Interview mit Schauspielerin Charlotte Rampling
- Text: Frank Heer; Foto: Filmcoopi
Charlotte Rampling (69) spielt in ihrem neuen Film «45 Years» eine eifersüchtige Gattin. Wir haben die britische Schauspielerin in London getroffen.
«Ich schreibe alles auf»
annabelle: Charlotte Rampling, Ihr Leinwandpartner in «45 Years» ist Tom Courtenay. Auch er ist, wie Sie selbst, eine Ikone des britischen Films der Sechziger- und Siebzigerjahre. Kannten Sie sich?
CHARLOTTE RAMPLING: Nein, wir trafen uns vor ein paar Jahren zum ersten Mal am Rand eines Filmfestivals.
Erstaunlich, man hat auf der Leinwand das Gefühl, als wären Sie alte Bekannte.
Nun ja, wir sind Schauspieler. Wenn im Drehbuch steht, dass wir ein altes Ehepaar zu spielen haben, das seit 45 Jahren zusammen ist, dann spielen wir ein Ehepaar, das seit 45 Jahren zusammen ist. Das ist unser Job (lacht).
Tom alias Geoff hat auf dem Estrich einen Koffer mit Erinnerungen an seine Jugend aufbewahrt. Darunter Briefe und Fotos seiner ersten grossen Liebe. Mir scheint, als schleppen wir alle so eine Kiste mit uns durchs Leben.
Oh ja. Als mein Vater vor ein paar Jahren starb, hinterliess er mir einen wunderschönen alten Koffer voller Notizen und Briefe und anderer persönlicher Sachen. Das ist ein wenig, als wäre seine Seele da drin.
Haben Sie auch so einen Koffer?
Keinen Koffer, aber Schachteln, in denen ich persönliche Dinge aufbewahre.
Was zum Beispiel?
Ich habe schon immer alles aufgeschrieben, was mich beschäftigt. Nicht wie ein Tagebuch, eher sporadische Notizen. Gedanken, die ich aufschreibe und dann weglege, irgendwo in meinem Unterbewusstsein verstaue. Wenn ich die Schachteln ab und zu öffne, ist es wie eine Entdeckungsreise in meine Vergangenheit.
Jedes Mal, wenn ich in meiner Kiste wühle, bin ich peinlich berührt. Ich nehme mir immer vor, beim nächsten Umzug alles wegzuwerfen.
Wirklich? Warum?
Weil es mich in der Zeit zurückwirft. Ich mag dieses Gefühl nicht besonders.
Aber es sind doch gerade die persönlichen Dinge in diesen Kisten, die von einem bleiben, wenn einmal alles vorbei ist. Als meine Mutter starb, warf mein Vater alles weg, was ihn an sie erinnerte. Ihre Tagebücher, ihre Briefe, alles. Eines Tages kontaktierte mich ein Antiquitätenhändler. Er sagte, er besässe die Briefe und Notizbücher meiner Mutter. Ich war total fassungslos, denn ich wusste nicht einmal, dass meine Mutter Tagebuch führte. Natürlich kaufte ich ihm alles ab: Erinnerungen, die sie aufgeschrieben hatte, seit sie zwölf Jahre alt war. Unglaublich! Mein Rat an Sie: Werfen Sie nichts weg.
In «45 Years» ist es nicht zuletzt dieser Koffer voller Erinnerungen, der an der Vorstellung der ewigen Liebe rüttelt.
Das stimmt. Oder zumindest an der Vorstellung des ewigen Verliebtseins. Wir wissen, dass es das nicht gibt. Die Herausforderung einer langjährigen Beziehung besteht darin, Zuneigung und Vertrauen zu geben und zu empfangen. Das ist möglich, wenn auch nicht einfach.
Sind wir besessen von der Idee der perfekten Beziehung oder Ehe?
Ja, das sind wir. Das liegt in der Natur der Liebe. Dabei wissen wir aus Erfahrung, dass Beziehungen selten perfekt sind.
Ab 1. 10.: «45 Years» von Andrew Haigh. Mit Charlotte Rampling und Tom Courtenay, einer weiteren britischen Schauspielerlegende aus Filmen wie «The Loneliness of the Long Distance Runner» und «Doctor Zhivago».
Lesen Sie unser Porträt über Charlotte Rampling in unserer Printausgabe Nr. 17