Mamis dieser Welt, sonst wäre sie bestimmt verstört gewesen. Vielleicht ist aber auch mein Heimatland gemeint. Manche Schweizer fühlen sich von diesem Song beleidigt, aber so habe ich es nicht gemeint. Ich wollte damit sagen, dass ich für das Wichtigste im Leben zurückkommen werde, fürs Sterben. Es ist eine Liebeserklärung an mein Land.
Ihre Beziehung zur Schweiz war nicht immer einfach, und zurzeit leben Sie in Berlin. Wie geht es Ihnen heute mit Ihrem Land?
Ich mag mein Land sehr und gehe offensiv damit um, Schweizerin zu sein. Aber ich leide auch, wenn es schlimme Abstimmungsresultate gibt, wie die Kontingentierung der Migranten. Dann sorge ich mich, wenn ich sehe, in welcher Zwickmühle wir stecken. Einerseits haben wir die Verträge mit der EU unterzeichnet, andererseits gibt es Volksinitiativen, die diese Verträge korrumpieren. So schneiden wir uns ins eigene Fleisch. Da verzweifle ich manchmal regelrecht! Oder diese SVP-Initiative, die verlangt, dass wir aus dem Völkerrecht austreten! Das erfüllt mich mit grosser Sorge. Wenn Volksvertreter so etwas vorschlagen, ist es offensichtlich, dass sie nicht wissen, in welche Gefahren sie uns bringen. Dann entsteht auch Wut in mir. Wer derart ungebildet ist und so etwas vorschlägt, gehört einfach nicht ins Parlament. Das macht mich kampflustig, und dann will ich mich auch einmischen und sagen: «Stopp! So geht es nicht weiter.»
Vermissen Sie politisches Engagement bei jungen Schweizern?
Denken wir mal an Jean-Claude Juncker, den Präsidenten der Europäischen Kommission. Der ist Luxemburger und gestaltet Europa so aktiv mit. Luxemburg ist ein noch viel kleineres Land als die Schweiz, und wir haben die besten Universitäten und Schulen der Welt. Unsere jungen Leute, die die besten Ausbildungen haben, schauen zu, wie ein Luxemburger die Geschicke Europas lenkt. Warum haben wir dann diese ganzen Universitäten und Bildungspläne? Wir sind so ein talentiertes Volk, aber nutzen unsere Ressourcen nicht richtig, setzen all unser Wissen nicht ein und gestalten unsere Zukunft nicht aktiv genug mit. Wir limitieren uns ständig selbst. Das macht mich wütend. Das nehme ich persönlich! Aber gut, ich selbst bin Musikerin geworden. Da habe ich mir wohl einen leichten Ausweg gesucht.
Im Song «Mad Miles» verlangen Sie den Teufel zu sprechen. Was müssen Sie denn mit ihm bereden?
Ich möchte mit ihm über einen Seelenhandel sprechen. Vielleicht wäre das das Beste.
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