Wir haben die Tattoo-Künstlerin Myra Brodsky bei einem Gastauftritt im Zürcher Studio Tattoos Built to Last getroffen und mit der Grande Dame der deutschen Tattoo-Szene über ihren Erfolg, die Schattenseiten ihres Berufs und ganz besondere Kunden gesprochen.
Bereits mit 15 Jahren wusste die in der Nähe von Karlsruhe aufgewachsene Myra Brodsky, dass sie Tätowiererin werden möchte. Ihren Eltern zuliebe studierte die heute 27-Jährige aber zuerst visuelle Kommunikation, bevor sie als international gefragte Tattoo-Artistin Karriere machte. Weshalb dieser Weg nicht immer einfach war, erzählt sie uns in einem Interview.
annabelle.ch: Myra Brodsky, was war Ihr Berufswunsch als kleines Mädchen?
MYRA BRODSKY: Zauberin. Das möchte ich übrigens immer noch werden.
Wieso denn das?
Ich komme aus einer Kasino-Familie, mein Vater war Automatenaufsteller und wir reisten oft nach Las Vegas, wo die grossen Magiershows eine lange Tradition haben. Solche Aufführungen haben mich schon als kleines Mädchen fasziniert. Ich sah sogar mal Siegfried und Roy live, das war grossartig. Vielleicht landete ich sogar deswegen in meinem heutigen Beruf, da verändere ich ja auch laufend die Menschen (lacht).
Bei Ihrer Karriere als Tattoo-Künstlerin sind Sie, ähnlich wie bei einem Glücksspiel, Risiken eingegangen, oder?
Absolut, immer wieder. Das fängt etwa damit an, dass es keine Ausbildung gibt zu diesem Beruf und man sich entsprechend das Handwerk selbst beibringen muss.
Das funktioniert?
Noch besser wäre es natürlich, wenn man einen Mentor hätte, aber dafür fehlt den meisten grossen Tattoo-Artists die Zeit. Ich lernte das meiste während der Arbeit, wobei das zum Teil echt hart war, weil ich als Frau während langer Zeit mit vielen Vorurteilen zu kämpfen hatte.
Zum Beispiel?
Als Mann hätte ich vermutlich viel weniger lange gebraucht, um mir den Ruf aufzubauen, den ich heute habe, denn Männer werden automatisch respektiert. Bei mir hingegen hiess es, ich sei zu schüchtern und ich könne mich nicht durchsetzen. Als Jüdin hatte ich es auch oft mit Antisemitismus zu tun, ich entsprach eben in keiner Weise den Klischees. Immer wieder wurde ich ausgelacht. Es gab Momente, da wollte ich alles hinschmeissen und etwas anderes machen.
Offenbar haben Sie es sich nochmals überlegt, wie wir heute wissen.
Ja, aber dazwischen legte ich erst einmal eine Pause ein. Ich habe mich zurückgezogen, das Studium abgeschlossen und nur im ganz kleinen Rahmen bei mir zuhause tätowiert. Irgendwie hat sich das herumgesprochen.
Birgt Ihr Job auch Schattenseiten?
Manchmal fühle ich mich ein wenig einsam, da mir durch das viele Reisen die Zeit und die Kraft fehlen für enge Beziehungen. Aber das macht nichts, ich bin eine Überlebenskünstlerin, die immer wieder auf die Beine kommt.
Mittlerweile nennt man Sie trotz Ihres jungen Alters die Grand Dame der Tattoo-Szene. Wie erleben Sie die Entwicklung der Tattoo-Branche in den vergangenen Jahren?
Grundsätzlich sind Tätowierungen allgemein viel akzeptierter in der Gesellschaft, sie haben das verruchte Image längst verloren – das ist natürlich gut für das Geschäft. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Nachahmer, die ihre Dienstleistungen zum Dumpingpreis anbieten. Mich persönlich betrifft das zum Glück nicht, da meine Kundschaft zu mir reist, um sich explizit ein Tattoo von mir stechen zu lassen.
Wer sind Ihre Kunden?
Das ist ganz unterschiedlich, ich hatte schon ein siebzehnjähriges Mädchen, das mit ihren Eltern kam und sich eine Ballerina stechen liess. Andere wollen einen wichtigen Lebensabschnitt mit einem Tattoo festhalten, zum Beispiel das Ende einer Krebsbehandlung oder eine neue Beziehung. Die meisten aber kommen aus ästhetischen Gründen, weil sie meinen Stil lieben – da gibt es richtige Sammler. Mein ältester Kunde zum Beispiel war ein 70-jähriger Mann, ein Mitglied einer Rockergang. Er hatte den ganzen Körper voller Tattoos und wollte die letzte Stelle von mir tätowiert haben.
Welches Motiv wünschte er sich?
Wäre es nach ihm gegangen, hätte ich ihm ein Porträt von mir gestochen, aber das fand ich zu merkwürdig. Dann haben wir uns auf einen unbekannten Frauenkopf geeinigt und ich habe es mit meinen Initialen signiert.
Welche Kunden sind Ihnen sonst noch in Erinnerung geblieben?
Da war mal ein Mann, der hat sich mit 60 Jahren sein erstes Tattoo machen lassen bei mir, und zwar den Namen seines Enkels. Baby Bruno war sogar dabei, ein braves Kind, das kaum einen Mucks von sich gab.
Haben Sie sich selbst auch schon Tattoos gestochen?
Ja, natürlich, mehrere sogar. Bei meinem ersten Tattoo, das ich mir selbst gestochen habe, war ich 19 Jahre alt.
Welches Motiv haben Sie damals gewählt?
Fragen Sie lieber nicht … (lacht) Es ist das Bild eines kippenden Weinglases auf meinem Oberschenkel. Ich wollte irgendetwas mit Alkohol zum Ausgleich, weil ich in diesem Alter keinen Tropfen getrunken habe. Vielleicht wollte ich auch meine Mutter ein wenig schockieren, die bis heute Mühe hat mit meinem Beruf.
Seither sind diverse weitere Tätowierungen dazugekommen. Wissen Sie noch, wie viele Tattoos Sie inzwischen haben?
Das kann man gar nicht so genau sagen, weil viele Tattoos zusammenhängend sind. Mein ganzer Arm wurde in zehn Sitzungen fertig, das lässt sich nicht auf einzelne Motive begrenzen. Irgendwann werde ich komplett tätowiert sein.
Gibt es jemanden, bei dem Sie besonders gern Hand anlegen würden?
Ich denke, das wäre Andrew McCarthy. Oder James Spader, der schon in den 80er-Jahren ein Tattoo hatte, als noch kaum jemand tätowiert war. Das Motiv könnte er selbst auswählen. Der ist ja so schön, da spielt es kaum eine Rolle, was er sich stechen lässt. Wer weiss, vielleicht klappt das mal.
Sagen Sie uns zum Schluss doch bitte noch, was das Beste daran ist, Myra Brodsky zu sein.
Die Freiheit. Die Unabhängigkeit. Ich kann mich selbst ernähren und ich bin auf niemanden angewiesen, das ist grundsätzlich ein sehr gutes Gefühl.
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