Unser stellvertretender Chefredaktor Sven Broder steht vor einem Problem: Seine drei Kinder wollen nicht mehr mit dem Flugzeug verreisen – was die Ferien nicht unbedingt stressfreier macht. Und auch nicht unbedingt billiger.
Zu behaupten, meine Kinder seien in Sachen Natur- und Klimaschutz konsequent, wäre gelogen. Diesbezüglich konsequent waren sie in den vergangenen Monaten vor allem dann, wenn es darum ging, meine Frau und mich zu nötigen, wenn jeweils freitags zum nationalen Schülerstreik fürs Klima aufgerufen wurde, den nötigen elterlichen Segen zu erteilen und zu Handen ihrer Lehrerschaft ein entsprechendes Schreiben aufzusetzen. Immerhin gingen sie dann jeweils auch auf die Strasse und parolten noch beim Abendessen ihr «ufä mit de Klimaziel, abe mit em CO2!» Aber eben: Den Ältesten, 15 Jahre alt, hielt dies nicht davon ab, sich in Berlin vor allem auf den KFC und die zwölf frittierten Pouletflügeli zu freuen, und die Mittlere, 11 Jahre alt, auf die blaue Latzhose vom «Urban Outfitters». Doch als es um die Frage ging, wie wir als Familie denn überhaupt in den Norden reisen wollen, war die Sache klar und undiskutabel: «Sicher nöd mit em Flugi!»
Weil ich das natürlich löblich fand und dieses zart spriessende Öko-Pflänzchen auch nicht gleich wieder zertrampeln wollte mit meinem väterlichen Pragmatismus («Wir fünf, in einem Zugabteil, zwanzig Stunden lang – seid ihr Euch da wirklich sicher?»), setzte ich mich an den Computer und versuchte, die Reise online zu buchen. Es blieb beim Versuch. In den 60 Minuten, in denen ich unentwegt Namen, Geburtstage und mögliche Reisedaten eingab, hätte ich unsere fünfköpfige Familie locker mit dem Flugzeug nach Grönland verfrachtet, aber mit dem Nachtzug nach Berlin und wieder zurück? Unmöglich. Also versuchte ich es tags darauf auf die altmodische Tour – und löste ein Ticket für ein persönliches Verkaufsgespräch im Reisecenter der SBB. Würde ich in meiner Freizeit seltene Pilze sammeln, ich hätte den netten Mann am Schalter für den nächsten Waldausflug glatt in meinen Rucksack gepackt; stoisch und geduldig manövrierte er seine Maus über die diversen Eingabefelder seines Computers, trommelte sich einmal quer durchs numerische Angebot seiner Tastatur, schob immer mal wieder ein «Nei, so nöd. Ja, dänn probiere mirs hald anderschumä» ein – und übergab mir nach 30 Minuten zehn Fahrscheine, zwei Sitz- beziehungsweise Liegeplatz-Reservationen und mehrere Zahlungsbelege. «Sodeli», meinte er. Ich glaub’, auch er war ganz zufrieden mit seiner Arbeit. Rund 900 Franken kostete mich der Spass. So genau weiss ich es leider nicht mehr, weil ich am Ende einfach nur noch raus wollte aus dem Reisezentrum – und dafür auch 1000 hingeblättert hätte.
«Abends gemütlich in den Zug steigen, nachts angenehm schlafen und morgens entspannt direkt im Herzen einer europäischen Metropole aufwachen – das klingt verlockend, oder?»: Die Schweizerischen Bundesbahnen haben in ihren Werbebroschüren gut reden – denn «möglich machts» letztlich nicht die SBB, sondern der Nightjet der österreichischen Kollegen. Die SBB haben dieses angeblich so verlockende Angebot nämlich vor zehn Jahren komplett eingestellt. Zu defizitär war ihnen das Geschäft mit eigenen Schlafwagen vor allem wegen der Billigfliegerei geworden. Nun, da sich im Zuge der aktuellen Klimadebatte, von Protestbewegungen wie #Flugscham und Schülerstreiks das Segel in Richtung einer nachhaltigeren und ökologischeren Zukunft langsam wieder mit Luft füllt, planen die SBB zwar das Comeback. Doch bis es soweit ist, und sie wieder mit eigenen Nachtzügen unterwegs sein werden, dürften noch zwei bis drei Jahre vergehen. Aber hey, sie sehen zumindest wieder «den Bedarf im Markt.» Immerhin.
Meine Familie und ich stiegen an jenem Donnerstagabend jedenfalls (halb-)gemütlich in den Zug, schliefen nachts (halb-)angenehm und kamen morgens (halb-)entspannt direkt in Berlin an. Dort verbrachten wir drei wunderbare Familientage. Die Natur haben wir dabei nicht nur geschont, wir haben auch ganz viel von ihr gesehen. Denn zurück fuhren wir tagsüber – der Nightjet von Berlin nach Zürich war nämlich schon Monate im Voraus ausgebucht gewesen. Was Besseres hätte uns rückblickend gar nicht passieren können.