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Inés Mateos über zehn Jahre Frauenquote in Basel-Stadt: «Der Wandel lässt sich nicht aufhalten»

Politik

Inés Mateos über zehn Jahre Frauenquote in Basel-Stadt: «Der Wandel lässt sich nicht aufhalten»

Seit 2014 gibt es im Kanton Basel-Stadt eine rechtlich verankerte Geschlechterquote – heute sind Frauen und Männer dort gleichermassen vertreten. Warum zögert der Rest der Schweiz noch immer? Wir haben bei Bildungs- und Diversitätsexpertin Inés Mateos nachgefragt.

Vor zehn Jahren sagten im Kanton Basel-Stadt 57 Prozent der Stimmbevölkerung Ja zur Einführung einer Geschlechterquote. Es ging um eine Mindestquote von 30 Prozent – für Frauen wie Männer – und betroffen waren alle im Kanton ansässigen Strategie- und Aufsichtsgremien der 22 staatsnahen Unternehmen des Kantons, darunter etwa Kantonalbank oder Universitätsspital, und 109 vom Regierungsrat gewählte Verwaltungsratsmandate.

Bereits im ersten Jahr nach der Einführung erhöhte sich der Frauenanteil von 17 auf 28,7 Prozent und lag damit zwar noch knapp unter der Quote, im Folgejahr war diese mit 31,4 Prozent jedoch bereits erreicht. Bei der aktuellen Messung von 2022 waren die betroffenen Gremien bei durchschnittlich 47,7 Prozent Frauen- und 52,3 Prozent Männeranteil angelangt. Bis heute ist diese Zahl schweizweit ungeschlagen: Der Frauenanteil auf Führungsebene der 50 grössten börsenkotierten Unternehmen des Landes belief sich per Anfang Mai 2024 auf 21 Prozent.

Wir wollten von der Basler Bildungs- und Diversitätsexpertin Inés Mateos wissen, was dieser Wandel in Basel-Stadt für die Schweiz bedeuten kann, wo Chancen liegen und wann das Quoten-Modell an seine Grenzen stösst.

annabelle: Inés Mateos, der Kanton Basel-Stadt hat 2014 eine Geschlechterquote für staatsnahe Betriebe gesetzlich verankert. Seither hat sich ein relatives Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern etabliert. Darf man von einem Erfolg sprechen?
Inés Mateos: Ja, das würde ich schon sagen. Wir dachten damals ja nicht, dass die Initiative durchkommt. Dann war die Quote in der Hälfte der Zeit schon erfüllt.

Inzwischen haben die Frauen den obligatorischen Mindestwert nicht nur erreicht, sondern deutlich überschritten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Ich denke, dass diese Frauen, die plötzlich in grosser Anzahl in Verwaltungsräten vertreten sind, zu einer Normalisierung beitragen; zur Normalisierung des Bildes, dass Verwaltungsräte keine Mens’ World sind, sondern dass dort eben auch Frauen sitzen. Sie sitzen inzwischen an vielen Orten, wo sie vor 50 Jahren noch nicht gesessen sind.

Das Bild in Verwaltungsräten von Basel-Stadt spiegelt also unsere Gesellschaft?
Natürlich sind diese Frauen auch ein Beispiel für den Wandel, in dem wir uns befinden. Es gibt ein wachsendes Bewusstsein für die Bedeutung von Vielfalt und letztlich auch Inklusionsbewegungen in unserer Gesellschaft. Und ich glaube auch, dass sich dieser Wandel nicht aufhalten lässt.

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«Die Quote ist nichts Tolles, eher eine Krücke, die unsere Gesellschaft braucht, um eine Veränderung voranzutreiben»

Wenn der Wandel sowieso geschieht, wozu braucht es dann eine Quote?
Das Beispiel von Basel-Stadt zeigt genau, warum. Im Abstimmungskampf hiess es immer: Wir versuchen ja, Frauen reinzuholen, aber die wollen nicht, sie haben die Kompetenzen nicht – wir können alle dichtmachen, wenn die Initiative durchkommt, weil wir all diese Frauen auf keinen Fall finden werden. Und dann hatte man diese Quote und plötzlich gings. In diesem Sinne ist die Quote nichts Tolles, sie ist eher wie eine Krücke. Aber offensichtlich eine Krücke, die gebraucht wird, um eine Veränderung voranzutreiben, die gesellschaftlich schon lange passiert ist. In den allermeisten Köpfen der Menschen herrscht ja nicht mehr die Vorstellung, dass Frauen dies und das nicht können.

Warum ist Basel-Stadt bis heute der einzige Kanton in der Schweiz geblieben, der eine Frauenquote gesetzlich festgemacht hat? Was denken Sie?
Warum andere Kantone nicht nachgezogen sind, ist eine gute Frage. Das ist ja so eine Erfolgsgeschichte, eigentlich müssten jetzt alle ganz schnell kommen und sagen: Wir wollen auch. Aber die Schweiz ist ein sehr föderalistisches Land. Und trotzdem haben die Entwicklungen in den Kantonen manchmal dann doch eine Signalwirkung, das war ja beim Frauenstimmrecht auch so. In diesem Zusammenhang gibt es eine Art Fun Fact, wie ich finde.

Erzählen Sie!
Der Kanton Appenzell-Innerrhoden, der ja erst 1990 das Stimmrecht für Frauen eingeführt hat, ist im Moment der Kanton mit dem höchsten Anteil an Frauen in der Management-Stufe. Dort sind es um die 31 oder 32 Prozent Frauen im Management. Auch der Kanton Aargau, der sich in gesellschaftlichen Gleichstellungsfragen nicht immer als besonders fortschrittlicher Kanton auszeichnet, hat einen relativ hohen Anteil weiblicher Führungspersonen. Man sieht: Es liegt nicht alles nur an der Quote. Die Quote allein reicht auch nicht. Die tieferliegenden Ursachen der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und die strukturellen Barrieren sind mit einer Quote nicht ausgehebelt.

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«In den Unternehmen müssen die Hebel verstellt werden, damit Frauen nicht nur hineinkommen, sondern auch bleiben können»

In der Regel wird es spätestens mit Themen wie Familiengründung und Care-Arbeit schwierig, Gleichstellung langfristig beizubehalten. Kann eine Frauenquote in dieser Hinsicht etwas bewirken?
Dieses Thema hängt direkt damit zusammen. Gleichstellung ist eine Frage der Kultur in den Unternehmen – und da wird es interessant: In meiner Beratungstätigkeit hatte ich schon mehrfach Unternehmen, auch etwa in der Tech-Branche, die es geschafft hatten, in kurzer Zeit viele Frauen einzustellen und ihr ganzes Erscheinungsbild zu verändern. Man ging auf deren Website und hatte das Gefühl: Die sind ja total fortschrittlich, da sind überall Frauen zu sehen. Und dann sind diese Frauen gekommen, aber nicht geblieben.

Wieso?
Wenn das passiert, ist das ein ganz klares Zeichen dafür, dass die Kultur noch nicht so weit ist. Es reicht eben nicht, nur die Bilder zu verändern. Es geht um Dinge wie Familienfreundlichkeit, Arbeitszeiten – Sie sprechen es an: Elternzeit. Wie organisieren wir Care-Arbeit in unserer Gesellschaft, dass sie nicht einfach Gratisarbeit ist – meistens von Frauen verrichtet –, die nebenher laufen muss, damit überhaupt Erwerbsarbeit möglich ist? In den Unternehmen müssen die Hebel verstellt werden, damit Frauen nicht nur hineinkommen, sondern auch bleiben können.

Sind wir hier an den Grenzen der Quotenregelungen angelangt?
Diese Frage auszuweiten, finde ich extrem wichtig. Darum bin ich in der Diversität tätig und nicht nur in der Gleichstellung. Die Frauenquote ist ein gestandenes Thema, an dem wir schon sehr lange dran sind, aber die Schweiz ist ein postmigrantisches Land, in dem etwa 40 Prozent aller Menschen Migrationshintergrund haben. Bei der Frage, in welchen Positionen diese Menschen arbeiten, sind wir noch nirgends im Vergleich zu den Frauen. Und auch bei Menschen mit Beeinträchtigung und bei der Aufdröselung der Geschlechterfrage, die viel grösser ist als nur binär Mann und Frau. Aber ich glaube, dass wir bei den Frauen jetzt so erfolgreich sind, hat Signalwirkung, auch auf viele andere Bereiche.

Inwiefern?
Die Normalisierung, die bei den Frauen passiert, führt auch dazu, dass es eine Normalisierung der Frage gibt, wer wohin gehört und dabei sein und mitentscheiden darf. Darum ist das, was in der Frauengleichstellung passiert, für alle anderen Kategorien bedeutend. Dass plötzlich andere Menschen irgendwo sind, wo man sie nicht erwarten würde – etwa Frauen im Verwaltungsrat, Lehrpersonen mit Migrationsgeschichte im Schulzimmer, Menschen mit Beeinträchtigung, die uns beraten oder als Ärzt:innen arbeiten – das verändert wirklich massiv etwas in den Bildwelten, in denen wir leben. Und das führt zu kulturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft.

«Die einen müssen Macht abgeben, wenn die anderen auch daran teilhaben sollen. Das ist keine einfache Aufgabe»

Wie wirkt sich Diversität auf den Erfolg eines Teams aus? Gibt es dazu Studien?
Inzwischen ist erwiesen, dass eine diversere Zusammensetzung von Verwaltungsräten ganz eindeutig die Produktivität steigert und zu einer Verbesserung der Unternehmensleistung führt. Für jede zehnprozentige Zunahme von Vielfalt – wirklich vor allem in den Führungsteams – steigt das Ebit, also der Gewinn eines Unternehmens, um 0,8 Prozent. Und gemischte Führungsteams haben eine über 60 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Vor allem, wenn Teams innovative, neue Lösungen brauchen, sind diese einfach besser, wenn sie vielfältiger aufgestellt sind. Aber man muss diese Vielfalt auch gut gestalten. Man muss diesen Teams die Möglichkeit geben, gut zusammenzuwachsen, um Differenzen, die sich durch diese Diversität ergeben, auch gut nutzbar machen zu können.

Was spricht denn eigentlich noch gegen Quoten?
(lacht) Das ist wirklich eine gute Frage. Ich glaube, was dagegen spricht, oder eher: ein Hindernis sein kann, ist, dass Veränderung bei uns Menschen immer viel Zeit braucht. Wir alle sind keine Fans davon – nicht im kleinen Privaten und im grossen Gesellschaftlichen umso weniger, weil wir da auch jeweils politisch einen gemeinsamen Nenner finden müssen. Veränderung ist etwas, das uns eher Angst macht, als dass es uns beflügelt. Und im Diversitätsbereich – besonders bei Geschlechterrollen – steckt all das so stark in unserer Sozialisierung und in all unseren gesellschaftlichen Strukturen drin. Und es ist auch eine Machtfrage: Die einen müssen Macht abgeben, wenn die anderen auch daran teilhaben sollen. Das ist keine einfache Aufgabe.

«Die Schweiz ist leider in der Geschlechtergleichstellung nicht so weit, wie sie oft von sich selbst denkt»

Wenn wir den Erfolg der Frauenquote in Basel-Stadt in einen weiteren Kontext stellen: Faktisch betrifft sie ja eine relativ kleine Gruppe staatsnaher Betriebe und sie bezieht sich konkret auf Führungspositionen.
Genau. Die Quote betrifft nicht gesamte Unternehmen und auch überhaupt nicht alle Unternehmen. Nur die staatsnahen Betriebe sind in der Pflicht, diese Quote zu erfüllen. Alle anderen machen weiterhin, was sie wollen.

Gibt es denn Beispiele aus anderen Ländern, die weiter greifen?
Ja, es gibt in Europa viele solcher Beispiele. Die Schweiz ist leider in der Geschlechtergleichstellung nicht so weit, wie sie oft von sich selbst denkt. In ihrer Selbstwahrnehmung leben wir hier in einer extrem gleichgestellten Gesellschaft, was Frauen betrifft. Das ist falsch. Es gibt Länder, die die Schweiz schon lange überholt haben.

Wohin lohnt sich der Blick besonders?
In die nordischen Länder, klar, aber Sie können auch ganz in den Süden von Europa schauen, ins grosse «Macho-Land», wie man immer dachte: Spanien hat 2007 eine Frauenquote eingeführt, die ein bisschen wie jene von Basel-Stadt ist und sich auf börsenkotierte Unternehmen bezieht. Bis im Jahr 2015 mussten diese einen Anteil von mindestens 40 Prozent Frauen in den Verwaltungsräten haben.

Mit welchen Auswirkungen?
Diese Quote hat dazu geführt, dass es eine totale Normalisierung gab; dass Frauen nicht nur in den Aufsichtsräten mit drinsitzen, sondern überhaupt in Führungspositionen. Dann gab es in der Politik eine grosse Bewegung: Die sozialdemokratische Regierung erliess 2004, dass die Hälfte aller Ministerien von Frauen geführt werden müssen. Das hatte auch einen Effekt auf diejenigen, die nicht unbedingt Frauen in ihren Unternehmen oder in ihren Parteien fördern, weil sie merkten: Die Welt hat sich so verändert, wenn wir jetzt das nächste Mal nicht mit einer Frau auftreten können, dann sind wir plötzlich das Schlusslicht. Auch die Europäische Kommission hat sich das Ziel gesetzt – übrigens bis in diesem Jahr: 2024 – mindestens 40 Prozent der leitenden Positionen mit Frauen zu besetzen. Diese Bemühungen führen dann schon dazu, dass alle sich auf die Hinterbeine stellen.

«Ich wünsche mir für die Schweiz, dass sie ihr Selbstbild ganz grundsätzlich einmal ein bisschen in Frage stellt»

Weil man mithalten muss?
Gleichheit ist heute auch etwas, das man sich ein bisschen auf die Fahne schreiben will – egal in welchem Bereich man ist. Natürlich gibt es auch andere, die dagegen ankämpfen, auch auf politischer Ebene. Aber man kann schlecht eine hyper-diverse Gesellschaft haben und diese dann weiterhin so verwalten wollen, wie man das noch vor hundert Jahren gemacht hat.

Was würden Sie sich in einem nächsten Schritt für die Schweiz wünschen?
Ich wünsche mir für die Schweiz, dass sie ihr Selbstbild ganz grundsätzlich einmal ein bisschen in Frage stellt. Wir sind natürlich auch ein Land, dem es sehr, sehr gut geht. Es ist einfach, in dieser Komfortzone zu bleiben und zu sagen: Ist ja alles super bei uns, wir haben wenig Arbeitslosigkeit, wir sind extrem produktiv, wir sind ein sehr reiches Land – also, was ist das Problem?

Was schlagen Sie stattdessen vor?
Etwas an dem Bild zu ändern und zu sagen: Unsere Gesellschaft hat sich wahnsinnig verändert, besonders in der Vielfaltsfrage und gerade auch, weil die Schweiz das ja will. Dass wir eine postmigrantische Gesellschaft haben mit so vielen Menschen, die von überallher kommen und hier bleiben, das hat damit zu tun, dass das das Businessmodell der Schweiz ist. Wir holen diese Leute ja hierher und das schon seit fast einem Jahrhundert. Vielleicht müssten wir uns dann auch überlegen, wie wir diese Gesellschaft so gestalten, dass sie gerecht ist, mit Zugang und Teilhabe für alle. Ich glaube, wenn man anfängt, über dieses Selbstbild zu reflektieren, kommt man auch in Handlungsnot. Und ich wünsche der Schweiz diese Handlungsnot.

Inés Mateos ist Bildungs- und Diversitätsexpertin in Basel. Ihrem Sprung in die Selbstständigkeit vor zehn Jahren ging eine langjährige Verwaltungstätigkeit in der Gleichstellung der Geschlechter voran. Sie arbeitet als Beraterin, Fachexpertin und Dozentin, Kommunikatorin und Netzwerkerin im In- und Ausland.

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